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Gedenkdemo in Erinnerung an NSU-Opfer Mehmet Turgut © Marcus Sümnick @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Blutspur des NSU

Rostock erinnert an Ermordung von Mehmet Turgut

Vor 20 Jahren wurde der junge Türke Mehmet Turgut in Rostock ermordet. Erst viele Jahre später wird klar, dass er Opfer von Rechtsextremisten wurde und die Polizei in die falsche Richtung ermittelte. Am Wochenende wurde an den Ermordeten erinnert. Gleichzeitig waren bundesweit wieder Zehntausende gegen rechts auf den Straßen.

Von und Montag, 26.02.2024, 11:10 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 26.02.2024, 11:30 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Am 25. Februar 2004 wird Mehmet Turgut in Rostock kaltblütig erschossen, kurz nachdem er den Imbissstand eines Freundes geöffnet hatte. Er ist das fünfte Opfer einer bundesweiten Anschlagsserie, die sich vor allem gegen Kleinunternehmer richtet, deren Familien aus der Türkei und in einem Fall aus Griechenland stammten. Schnell macht der Begriff „Döner-Morde“ die Runde, später wegen damit verbundener Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen und latenten Rassismus zum Unwort des Jahres gewählt. Die Sonderermittlungsgruppe der Polizei erhält den Namen „Bosporus“. Schon damit wird klar, wo die Ermittler die Täter suchen.

Sie fahnden im Umfeld der Opfer, vermuten Schutzgelderpressung oder Drogenhandel als Motive. Hinweise auf ausländerfeindliche Hintergründe wurden in den Wind geschlagen, wie die Untersuchungen der Sonderausschüsse von acht Landtagen und Bundestag ergaben. Bis heute suchen Angehörige der Opfer nach Antworten auf die Fragen, warum die Polizei einseitig ermittelte, welche Rolle Verfassungsschützer spielten, und sie tragen noch immer schwer an der Last rassistischer Vorverurteilungen.

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Erst 2011, als in Eisenach in einem ausgebrannten Wohnwagen die Leichen zweier gesuchter Rechtsextremisten gefunden werden, wird klar, dass die rechtsextremistische Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) für die Mordserie mit insgesamt zehn Toten, unter anderem auch in Nürnberg, München und Dortmund, verantwortlich ist. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten sich den Ermittlungen zufolge mit einem erweiterten Suizid der Strafverfolgung entzogen. Beate Zschäpe als drittes NSU-Mitglied wurde gefasst und in München in einem jahrelangen Mammutprozess 2018 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.

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Dunkles Kapitel für die Bundesrepublik

„Zu mahnen, hält unsere Erinnerung wach. Es warnt uns davor, dass rechte Gewalt mörderisch ist und Rassismus konsequent bekämpft werden muss. Die Demonstrationen deutschlandweit gegen Rechtsextremismus sind ein wichtiges und notwendiges Zeichen“, sagt Rostocks Oberbürgermeisterin Eva-Maria Kröger (Linke) und schlägt damit den Bogen in die Gegenwart. Seit Wochen gehen Menschen in vielen deutschen Städten zu Tausenden auf die Straßen, um gegen die Zunahme von Hass und Hetze zu demonstrieren und für ein friedliches und tolerantes Miteinander. Auch an diesem Wochenende zogen bundesweit wieder Zehntausende durch die Städte.

„Niemals dürfen die grausamen Untaten des NSU und die Ermordung Mehmet Turguts in Vergessenheit geraten“, sagte Kröger am Sonntag bei einer Gedenkveranstaltung am Ort des Mordanschlages. Rechtsextremismus bedrohe auch heute die Demokratie und die von ihr geschützte Menschenwürde. „Unsere Gesellschaft hat jetzt die Chance und auch die Pflicht, es besser zu machen als in den 90er Jahren.“

Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Christian Pegel (SPD) nannte die Mordserie des NSU ein dunkles Kapitel für die Bundesrepublik und eine Mahnung vor allem für die Sicherheitsbehörden. „Dass eine rechtsterroristische Gruppe jahrelang unbeobachtet morden konnte, macht uns allen bewusst, dass Rechtsterrorismus die größte Gefahr für unser gesellschaftliches Leben ist.“ Die NSU-Taten hätten verdeutlicht, „wie abscheulich und grenzenlos rechte und rassistische Gewalt sein kann“, sagte Pegel. Er danke „all jenen, die seit Wochen für eine weltoffene und bunte Gesellschaft auf die Straßen in Mecklenburg-Vorpommern und der gesamten Republik gehen und sich klar und deutlich gegen menschenfeindliches und menschenverachtendes Gedankengut wehren“.

