Zwei Millionen Vertriebene
Flucht nach Goma – Der Konflikt im Ostkongo
Die Welt blickt auf die blutigen Konflikte im Nahost und in der Ukraine. In Ostkongo wütet die Gewalt ebenfalls - Flüchtlingselend und blutige Konflikte sind in dem Land schon seit Jahrzehnten trauriger Alltag. Doch nun eskaliert die Lage. Eine Rebellenarmee steht kurz vor der Provinzhauptstadt Goma.
Von Eva Krafczyk, Dido Kayembe und Saul Butera Montag, 26.02.2024, 16:51 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 26.02.2024, 16:54 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Noch ist sie offen, die Straße von Sake in die gut 20 Kilometer entfernte Provinzhauptstadt Goma im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Hunderttausende Einwohner haben Sake bereits verlassen und sind mit allem, was sie tragen konnten, Richtung Goma marschiert oder gefahren. Doch auch in der Hauptstadt der Provinz Nord-Kivu verfolgen die Menschen täglich voller Sorge die Nachrichten: Haben die Regierungstruppen, die Soldaten der UN-Mission Monusco und ihrer Verbündeten noch die Kontrolle über Sake, oder ist die Miliz M23 mit ihren seit Wochen andauernden Angriffen nun doch erfolgreich?
Im vergangenen Jahr waren die Kämpfer der M23 nach jahrelangem Stillstand wieder aktiv geworden, zum Jahresende hatten sich die Angriffe deutlich intensiviert. Nach wochenlangem Vormarsch aus dem Norden ist Sake nun die letzte Stadt vor Goma, die noch unter Regierungskontrolle steht.
Immer mehr Flüchtlinge und schwierige Versorgungslage
„Das Leben in Goma wird von Tag zu Tag komplizierter“, klagt ein Einwohner. „Wir leben in der ständigen Ungewissheit, was morgen sein wird.“ Das gilt besonders für die Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Dingen des täglichen Bedarfs, denn mit dem Vorrücken der M23 wurden auch die Transportwege abgeschnitten. Es sind nun vor allem Waren aus der ruandischen Grenzstadt Gisenyi, die noch auf dem Markt und in den Geschäften Gomas verkauft werden. Doch die Preise haben sich teils verdreifacht in der Stadt am Fuße des Vulkans Nyiragongo. In Giseny hingegen sei von dem Konflikt jenseits der Grenze nichts zu spüren, berichten Anwohner.
Besonders dramatisch ist die Situation in den Flüchtlingslagern, in denen schon vor der Eskalation der vergangenen Wochen Hunderttausende lebten, die vor den Kämpfen weiter nördlich geflohen waren: Hatte Goma ursprünglich rund 600.000 Einwohner, ist die Bevölkerung aufgrund der Binnenvertriebenen auf etwa zwei Millionen gestiegen. Die Lager könnten Neuankömmlinge nur noch notdürftig versorgen, warnen Hilfsorganisationen. „Die Situation ist katastrophal geworden“, sagt Christopher Mutaka, Vertreter einer kongolesischen Menschenrechtsorganisation in Goma. Die Geflüchteten lebten „unter unmenschlichen Bedingungen“.
Wer ist die M23?
Die M23 ist eine von mehr als 130 Rebellengruppen, die im Osten des Kongos kämpfen. Doch während viele dieser Gruppen nur in einem kleinen Gebiet die örtlichen Warlords sind, kontrolliert M23 nun wichtige Gebiete und Verbindungsstrecken in der Provinz Nord-Kivu und verfügt offensichtlich über ein beträchtliches Waffenarsenal: In den vergangenen Wochen kam es wiederholt zu Bombeneinschlägen, auch in den äußeren Bezirken der Provinzhauptstadt Goma sowie am Flughafen von Goma, die der M23 zugeschrieben werden.
Die kongolesische Regierung wirft dem Nachbarland Ruanda vor, die M23 zu unterstützen. Auch internationale Experten haben wenig Zweifel daran, dass die M23-Kämpfer Waffen und andere Unterstützung aus Ruanda erhalten. Die Regierung in Kigali bestreitet dies und erhebt ihrerseits Vorwürfe gegen die kongolesische Regierung. Sie habe in die kongolesischen Streitkräfte Milizen integriert, die einst in den Völkermord in Ruanda und Angriffe auf ethnische Tutsi im Ostkongo involviert waren.
