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Haus in Solingen nach dem Brandanschlag

Rassismus nicht ausgeschlossen

Trauer nach tödlichem Wohnungsbrand in Solingen

Emotionales Gedenken an die vier Todesopfer des Wohnhausbrands in Solingen: Hunderte Menschen beteiligten sich an einem Trauermarsch. Sie forderten Gerechtigkeit und Aufklärung.

Montag, 01.04.2024, 10:18 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 01.04.2024, 14:57 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Fünf Tage nach dem offenbar vorsätzlich gelegten Brand mit vier Toten in einem Mehrfamilienhaus in Solingen ist am Samstag mit einem Trauermarsch der Opfer gedacht worden. Etwa 700 Menschen zogen nach Angaben der Behörden von der Innenstadt zu dem ausgebrannten Wohnhaus im Stadtteil Höhscheid, wo ein Imam ein muslimisches Gebet sprach und Koran-Verse rezitierte. Bei dem Feuer waren in der Nacht zum Montag die vier Mitglieder einer aus Bulgarien stammenden muslimischen Familie gestorben. Die Hintergründe der Tat sind weiter unklar, nach dem oder den Tätern wird weiter gefahndet.

Während des Trauerzuges wurden zahlreiche bulgarische und vereinzelt auch türkische Fahnen geschwenkt. Teilnehmer des Marsches trugen Bilder der bei dem Brand ums Leben gekommenen Familie vor sich her und riefen in Sprechchören auf Deutsch und Bulgarisch „Wir wollen Gerechtigkeit“, „Kein Hass in Solingen“ und „Wir fordern Aufklärung“. An der Absperrung vor dem Haus wurden Stofftiere, Blumen und Kerzen abgelegt. An dem Trauermarsch nahmen neben Vertretern von Stadt, Wohlfahrtsverbänden und Kirchen auch diplomatische Vertreter Bulgariens und der Türkei teil.

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Stiller Trauermarsch

Angereist waren etwa zwei bulgarische Parlamentarier: Halil Redzhepov Letifov von der bulgarischen Nationalversammlung und Ilhan Küçük, der seit 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments ist. Beide Politiker vertreten die Interessen der türkischen Minderheit in Bulgarien – einer Gruppe, der auch die Opfer des Brandanschlags angehörten. Ebenso wie die dreiköpfige Familie, die sich in der Brandnacht durch Sprünge aus dem Fenster zu retten versuchte und nun auf der Intensivstation befindet.

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Die Familien der Opfer und die Stadt Solingen hatten zu einem „stillen Trauermarsch“ eingeladen, Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) bat im Namen der Angehörigen darum, auf politische Botschaften zu verzichten. „Solingen steht zusammen, gerade auch in den schweren Stunden“, sagte er am Samstag. „Wir wollen den Opfern Solidarität erweisen und den Angehörigen Mitgefühl und Solidarität.“ Es dürfe nicht zugelassen werden, „dass das Böse unsere Herzen erstickt“.

Staatsanwalt: Rassismus nicht ausgeschlossen

Migrantenverbände und der Islamverband Ditib haben die Vermutung geäußert, dass es sich um einen rassistisch motivierten Brandanschlag handelte. Der zuständige Staatsanwalt Heribert Kaune-Gebhardt sagte dem „Evangelischen Pressedienst“ am Samstagnachmittag, ein extremistischer Hintergrund sei zwar nicht ausgeschlossen, es gebe dafür aber weiterhin keine Hinweise. Daher sei auch der Staatsschutz bislang nicht eingeschaltet worden. Die Ermittlungen würden weiterhin „komplett offen geführt“. Ein zwischenzeitlich festgenommener junger Mann war nach Überprüfung seines Alibis wieder freigelassen worden.

Der Vorsitzende des islamischen Ditib-Bundesverbands, Muharren Kuzey, sagte, der Brand wecke Erinnerungen an Pfingsten 1993, als vier junge Neonazis in Solingen das Haus der türkischstämmigen Familie Genç in Brand gesetzt hatten. Zwei Frauen und drei Mädchen im Alter von 4 bis 27 Jahren starben damals, weitere Familienmitglieder wurden teils lebensgefährlich verletzt. Die Tat war einer der folgenschwersten ausländerfeindlichen Anschläge der deutschen Nachkriegsgeschichte.

„Aggressive und ausgrenzende Stimmung im Land“

Die Superintendentin der Evangelischen Kirchenkreises Solingen, Ilka Werner, sagte, es sei verständlich, dass der Brand solche Erinnerungen wecke. Sie hoffe, dass „die Ermittlungen bald zu einem klaren Ergebnis führen“. Sie nehme eine „Angst vor der aggressiven und ausgrenzenden Stimmung im Land“ wahr.

Die Familie im Dachgeschoss des ausgebrannten Wohnhauses hatte dem in der Nacht gelegten Feuer nicht entkommen können. Das bulgarische Paar im Alter von 28 und 29 Jahren starb mit seinen drei Jahre und fünf Monate alten Kindern, weitere Menschen wurden verletzt. Nach dem vorläufigen Brandgutachten wurden laut Staatsanwaltschaft im hölzernen Treppenhaus des Gebäudes Reste von Brandbeschleuniger gefunden. Es habe sich daher um Brandstiftung gehandelt.

Brandanschlag von 1993 in Solingen: Das Verbrechen war einer der folgenschwersten rassistisch motivierten Anschläge der deutschen Nachkriegsgeschichte: Zwei Frauen und drei Mädchen wurden getötet, als vier junge Neonazis in der Nacht zum Pfingstsamstag 1993 das Haus der türkischstämmigen Familie Genç in der Unteren Wernerstraße in Solingen anzündeten. Auch damals wurde Brandbeschleuniger benutzt, und eine Flucht durchs Treppenhaus war durch die sich rasch ausbreitenden Flammen versperrt. Der Anschlag von 1993, der vor dem Hintergrund einer aggressiven Asyldebatte in einem fremdenfeindlichen gesellschaftlichen Klima verübt wurde, rief weltweit Entsetzen hervor. Das Bild vom Haus mit dem ausgebrannten Dachstuhl ging um die Welt. In den Flammen verbrannten und erstickten Hatice Genç (18), Gülüstan Öztürk (12), Hülya Genç (9) und Saime Genç (4). Die 27 Jahre alte Gürsün Ince starb beim Sprung aus dem brennenden Haus. Weitere Familienmitglieder wurden schwer verletzt, drei von ihnen lebensgefährlich. Die vier Brandstifter aus der Neonazi-Szene wurden 1995 zu Haftstrafen verurteilt: Ein 23-jähriger erhielt 15 Jahre Gefängnis, seine drei Komplizen im Alter von 16 bis 20 Jahren die im Jugendstrafrecht vorgesehene Höchststrafe von zehn Jahren. Alle vier kamen bis 2005 wieder auf freien Fuß, drei von ihnen vorzeitig. (epd/mig)

Leitartikel Panorama
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