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Benjamin Schraven © MiGAZIN

Weltsicht

Bezahlkarten und die Kraft der Rücküberweisungen

Derzeit gibt es sowohl kontroverse Diskussionen um die Bezahlkarte für Asylsuchende als auch um die deutsche Entwicklungshilfe. Was diese beiden Themen verbindet.

Von Sonntag, 17.03.2024, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 14.03.2024, 8:09 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

In den letzten Wochen ist viel über die Bezahlkarte für Geflüchtete diskutiert worden. Die Karte soll verhindern, dass Geflüchtete Geld von Deutschland in ihre Herkunftsländer senden können. Es sollen auch Bezahlmöglichkeiten an Schleuserorganisationen unterbunden werden. Auf der anderen Seite gibt es in Anbetracht der angespannten Haushaltssituation des Bundes seit einigen Wochen heftige Auseinandersetzungen um den Sinn der Entwicklungshilfe – Stichwort: Radwege in Peru. Unabhängig von den bisweilen etwas wackeligen Argumentationen, die für das eine und gegen das andere ins Feld geführt werden, gibt es zwischen den Sachverhalten Auslandsüberweisungen und Entwicklungshilfe erstaunliche Zusammenhänge.

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Die Weltbank geht davon aus, dass Migrierende im vergangenen Jahr die gigantische Summe von insgesamt 669 Milliarden US-Dollar in ärmere Länder, sprich: Schwellen- und Entwicklungsländer, überwiesen haben. Im Jahr davor waren es 647 Milliarden US-Dollar. Diese sogenannten Rücküberweisungen, oder englisch Remittanes, übersteigen die Gesamtsumme ausländischer Direktinvestitionen, die in die Länder des globalen Südens fließen. Noch beeindruckender ist, dass bereits in den 1990er Jahren diese Überweisungen das Gesamtvolumen der internationalen Entwicklungshilfe übertrafen. Gemäß der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) belief sich die Summe der internationalen Entwicklungszusammenarbeit im Jahr 2022 auf insgesamt 204 Milliarden US-Dollar. Rein finanziell betrachtet machten Rücküberweisungen somit mehr als das Dreifache der Entwicklungszusammenarbeit aus.

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Die Vorstellung, dass diese Gelder vor allem für die Flucht von weiteren Menschen in Richtung Europa bzw. für Zahlungen an Schleuser ausgegeben werden, ist eher abwegig. Mehrere Studien, die von den Vereinten Nationen in Auftrag gegeben und auf der Syrien-Geberkonferenz in Brüssel 2022 vorgestellt wurden, zeigen, dass die Geldtransfers von in Deutschland, der Türkei und Jordanien lebenden Syrern und Syrerinnen bei den Empfängern in Syrien hauptsächlich für grundlegende Bedürfnisse wie Nahrungsmittel, Medizin oder Mieten ausgegeben werden. Und auch abseits der Hauptherkunftsländer von Geflüchteten wie Syrien oder Afghanistan werden Rücküberweisungen größtenteils in wirtschaftliche Unternehmungen wie kleine Geschäfte oder landwirtschaftliche Betriebe gesteckt bzw. sie werden für Ausgaben im Gesundheits- und Bildungsbereich verwendet.

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„Diese Geldtransfers können als Entwicklungshilfe im Kleinen betrachtet werden, die … einen Beitrag leisten, Flucht und Verzweiflungsmigration zu verhindern.“

Diese Geldtransfers können als Entwicklungshilfe im Kleinen betrachtet werden, die auf der Empfängerseite sehr positive Effekte hat und nicht zuletzt einen Beitrag leisten, Flucht und Verzweiflungsmigration zu verhindern. Rücküberweisungen werden dabei nur zu einem geringen Teil von Menschen getätigt, die von staatlichen Transferleistungen leben, sondern viel mehr von denen, die ihren Lebensunterhalt durch Lohnarbeit sicherstellen.

Es verwundert nicht, dass einige Stimmen Rücküberweisungen bereits als die bessere Entwicklungshilfe bezeichnen, was suggeriert, dass die „reguläre“ Entwicklungshilfe ineffektiv und überflüssig wäre. Das ist ein Trugschluss, denn Remittances sind in allererster Linie Transfers zwischen privat und privat. Sie können die vor allem in den ärmeren Ländern dringend notwendigen Investitionen in verschiedene Bereiche der Daseinsvorsorge wie Straßen- und Schienennetzen oder Energie- und Gesundheitsversorgung – wo bis heute die Entwicklungszusammenarbeit wichtige Beiträge leistet – kaum ersetzen. Allerdings könnte das positive Potential der Rücküberweisungen durch Maßnahmen der Politik weiter gesteigert werden.

