Hanau, Rassismus, Rechtsextremismus, Opfer, Gedenken
Hanau ein Jahr nach dem rassistisch motivierten Anschlag © Szene aus epd-Video, bearb. MiG

Anschlag von Hanau

Entschuldigung nach mehr als vier Jahren

Vor mehr als vier Jahren erschütterte der Anschlag von Hanau die Menschen. Nun erläutert Minister Poseck, welche Konsequenzen in der Polizeiarbeit gezogen wurden. Und spricht eine Entschuldigung aus – mehr als vier Jahre nach der Untat.

Donnerstag, 13.06.2024, 16:10 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 13.06.2024, 16:13 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Mehr als vier Jahre nach dem rassistischen Anschlag von Hanau hat sich Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) bei den Hinterbliebenen entschuldigt. Rund um das Geschehen seien Fehler gemacht worden, auch seitens der Polizei, sagte er am Donnerstag in Wiesbaden. Das betreffe etwa den nicht erreichbaren Notruf in der Tatnacht sowie die Umstände der Überbringung der Todesnachricht. „Hier sind weitere Verletzungen und Schmerzen aufseiten der Angehörigen entstanden“, sagte Poseck. „Das tut mir über alle Maßen leid und ich entschuldige mich ausdrücklich für die Fehler, die passiert sind.“ Er habe dies vor wenigen Tagen bereits bei einem Treffen mit Hinterbliebenen deutlich gemacht, es sei ein weiteres Gespräch im Sommer geplant.

„Fehler sind bei einem so außergewöhnlichen Ereignis, wie es natürlich dieser Terroranschlag in Hanau auch für unsere Polizei gewesen ist, wahrscheinlich nie ganz vermeidbar“, sagte Poseck. „Aber wir müssen feststellen, dass die Polizei den hohen Anforderungen, die sie an sich selbst stellt und die wir an sie stellen, an einigen wichtigen Stellen nicht gerecht geworden ist.“ Der Minister bekräftigte auch, dass die Beamtinnen und Beamten, die in der Tatnacht und danach im Einsatz waren, engagiert und aufopferungsvoll gehandelt hätten.

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Grünen-Fraktion: „Endlich gibt es eine Entschuldigung“

Die innenpolitische Sprecherin der hessischen Landtags-Grünen, Vanessa Gronemann, erklärte: „Endlich gibt es eine Entschuldigung gegenüber den Opfern und Angehörigen des rassistischen Anschlags in Hanau aus dem Innenministerium.“ Damit hole Poseck das nach, was ihnen durch seinen Vorgänger Peter Beuth und Ministerpräsidenten Boris Rhein (beide CDU) verwehrt geblieben sei.

Am 19. Februar 2020 hatte ein deutscher Täter in Hanau neun junge Menschen aus rassistischen Motiven erschossen. Danach tötete er seine Mutter und sich selbst. Ein Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags hatte sich mit der Tat befasst und in seinem 750-seitigen Abschlussbericht 60 Handlungsempfehlungen genannt – ein Großteil fällt in die Zuständigkeit des Innenressorts.

Hintergrund: Der parlamentarische Untersuchungsausschuss zum Anschlag von Hanau verabschiedete im Dezember 2023 nach mehr als 40 Sitzungen seinen Abschlussbericht mit Handlungsempfehlungen. Es waren zuvor mehr als 80 Zeugen und rund ein Dutzend Sachverständige gehört worden. Zu den prominentesten Zeugen zählte der damalige Innenminister von Hessen, Peter Beuth (CDU). Das Gremium war im Juli 2021 zu seiner ersten Sitzung zusammengekommen. Der Untersuchungsausschuss sollte unter anderem klären, ob es vor, während und nach der Tat zu Behördenversagen kam. Die dem Ausschuss des hessischen Landtags übersandten Akten umfassten rund 326.000 Seiten. Hinzu kamen elektronische Daten wie Excel-Tabellen, Bilder sowie Videos mit einer Gesamtdauer von mehreren Tagen.

„Anschlagsbutton“ soll Warteschleife bei Notrufen verkürzen

Poseck kündigte unter anderem an, dass die polizeiliche Opfer- und Angehörigenbetreuung verbessert werde. Künftig solle gewährleistet sein, dass im Fall der Fälle die Opfer und Angehörigen einen Ansprechpartner haben, der für sie zur Verfügung steht. Das Thema Obduktion und der Umgang mit Angehörigen im Zusammenhang von Obduktionen soll zum Lerninhalt in der Polizeiausbildung werden.

Außerdem sei ein Notrufkonzept mit einem „Anschlagsbutton“ entwickelt worden, sagte Poseck. Wird der Knopf gedrückt, nähmen alle sieben hessischen Leitstellen Notrufe entgegen. Das verkürze die Warteschleife, die bei einer besonderen Vielzahl von Anrufen über die 110 eintreten kann.

Nur Querulant oder gefährlich? Verfassungsschutz schaut genauer hin

Um früher auf mögliche Täter aufmerksam zu werden, werde beim Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) ein Amokpräventionszentrum eingerichtet, in dem sich die Sicherheitsbehörden eng austauschen, sagte der Minister. Beim Landesamt gebe es zudem neue Vorgaben zum Umgang mit auffälligen Bürgereingaben. „Das heißt konkret, dass diese nicht mehr so schnell einfach abgelegt und zur Seite gelegt werden, sondern dass sie auch an zuständige Behörden weitergegeben werden“, erläuterte Poseck. Damit sollen diejenigen, die tatsächlich gefährlich sind, besser von Querulanten, die nicht gefährlich sind, unterschieden werden können.

Der Innenminister kündigte zudem an, sich dafür einzusetzen, dass keine Waffen in die Hände von psychisch Erkrankten gelangen. Derzeit werde darüber beraten, wie Waffenbehörden noch besser durch Ärzte und Kliniken über psychische Erkrankungen informiert werden können. Um extremistische Waffenträger früher zu erkennen, solle enger mit den rund 1.000 hessischen Schützenvereinen zusammengearbeitet werden.

„Der 19. Februar 2020 löst bis heute Trauer und Entsetzen aus. Mich persönlich macht das Leid der Opferfamilien tieftraurig“, sagte Poseck. „Wir dürfen das Attentat von Hanau und die Opfer niemals vergessen. Wir sind gerade jetzt verpflichtet, die richtigen Lehren für die Zukunft zu ziehen, damit sich so etwas Furchtbares in unserem Land niemals wiederholen kann.“ (dpa/mig) Leitartikel Panorama

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