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Sabine Schiffer, Medien, Islam, Migranten, Muslime, Minderheiten
Prof. Dr. Sabine Schiffer © MiG

Wohlfühldiskurs

Mit Islamophobie gegen Antisemitismus

Israel? Palästina? Am Ende steht das Wohlbefinden der Deutschen über allem. Es geht immer nur um uns selbst. Der importierte Antisemitismus kommt da genau richtig, die Schuldentlastung durch den Islam ebenso.

Von Dienstag, 14.05.2024, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 14.05.2024, 13:54 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Als 2004 das islamophobe Blog „politically incorrect“ (pi) aus der Taufe gehoben wurde, trug die Website im Titel neben dem auffälligen „proamerikanisch“ auch die Selbstbezeichnung „proisraelisch“. Das trickreiche Label reichte u. a. dem deutschen Inhaltsgeheimdienst Verfassungsschutz wegzusehen, obwohl sich neben offener antimuslimischer Hassrede und Volksverhetzung auch immer wieder antisemitische Äußerungen finden ließen. Aber die Milchmädchenrechnung lautete: Wer für Israel ist, ist für Juden, ergo kein Antisemit und somit auch kein Rechtsextremist – also auch kein Beobachtungsfall. Damit war „pi“ lange erfolgreich.

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Hätten die Behörden sowie Medien und Öffentlichkeit genauer hingeschaut, könnten sie vielleicht heute besser erkennen, dass die überzogen antimuslimischen Verschwörungstheorien, die sich auf dem Blog entspannen, heute in einer links-liberalen Version Mainstream geworden sind. Gerade in Bezug auf den Terroranschlag vom 7. Oktober 2023 sowie den Israel-Gaza-Krieg wird das deutlich.

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Denn es geht, wie nicht nur der Schriftsteller Max Czollek feststellte, immer nur um uns selbst. Dazu seien unbedingt seine Bücher Gegenwartsbewältigung und Versöhnungstheater empfohlen. Das Wohlbefinden der Deutschen steht über allem, was in Sachen Antisemitismusbekämpfung, Staatsräson und der aktuellen Kriminalisierung von Protest erörtert wird. Das erklärt zum Teil die diskursiven Umdeutungsversuche von Protest gegen die bedingungslose Unterstützung der israelischen Regierung vonseiten der deutschen Politik in Richtung Islamismus. Dazu gehört auch die Diskursverengung, wenn es um universelle Menschenrechte und das Völkerrecht im Nahostkonflikt geht.

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„Wenn ein dick aufgetragener Israelfetisch so weit geht, dass das Menschen- und Völkerrecht im Fall israelischer Staatspolitik nicht gelten soll, dann ist etwas auf den Fugen geraten.“

Denn wenn ein dick aufgetragener Israelfetisch so weit geht, dass das Menschen- und Völkerrecht im Fall israelischer Staatspolitik nicht gelten soll, dann ist etwas auf den Fugen geraten. Die vehemente Verteidigung dieses symbolhaften Garanten für die (angebliche) deutsche Aufarbeitung der Holocaust- und Nazi-Geschichte spricht Bände über ein Wunschdenken der Läuterung, zu dem ein selbstattestiertes wieder-Gutsein gehört (vgl. Weizsäcker-Rede) – und davon abgegrenzt als willkommene Projektionsfläche das Schlechtsein anderer; Stichwort: importierter Antisemitismus. Zur „Gnade der späten Geburt“ kommt nun noch die Gnade der Schuldentlastung durch den Islam als Projektionsfläche hinzu.

„Wer diesen Wohlfühldiskurs stört, wird – nach lange eintrainierten islamophoben Diskursmustern – als ‚islamistisch‘ oder dem ‚politischen Islam‘ angehörig geframet.“

Wer diesen Wohlfühldiskurs stört, wird – nach lange eintrainierten islamophoben Diskursmustern à la „pi“ & Co. – als „islamistisch“ oder dem „politischen Islam“ angehörig geframet. So lässt sich die etwas unvermittelt aufploppende Zuweisung nach dem Canceln des Palästina-Kongresses in Berlin durch Bundesinnenministerin Faeser als „islamistisch“ erklären, obwohl neben Deutschen und Palästinensern auch deutsche und israelische Juden die Veranstaltung trugen und von der Polizei verhaftet wurden. Auch der ruppige Umgang der Bildungsministerin Stark-Watzinger mit „pro-palästinensischen“ Protesten an den Universitäten, welchen sie über das Boulevardblatt „Bild“ aus dem Hause Springer lancierte, fällt in dieses Raster.