Buchtipp: »Klimamigration«: Wie die globale Erwärmung Flucht und Migration verursacht von Benjamin Schraven.
Erschienen im transcript Verlag; 1. Edition (3. Juli 2023); Taschenbuch: ‎176 Seiten; ISBN-10: 383766547X

Das fängt bei den Kosten für die Transfers an. Das Geld an die Verwandten im Herkunftsland wird zum größten Teil über formelle Kanäle überwiesen. Hier kommt denn sogenannten Money Transfer Organisations (MTOs) wie Western Union eine besondere Bedeutung zu. Die Gebührenentwicklung bei den Anbietern für Auslandsüberweisungen hat sich laut Internationalem Währungsfonds (IWF) aus Sicht der Überweisenden durchaus positiv entwickelt: Mussten im Jahr 2011 im globalen Schnitt fast 8 Prozent der überwiesenen Summe als Gebühr bezahlt werden, sank diese Durchschnittsgebühr im Jahr 2020 bereits auf unter 6 Prozent. Durch Deregulierung könnte die Gebührenlast noch weiter abgesenkt werden.

Ein anderes Handlungsfeld sind die informellen Überweisungskanäle: Gerade bei Überweisungen in von Sanktionen betroffene Länder wie Syrien sind viele Menschen auf informelle Anbieter angewiesen, die nach dem Hawala-Prinzip operieren. Hawala beschreibt ein Zahlungsverfahren, bei dem Transfers nur mit Bargeld getätigt werden, ohne dass dieses Geld dann (physisch) zwischen Sender und Empfänger bewegt wird.

„Beim Thema Migration beschäftigt sich die deutsche Politik leider allzu oft mehr mit Halbwahrheiten und Mythen als mit empirisch gut belegten Fakten und Zusammenhängen.“

Viele dieser sogenannten Hawaladare operieren in einem, vorsichtig formuliert, problematischen Umfeld: Immer wieder kommt es zu Razzien von Polizei und Staatsanwaltschaften, da sich diese Anbieter oft auch in solchen „Geschäftsfeldern“ wie Drogenhandel oder Geldwäsche betätigen. Defacto ist dieses Modell der Geldüberweisung in Deutschland illegal. Es ist zwar grundsätzlich möglich, dass sich Hawala-Anbieter bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) registrieren lassen. Das kommt aber aufgrund der entsprechend hohen Auflagen quasi nicht vor. Grundsätzlich wäre es von Seiten der Politik mit zielgerichteten Erleichterungen möglich, deutlich mehr Anbieter, die mit kriminellen Aktivitäten nichts zu tun haben, offiziell als solche zuzulassen.

Es darf zudem nicht vergessen werden, dass Migrierende durchaus bereit sind, sich über die eigene Familie hinaus für bestimmte Zwecke und Belange in ihren Herkunftsländern zu engagieren – sei es für den Bau von Krankenhäusern oder Dorfgemeinschaftshäusern bis hin zu Maßnahmen im Bereich Umweltschutz oder Anpassung an den Klimawandel. Wer weiß: Vielleicht ließen sich einige Diasporaangehörige gar für den Bau von Fahrradwegen in ihren Herkunftsländern erwärmen.

Aber im Ernst: Für ein solches Engagement brauchen die Menschen das Gefühl, das ihr Geld gut angelegt und gut verwaltet wird. Ohne Vertrauen und gute Rahmenbedingungen geht hier nicht viel. Da ist dann die Politik sowohl im Herkunfts- als im Zuwanderungsland gefragt. Beim Thema Migration beschäftigt sich die deutsche Politik leider allzu oft mehr mit Halbwahrheiten und Mythen als mit empirisch gut belegten Fakten und Zusammenhängen. Geldtransfers sind Teil der Austauschbeziehungen zwischen Einwanderungs- und Herkunftsland. Und von guten Austauschbeziehungen profitieren bekanntlich beide Seiten. Meinung

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