Qualifikation durch Migration
Wie Korrosion Samim nach Deutschland verschlug
In Tunesien war Samim Arbeitgeber von 48 Personen. Korrosion führte zur Insolvenz, die Insolvenz trieb ihn nach Deutschland. Hier ist er selbst Arbeitnehmer – und froh darüber. Mit seiner heutigen Erfahrung und seinem Wissen blickt er wieder zurück in seine Heimat und gründet in Gedanken schon ein neues Unternehmen.
Samstag, 01.06.2024, 0:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 03.06.2024, 6:39 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Vor sieben Jahren traf Samim eine Entscheidung, die sein Leben grundlegend verändern sollte. Er packte seine Sachen, verabschiedete sich von Freunden und Familie und machte sich auf den Weg von Tunesien nach Deutschland. Heute lebt und arbeitet er in Deutschland, verlegt industrielle Rohrleitungen und blickt mit gemischten Gefühlen auf die vergangene Zeit zurück.
In seiner Heimat Tunesien war Samim sein eigener Chef. Er führte ein Unternehmen in der Baubranche, das sich auf das Verlegen von industriellen Rohrleitungen spezialisiert hatte. Doch trotz seiner Bemühungen und seines Fachwissens kämpfte er gegen ein allgegenwärtiges Problem: Korrosion. Das Problem gibt es auch in Deutschland. Nur ist das Wissen fortgeschrittener.
Nach Angaben des Branchenexperten BRUGGPipes – Rohrsysteme führen aggressive Wasserchemie und hohe Temperaturen in Fernwärmesystemen zu Lochfraßkorrosion, die kleine Löcher im gesamten Rohrnetz verursachen. Diese Schwachstellen beeinträchtigten die strukturelle Integrität der Rohre und die Effizienz der Wärmeübertragung, was sowohl für die Umwelt als auch für sein Geschäft verheerende Folgen hatte. Was sich hier wie Fachchinesisch anhört, ist für Samim eine Offenbarung. Klar hatte er auch schon in Tunesien viel über Korrosion gelernt, aber nicht so viel über das Zusammenwirken unterschiedlicher Materialien und Substanzen. Und noch etwas war in Tunesien anders: Man verlegte die Rohre und guckte oft wieder danach, wenn es ein Problem gab, es also schon zu spät war. In Deutschland hingegen habe Wartung einen anderen Stellenwert und rechne sich langfristig.
„Nicht nur schlecht für die Umwelt“
„Die Lecks waren nicht nur schlecht für die Umwelt in meiner Heimat, sondern auch extrem teuer zu reparieren“, erinnert sich Samim. „Wir hatten immer wieder Probleme, und letztendlich ging mein Unternehmen in die Insolvenz.“ Die stetigen finanziellen Verluste und der Druck, den Betrieb aufrechtzuerhalten, führten Samim zu einem drastischen Entschluss. Er beschloss, sein Glück in der Ferne zu suchen. Und weil er bereits ein paar Bekannte in Deutschland hatte, verschlug es ihn nach Hessen, in der Hoffnung, neue Möglichkeiten zu finden und seine Familie zu unterstützen.
Problem: Wer in Deutschland arbeiten möchte, benötigt zunächst ein Visum und eine Arbeitserlaubnis. Samim hatte Glück, weil Deutschland seine Einreisebestimmungen für ausländische Fachkräfte lockerte. Mit seinem Hochschulabschluss und seiner Berufserfahrung war es für ihn vergleichsweise einfach, die gültigen Einreisedokumente zu bekommen.