Rohstoffe und anhaltende Unsicherheit
Die Demokratische Republik Kongo verfügt vor allem im Osten über reiche Rohstoffvorkommen. Besonders Kobalt und Coltan sind stark gefragt – etwa für die Herstellung von Batterien für Elektroautos, Smartphones und Laptops. Trotz des Wohlstands im Boden des zweitgrößten afrikanischen Landes leben die meisten Menschen in Armut.
Die Rohstoffe wecken auch Begehrlichkeiten bei den Milizen und bewaffneten Gruppen. Auch dies trägt zur anhaltenden Unsicherheit in der Region bei. Die kongolesische Regierung hat zudem in der Vergangenheit mehrfach dem rohstoffarmen Ruanda vorgeworfen, mit Hilfe der M23 seinen Rohstoff-Hunger zu stillen.
Ein Proxy-Konflikt? Die Rolle Ruandas
Der Konflikt reicht Jahrzehnte zurück in die Zeit des Völkermords in Ruanda. Ab April 1994 ermordeten Hutu-Milizen in Ruanda mindestens 800.000 ethnische Tutsi und gemäßigte Hutu. Die heute aktive M23 besteht überwiegend aus ethnischen Tutsi. Der Genozid endete, als aus dem ugandischen Exil die Ruandische Patriotische Front mit ihrem Führer – und heutigem Präsidenten Ruandas – Paul Kagame in Ruanda einmarschierte und die Regierungstruppen besiegte.
Damals flohen viele der „génocidaires“ (Beteiligte am Völkermord an den Tutsi) mit ihren Familien über die Grenze nach Goma. Bewaffnete Hutu-Milizen, insbesondere die FDLR, setzten vom Ostkongo aus Angriffe auf Ruanda und auf örtliche Tutsi fort. Ruanda wiederum bewaffnete Tutsi-Milizen in der Kivu-Provinz. Im Jahr 1996 marschierten ruandische Truppen in den Osten des damaligen Zaire ein. In den zwei Kongo-Kriegen, an denen unter anderem auch Uganda und Burundi beteiligt waren, starben in den Jahren 1996/97 und 1998 bis 2003 Millionen von Menschen. Zur genauen Zahl der Opfer gibt es unterschiedliche Angaben. Die beiden Kongo-Kriege gelten jedoch als der tödlichste Konflikt seit dem Zweiten Weltkrieg.
Die Spannungen zwischen der Demokratischen Republik Kongo und Ruanda dauern an. Im Wahlkampf hatte der im Dezember gewählte kongolesische Präsident Félix Tshisekedi Kagame mit Adolf Hitler verglichen. Die ruandische Regierung hatte der Regierung Tshisekedi wiederum vor wenigen Tagen „Hassrede und kruden Tribalismus“ vorgeworfen und betont, Ruanda behalte sich das Recht vor, alle legitimen Mittel zu ergreifen, „um unser Land zu verteidigen“. Und in einer Rede im Januar hatte Kagame mit Blick auf den Völkermord von 1994 und FDLR-Mitglieder in den Reihen der kongolesischen Truppen erklärt: „Wenn man uns je in eine Situation bringt, in der wir denken, es geht zurück in jene Zeit, dann haben wir nichts zu verlieren. Wir werden kämpfen wie Leute, die nichts zu verlieren haben. Jemand wird den Preis bezahlen – und das werden nicht wir sein.“
Bintou Keita, die UN-Sondergesandte in der DR Kongo, hat angesichts der Eskalation im Ostkongo vor dem UN-Sicherheitsrat bereits vor dem Risiko einer regionalen Ausweitung des Konflikts gewarnt. Die Situation um Sake und Goma sei „zutiefst besorgniserregend“. Mit dem Ende der UN-Mission und dem Abzug der Monusco-Blauhelme bis zum Jahresende dürften die Aussichten auf Frieden in der Region nicht besser werden. (dpa/mig) Aktuell Ausland
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