Bei Springer gehört der Israelfetisch quasi zum Geschäftsmodell und bedarf der Unterzeichnung einer entsprechenden „pro-israelischen“ Erklärung beim Arbeitsantritt in den Redaktionen. Der Online-Dienstleistungskonzern Springer AG, der einen erheblichen Teil seines Umsatzes mit sog. Classifieds erwirtschaftet, vertreibt zudem auch das israelische Immobilienportal Yad2, in dem bereits jetzt palästinensisches Land zum Verkauf angeboten wird. Nicht wenige Medien griffen den Tenor auf und beschuldigen nun sogar Hochschullehrende, sie würden „die Auslöschung Israels“ befürworten oder in Kauf nehmen. Ein rationaler Diskurs scheint nicht mehr möglich.

„Von der Gleichwertigkeit palästinensischen Lebens… sind wir da noch Lichtjahre entfernt.“

Die Kombination aus der Ablenkung von den vorgetragenen Menschheitsverbrechen auf „Judenhass“ mit lange kultiviertem antimuslimischem, antiarabischem und antipalästinensischem Rassismus ermöglicht der deutschen Regierung die Fortsetzung einer in Teilen völkerrechtsverletzenden Politik – ganz so wie es das Reut-Institute in Tel Aviv einst für die israelische Regierung ersonnen hat; damit diese ihre Politik nicht ändern müsse, gibt es einen Katalog von Diffamierungsstrategien, die immer in Antisemitismusvorwürfen enden. Dass Deutsche damit dem vorgeblichen Kampf gegen Antisemitismus einen Bärendienst erweisen, nimmt man in Kauf. Denn es geht ja in Wirklichkeit doch wieder nur um uns; auch Israel opfert man da notfalls auf dem Silbertablett deutscher Selbstbeweihräucherung. Von der Gleichwertigkeit palästinensischen Lebens, wie es etwa der seine Studierenden verteidigende Musiker Michael Barenboim nicht müde wird zu erinnern, sind wir da noch Lichtjahre entfernt. In einem rbb-Interview kritisiert er zu Recht: „Die Menschenrechte gelten für alle, außer anscheinend für Palästinenser.“

Während man in Deutschland über Begriffe, Personen (vorzugsweise migrantisch markierte) und Proteste sowie den richtigen Umgang mit der Thematik streitet, rückt die Befreiung israelischer Geiseln in Gaza in den Hintergrund und geht das Töten und die Vertreibung der Palästinenser weiter im vorgeblichen „Kampf gegen die Hamas“. Während deren Existenz in Gaza die israelische Propaganda noch plausibel erscheinen lassen kann, fehlt diese Begründung in der Westbank und in Ostjerusalem sowie der Negev, wo im Windschatten der Aufmerksamkeit Vertreibung, Ermordung und Landgrabbing massiv vorangetrieben werden – nach dem 7.10. noch mehr als vorher schon.

Ich erspare uns die üblich gewordenen Diskursrituale von Selbstverständlichkeiten, die zur Klärung der Sachverhalte nichts beitragen – sondern wiederum nur der Eigendarstellung dienen – denn es geht um viel, um Menschenleben allerorten und das aufs-Spiel-setzen mühsam errungener Rechtsnormen (s. Philippe Sands Lecture 2024).

Mehr zu den Entwicklungen hin zu den heutigen Diskursverdrehungen in: Wagner/Schiffer (2021): Antisemitismus und Islamophobie. (2. Aufl.) Westend-Verlag.

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  1. Martin Stenzel sagt:

    Die Beiträge in MiGAZIN sind so wertvoll, dass das frühe Aufstehen gar nicht so schwer fällt. Danke für den wichtigen Beitrag!
    Die differenzierte Sicht auf die Dinge, das ist es, was – meiner Meinung nach – die guten Artikel ausmacht.

  2. Hermann sagt:

    „Dazu gehört auch die Diskursverengung, wenn es um universelle Menschenrechte und das Völkerrecht im Nahostkonflikt geht.“

    Da stimme ich voll und ganz zu. Was ist mit den Menschenrechten der Kurden, denen der Yeziden? Welche Menschenrechte gelten für die Iraner, die Iraker, die Einwohner Saudi-Arabiens? Welche Menschenrechte achten in der Westbank und im Gazastreifen Hamas und Autonomiebehörde PA / PNA und Fatah?
    Halten sich Hamas und Hezbollah ans Völkerrecht?

    Mir scheint, der Wohlfühldiskurs entspringt einem Palästinafetisch.