In Deutschland angekommen, fand Samim Arbeit in der Rohrleitungsbranche – natürlich als Arbeitnehmer. Er begann bei einem deutschen Unternehmen, das ihm nicht nur eine sichere Anstellung, sondern auch neue Erkenntnisse über die Materialwahl und den Umgang mit Korrosion vermittelte. „Ich hätte früher in Deutschland arbeiten sollen“, sagt Samim nachdenklich. „Mit dem Wissen, das ich hier gesammelt habe, hätte ich mein Unternehmen in Tunesien anders geführt.“
„Wenn ich das früher gewusst hätte“
Samim hat gelernt, dass verschiedene Formen von Korrosion unterschiedliche Materialien und vorbeugende Maßnahmen erfordern. Spaltkorrosion beispielsweise tritt in engen Räumen und Verbindungsstellen auf, wo sich stehendes Wasser oder Ablagerungen ansammeln. Gleichmäßige Korrosion hingegen betrifft die gesamte Rohroberfläche und führt zu einer Materialausdünnung. Eine besonders herausfordernde Form ist die galvanische Korrosion, die durch die elektromechanische Wechselwirkung zwischen verschiedenen Metallen in Anwesenheit eines Elektrolyten ausgelöst wird. Dies führt dazu, dass eines der Metalle schneller korrodiert.
Eine der bedeutendsten Lektionen, die Samim gelernt hat, betrifft die korrosionshemmende Wirkung bestimmter Materialien und Technologien. Moderne Werkstoffe und fortschrittliche Technologien können das Risiko von Korrosion erheblich reduzieren. Regelmäßige Wartung und der Einsatz von Schutzmaßnahmen sind entscheidend, um die Langlebigkeit und Zuverlässigkeit von Rohrleitungssystemen zu gewährleisten. „Wenn ich das alles früher gewusst hätte, hätte ich meine Geschäftsstrategie in Tunesien komplett geändert“, gibt Samim zu. „Ich hätte Materialien verwendet, die weniger anfällig für Korrosion sind, und regelmäßige Wartungsarbeiten eingeplant.“
Trotz der Herausforderungen, denen er in Deutschland begegnet ist, schätzt Samim die Stabilität und Sicherheit seiner Anstellung. Doch die Realität des Arbeitsmarktes für Migranten ist oft hart. Viele seiner Kollegen stammen ebenfalls aus dem Ausland und arbeiten unter schwierigen Bedingungen. Die meisten sind bei Subunternehmen angestellt und erhalten für dieselbe Arbeit deutlich weniger Lohn als ihre deutschen Kollegen – ein Problem, das es so auch in anderen Branchen gibt. Ähnliche Strukturen gab es auch in Tunesien, nur nicht so ausgeklügelt. „Es ist nicht einfach in Deutschland, aber es ist besser als die Unsicherheit in Tunesien“, sagt Samim.
„Ich möchte etwas zurückgeben“
Sein langfristiges Ziel ist es dennoch, eines Tages nach Tunesien zurückzukehren und dort ein neues Unternehmen aufzubauen – diesmal mit dem Wissen und den Erfahrungen, die er in Deutschland gesammelt hat. „Ich möchte etwas zurückgeben und dazu beitragen, die Situation in meinem Heimatland zu verbessern“, erklärt er. „Mit den richtigen Materialien und Techniken kann ich vielleicht dazu beitragen, die Umweltverschmutzung zu reduzieren und wirtschaftliche Chancen zu schaffen.“
Samims Geschichte ist eine von vielen, die zeigen, wie Migration nicht nur das Leben Einzelner verändert, sondern auch Wissen und Fähigkeiten zwischen Ländern transferiert. Trotz aller Herausforderungen und Rückschläge bleibt Samim optimistisch. Er ist fest entschlossen, die in Deutschland gewonnenen Erkenntnisse zu nutzen, um in Tunesien etwas Neues aufzubauen.
„Eines Tages werde ich zurückkehren“, sagt er. „Und dann werde ich bereit sein, ein erfolgreiches Unternehmen zu führen, das nicht nur wirtschaftlich erfolgreich ist, sondern auch einen positiven Beitrag für die Umwelt und die Gesellschaft leistet.“ Samims Traum ist es, eine Brücke zwischen Deutschland und Tunesien zu schlagen und seine Erfahrungen als Grundlage für eine bessere Zukunft zu nutzen. Bis dahin arbeitet er weiter hart, lernt und bereitet sich auf den Tag vor, an dem er wieder sein eigener Chef sein wird. (dd) Wirtschaft
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