Turguts Bruder mahnt: Rechtsextremismus wird salonfähig

Turguts Bruder Mustafa mahnte, Menschen dürften nicht nach Herkunft, Aussehen, Geschlecht Religion oder Hautfarbe beurteilt werden. Derzeit sei zu sehen, dass sich Hass in der Gesellschaft verbreite, „dass rechtsradikales Gedankengut salonfähig wird“. Dagegen müsse ein Zeichen der Toleranz und Menschlichkeit gesetzt werden. Zur Teilnahme an der Gedenkveranstaltung hatten das Bündnis „Mord verjährt nicht!“ und die Hansestadt Rostock gemeinsam aufgerufen.

Bei der Gedenkveranstaltung wurde auch eine neue Gedenktafel enthüllt. Die bisherige war mehrfach beschmiert worden. Dort, wo am 25. Februar 2004 der Imbissstand „Mr. Kebab“ stand, erinnern seit zehn Jahren auch zwei gegenüberstehende Betonbänke an das Attentat auf den damals 24-Jährigen. Unmittelbar vor dem Jahrestag wurde die kleine Grünanlage aufgefrischt. Pläne, den Weg dort im Gedenken an Mehmet Turgut nach ihm zu benennen, fanden in den zuständigen Ortsbeiräten keine Unterstützung.

Seit 2018 befasst sich auch ein Untersuchungsausschuss des Landtags in Schwerin mit den Gewalttaten des NSU, auf dessen Konto auch Sprengstoffanschläge und zahlreiche Raubüberfälle gehen. Wie zuvor schon in Sonderausschüssen anderer Parlamente von Ländern und Bund offenbarten auch in Schwerin die Befragungen beteiligter Ermittler und Behördenleiter einseitige Nachforschungen und erhebliche Defizite beim Austausch von Informationen.

Jahres des Aussitzens und Verschleppens

„Jahre des Aussitzens, verschleppte Aktenlieferungen und viele offene Fragen sowie unangetastete Themenkomplexe machten es erforderlich, den NSU-Untersuchungsausschuss in dieser Legislatur fortzusetzen“, begründet der Linke-Landtagsabgeordnete Michael Noetzel die Fortdauer der Untersuchungen. Diese würden nun auf weitere rechtsterroristische Strukturen ausgedehnt, wie etwa das rechtsextreme Prepper-Netzwerk „Nordkreuz“. „In Zeiten, in denen der rechte Rand immer mehr erstarkt und eine immer engere Verzahnung mit militanten Strukturen stattfindet, ist dies dringlicher denn je“, erklärt Noetzel.

Für die Integrationsbeauftragte des Landes, Jana Michael, ist der Jahrestag des Mordanschlags auf Mehmet Turgut Anlass, an die gesamtgesellschaftliche Verantwortung zu erinnern. „Wir müssen als Staat mit seinen Organen, als Politikerinnen und Politiker und als Gesellschaft anerkennen, dass Rassismus in Deutschland noch immer ein Thema ist. Erst, wenn wir dieses Problem beim Namen nennen, kann es uns gelingen, als eine wehrhafte Demokratie entschlossen dagegen zu handeln“, sagt sie. Auch sie empfinde die aktuellen Demonstrationen in ganz Deutschland als ermutigend. „Jeder Mensch, der für Freiheit, Toleranz und gegen Rassismus und Rechtsradikalismus auf die Straße geht, trägt dazu bei, dass sich eine Tat wie der Mord an Mehmet Turgut nicht wiederholt.“ (dpa/mig) Aktuell Panorama

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