Netz an Immobilien
Mehr Fälle rechter Gewalt in Sachsen gezählt
Die Zahl rechtsmotivierter Angriffe, die eine Opferberatungsstelle in Sachsen beobachtet hat, ist 2023 gestiegen. Neben den Großstädten sieht sie auch einige Landkreise als Schwerpunkte. Die Zahl rechtsextremer Konzerte stagniert, dafür haben Rechtsextreme mehr Objekte.
Donnerstag, 25.04.2024, 12:49 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 25.04.2024, 12:49 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Im vergangenen Jahr haben Opferberatungsstellen in Sachsen deutlich mehr Fälle rechter Gewalt gezählt. Von 248 rechtsmotivierten Angriffen waren mindestens 380 Menschen betroffen, wie die Opferberatung Support des RAA Sachsen in Dresden bei der Vorstellung ihrer Jahresstatistik mitteilte. Die Zahl sowohl der Angriffe als auch der Opfer stieg demnach um 21 Prozent im Vergleich zu 2022. Schwerpunktregionen seien neben den Großstädten Leipzig (70), Dresden (42) und Chemnitz (23) erneut auch die Landkreise Zwickau (21), Leipzig (17) und Bautzen (17) gewesen – sowie zum ersten Mal auch Görlitz (17).
„Der Anstieg rechtsmotivierter Gewalt in Sachsen ist mit Blick auf die bevorstehenden Kommunal- und Landtagswahlen besorgniserregend“, sagte Andrea Hübler, Geschäftsführerin der Beratung RAA Sachsen. Gerade in Wahlkampfzeiten sei damit zu rechnen, dass politische Gegner ins Visier gerieten. Hübler zufolge sind alle demokratischen Parteien betroffen, besonders aber Grüne und Linke als Hauptfeindbild der extremen Rechten sowie Menschen, die sich gegen rechts und für Demokratie einsetzen. Auch Sozialministerin Petra Köpping nannte die Zahlen besorgniserregend. „Jeder einzelne Übergriff ist ein Angriff auf die Demokratie und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft“, sagte sie laut einer Mitteilung.
Körperverletzungen überwiegen, Bedrohungen nehmen zu
Bei den Angriffen handelte es sich überwiegend um Körperverletzungsdelikte (157). Etwa die Hälfte davon wurde aus rassistischen Motiven verübt. In vielen Fällen griffen die Täter spontan an, es gab jedoch auch gezielte Attacken, wie etwa einen Angriff maskierter Männer auf ein von Geflüchteten bewohntes Haus in Sebnitz im Juli 2023. Hinzu kamen 79 Fälle von Nötigung oder Bedrohung, 32 mehr als im Vorjahr. Diese haben laut Hübler wieder eine zunehmende Bedeutung im Bereich der rechtsmotivierten Gewalt. Besonders in Regionen, in denen rechte Gruppen dominieren, herrsche ein Bedrohungsklima. „Betroffene ziehen sich zurück und passen ihren Alltag auf die Bedrohungen an.“
Die zunehmende rechte Gewalt sei ein massives Problem für die demokratische Gesellschaft, sagte Jakob Springfeld, Autor und Student aus Zwickau, der selbst mehrfach zum Opfer rechter Gewalt wurde. „Jeder Anstieg in dieser Statistik bedeutet, dass die Hürde steigt, sich politisch zu engagieren.“ So gebe es vielerorts Probleme, die Wahllisten zu füllen, weil die Kandidaten Angriffe befürchten müssen.
In den meisten Fällen rassistisches Motiv
Bei den Motiven überwiegt laut Statistik Rassismus mit 129 Fällen – 36 Prozent mehr als 2022 (95). Einen deutlichen Anstieg hat RAA Sachsen mit sechs Angriffen auch bei antisemitisch motivierten Gewalttaten beobachtet, drei davon gegen Teilnehmer von Kundgebungen in Solidarität mit Israel nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober. 33 Angriffe richteten sich gegen politische Gegner, 29 gegen Nichtrechte und Alternative, 20 gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität, zwei gegen Wohnungslose und zwei gegen Menschen mit Behinderung. In 26 Fällen blieb das konkrete Tatmotiv unklar.
