„Globaler Präzedenzfall“?
Großbritannien hebelt mit Gesetz Abschiebeverbot nach Ruanda aus
„Stop the boats“, die Boote stoppen, lautet das Versprechen von Premier Sunak: Wer ohne Papiere nach Großbritannien kommt, soll abgeschoben werden. Das Vorhaben stieß auf Widerstand – bis jetzt. Auf dem Spielt steht nun der Rechtsstaat. Menschenrechtler sehen Bruch internationaler Verpflichtungen.
Dienstag, 23.04.2024, 10:53 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 23.04.2024, 12:49 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Nach wochenlangen Diskussionen hat der britische Premierminister Rishi Sunak ein Gesetz zum umstrittenen Asylpakt mit Ruanda durchs Parlament gebracht. Migrantinnen und Migranten sollen ungeachtet ihrer Herkunft in das ostafrikanische Land abgeschoben werden, wenn sie unerlaubt nach Großbritannien einreisen. Der Entwurf, dem das Oberhaus in der Nacht zum Dienstag nach langem Widerstand zustimmte, erklärt Ruanda per Gesetz zum sicheren Drittstaat. Damit will die Regierung Einsprüche vor britischen Gerichten gegen Abschiebungen verhindern.
Dias Oberhaus – das House of Lords – als zweite Parlamentskammer hatte mehrmals Änderungsanträge beschlossen, die dann in einem zeitaufwendigen Verfahren vom Unterhaus rückgängig gemacht wurden. Schließlich gab das House of Lords seinen Widerstand auf. Damit kann der Gesetzentwurf von König Charles III. mit seiner Unterschrift in Kraft gesetzt werden.
Sunak: Gesetz zum Asylpakt ist bahnbrechend
Es sei ein „bahnbrechendes Gesetz“ im Kampf gegen irreguläre Migration, erklärte Sunak am Dienstag. Nun gehe es darum, die Abschiebeflüge nach Ruanda auf den Weg zu bringen. „Ich bin mir sicher, dass uns nichts im Weg stehen wird, dies zu tun und Leben zu retten“, sagte der konservative Premier. Mit dem Gesetz würden gefährdete Menschen von der gefährlichen Fahrt in Schlauchbooten über den Ärmelkanal abgeschreckt und das Geschäftsmodell von Menschenschmugglern zerstört, sagte Sunak.
Experten bezweifeln, dass das Vorhaben Flüchtlinge von der Überfahrt abhalten wird. Menschenrechtler sehen zudem einen Bruch internationaler Verpflichtungen zum Asylschutz und werfen Ruanda Menschenrechtsverletzungen vor. Kritisiert wird auch, dass Hunderte Millionen Pfund britische Steuergelder an Ruanda gezahlt werden, aber vermutlich nur ein Bruchteil der irregulär eingereisten Menschen abgeschoben wird. Zudem sei die Unterbringung von Geflüchteten in Großbritannien billiger als die Abschiebung nach Ruanda.
Keine Papiere – kein Asyl in Großbritannien
Der Asylpakt mit Ruanda sieht vor, dass eingereiste Geflüchtete ohne gültige Einreisedokumente – die Norm bei Flucht – in Großbritannien keine Gelegenheit mehr zum Antrag auf Asyl erhalten sollen. Sie sollen stattdessen nach Ruanda gebracht werden und dort Asyl beantragen. Eine Rückkehr nach Großbritannien ist nicht vorgesehen. Der Plan war erstmals vor zwei Jahren vom damaligen Premierminister Boris Johnson vorgebracht worden. Mit der Regelung sollen Menschen von der Überfahrt in kleinen Booten über den Ärmelkanal abgehalten werden.
Premier Sunak kündigte an, einstweilige Verfügungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen den Asylpakt mit Ruanda zu ignorieren. Zugleich betonte er am Montag, sein Vorgehen stehe nicht im Konflikt mit internationalem Recht.
UN-Kritik: besorgniserregender Präzedenzfall
Dieser Auffassung widersprachen zwei UN-Hochkommissare am Dienstag. Das britische Gesetz werde schädlichen Auswirkungen auf die globale Verantwortungsteilung, die Menschenrechte und den Flüchtlingsschutz haben, erklärten sie in Genf. Die Hochkommissare für Flüchtlinge, Filippo Grandi, und für Menschenrechte, Volker Türk, forderten die britische Regierung auf, ihren Plan zu überdenken. Die Regierung solle stattdessen praktische Maßnahmen ergreifen, um irreguläre Flüchtlings- und Migrantenbewegungen durch internationale Zusammenarbeit und Achtung der Menschenrechtsnormen zu bewältigen.
Grandi sagte, die Gesetzgebung sei ein weiterer Schritt weg von der langen Tradition des Vereinigten Königreichs, Menschen in Not zu helfen und verstoße gegen die internationale Flüchtlingskonvention. Die Briten versuchten, die Verantwortung für den Flüchtlingsschutz zu verlagern und schafften einen besorgniserregenden globalen Präzedenzfall.
Abschiebungen sollen in zehn bis zwölf Wochen beginnen
Die erste Maschine solle in zehn bis zwölf Wochen abheben, kündigte Sunak an. Bisher hatte die Regierung den ersten Abflug für den Frühling angekündigt. Für die Abschiebungen seien kommerzielle Charterflüge gebucht worden. Zudem seien Hunderte Sachbearbeiter und Richter auserkoren, um mögliche Klagen zu bearbeiten.
Der einzige Flug, der bisher nach Ruanda abheben sollte, wurde per einstweiliger Verfügung vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in letzter Minute gestoppt. Später erklärte das oberste Gericht in Großbritannien den Asylpakt für rechtswidrig. Mit dem Ruanda-Gesetz soll dieses Urteil nun ausgehebelt werden.
Für die konservative Regierung, die angesichts eines gewaltigen Rückstands in den Umfragen im Jahr der Parlamentswahl unter erheblichem Druck steht, ist die irreguläre Migration ein Ärgernis. Jährlich kommen Zehntausende über den Ärmelkanal ins Land, es gibt aber kaum Aufnahmekapazitäten. (dpa/mig) Aktuell Ausland
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