Angegriffen wurden in erster Linie Erwachsene (204). Hübler unterstrich jedoch, dass auch Jugendliche (60) und Kinder (32) zu den Opfern zählten. „Das hat Folgen für deren ganzes Leben.“ Auch an Schulen würden immer wieder Taten registriert. Als Beispiel nannte Hübler einen Übergriff zweier Schüler in Brandis (Landkreis Leipzig), die einer Mitschülerin ein Hakenkreuz in die Haare rasierten.
Die Täter ordnete Hübler zwei Gruppen zu. Einerseits handle es sich um organisierte Neonazis, die auch überregional tätig seien, etwa bei den Jungen Nationaldemokraten (JN), Jugendorganisation der Partei „Die Heimat“ (früher NPD) oder der Partei Dritter Weg. Andererseits würden aber auch immer wieder Bürgerinnen und Bürger mit stark ausgeprägten rechtsextremen Einstellungen diesen Einstellungen Taten folgen lassen.
Rechtsextreme nutzen in Sachsen 35 Immobilien
Nach Einschätzung der Linken-Politikerin Kerstin Köditz haben Rechtsextremisten auch ihr Netz an Immobilien in Sachsen 2023 erneut ausbauen können. Die Landtagsabgeordnete beruft sich auf eine Antwort des Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage, wonach 35 Objekte als „rechtsextremistisch genutzte Immobilien“ eingestuft sind. „Es handelt sich um einen neuen Höchststand, seitdem im Jahr 2017 eine bundeseinheitliche Zählung eingeführt wurde. 2022 waren im Freistaat 28 solcher Objekte bekannt, 2021 waren es 26“, betonte Köditz, die im Landtag regelmäßig Anfragen zum Thema Rechtsextremismus stellt.
Die meisten Anlaufpunkte – jeweils fünf – gebe im Landkreis Mittelsachsen und in Chemnitz. Das Innenministerium hatte in einer Tabelle unter anderem die Objekte „Aryan Brotherhood Eastside“ in Bautzen, einen Treffpunkt der Gruppierung „Black Devils“ in Hoyerswerda und ein Vereinshaus des „Nationalen Jugendblocks“ in Zittau aufgelistet. Nach derzeitigem Kenntnisstand befänden sich zwei der aufgeführten Einrichtungen und Grundstücke in öffentlicher Hand, teilte das Innenministerium mit. „Es liegen weitere Erkenntnisse vor, die aus Gründen des Datenschutzes nicht mitgeteilt werden können“, hieß es außerdem.
Konzerte und Liederabende stagnieren
„Besonders bedeutsam sind Veranstaltungsstätten für Konzerte und sogenannte Liederabende, die zugleich eine wichtige Einnahmequelle für die Szene darstellen“, erklärte Köditz. Im Laufe des Jahres 2023 habe es mindestens 22 Live-Musik-Veranstaltungen mit extrem rechtem Hintergrund gegeben. Das lasse sich aus monatlichen Kleinen Anfragen zu dem Thema ablesen. Damit stagniere der Konzertbetrieb. Im Jahr zuvor seien es 23 relevante Termine gewesen.
„Einen Dämpfer erhielt die Szene zuletzt mit dem Wegfall einer wichtigen Konzertstätte in Staupitz im Landkreis Nordsachsen, aber auch durch ein entschlosseneres behördliches Einschreiten“, betonte Köditz. So seien insgesamt sechs Musik-Events aufgelöst oder bereits im Vorfeld verhindert worden. Ein vergleichbar konsequentes Vorgehen habe es zuvor nie gegeben, im Jahr 2022 seien sogar alle Konzerte unbehelligt über die Bühne gegangen. An dem Kurswechsel müsse man unbedingt festhalten. Das Innenministerium listet 26 Internetseiten von rechtsextremistischen Bands und Liedermachern auf. Sie tragen Namen wie „Blutzeugen“, „Sturmkrieger“, „Stahlfront“ oder „Kameradschaft Treue Ehre“. (dpa/mig) Aktuell Panorama
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