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Frau hinter einem Fenster (Symbolfoto) © Free-Photos @ pixabay.com (Lizenz), bearb. MiG

Viele immer noch in Gefahr

Ortskraft aus Afghanistan: „Am Anfang habe ich nur geweint“

Vor fast drei Jahren endete der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Mit der Machtübernahme der Taliban brach das Chaos aus. Zahlreiche Ortskräfte und ihre Familien sind noch immer in Gefahr. Eine von ihnen ist die Familie von Amena Rahemy. Grüne fordern: Aufnahmeverfahren an Realität anpassen.

Von Sonntag, 23.06.2024, 13:55 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 23.06.2024, 13:55 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Während im politischen Berlin gerade darüber diskutiert wird, ob Afghanistan sicher genug ist, um Menschen dorthin abzuschieben, sorgt sich Amena Rahemy um ihre Familie. Jeden Tag hat sie Angst, dass ihnen etwas passieren könnte. Dass die Taliban sie entdecken könnten. Dreimal mussten ihre Eltern und ihre Geschwister schon umziehen. „Meine Familie hat nie etwas gemacht, was die Taliban verärgern könnte. Sie sind meinetwegen in Gefahr“, sagt Rahemy im Videogespräch mit dem „Evangelischer Pressedienst“.

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Ende Juni 2021 wurde der Bundeswehrabzug aus Afghanistan beendet. Sechs Wochen später übernahmen die Taliban die Macht. Die Bundesregierung beteiligte sich an einer internationalen Evakuierungsmission. Die chaotischen Bilder vom Flughafen in Kabul gingen um die Welt. Auch Amena Rahemy musste plötzlich ihr Heimatland verlassen. Sie ist eine sogenannte Ortskraft, hat drei Jahre lang in der Verwaltung für die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Masar-i-Scharif gearbeitet. In Afghanistan war sie deshalb nicht mehr sicher.

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Zahlreiche Ortskräfte warten

Rahemy, die mittlerweile in Bremen lebt, ist eine von insgesamt 4.300 Ortskräften, die Deutschland bisher aus Afghanistan geholt hat. Die meisten von ihnen waren während des Bundeswehreinsatzes für die deutschen Streitkräfte oder wie Rahemy für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit tätig.

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Noch immer warten zahlreiche Ortskräfte auf ihre Ausreise. Für die Obfrau der Grünen in der Enquete-Kommission des Bundestags zur Aufarbeitung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan, Schahina Gambir, ist die aktuelle „verheerende“ Situation in Afghanistan eine direkte Konsequenz der Versäumnisse Deutschlands während des 20-jährigen Engagements. Viele Ortskräfte hätten unter größten Gefahren an der Seite ihrer deutschen Kolleginnen und Kollegen gearbeitet, sagt sie. „Wir dürfen nicht zulassen, dass sie dafür von den Taliban mit Gewalt und Terror bestraft werden.“

Familie, Freunde, Studium und Arbeit verloren

Amena Rahemy kam allein nach Deutschland. „Am Anfang habe ich nur geweint. Ich dachte, jetzt ist mein Leben vorbei. Ich habe meine Familie verloren, meine Freundinnen, mein Studium und meine Arbeit“, sagt sie. Wenigstens das jüngste ihrer sieben Geschwister würde die 31-Jährige gerne zu sich nach Deutschland holen. Ihre 14-jährige Schwester kann in Afghanistan nicht zur Schule gehen. „Sie ist so intelligent. Ich wünschte, sie hätte die gleichen Chancen wie ich damals“, sagt Rahemy.

Rahemy ist in einem Afghanistan aufgewachsen, in dem Mädchen zumindest in Teilen des Landes zur Schule gehen und Frauen arbeiten konnten. Sie selbst hat Journalismus und BWL studiert, hat sich ein eigenes Geschäft aufgebaut. Heute unter dem Talibanregime sind solche Freiheiten nicht mehr denkbar. „Frauen dürfen nicht einmal allein spazieren gehen unter den Taliban. Sie sind nur dazu da, Kinder zu bekommen, Essen zu kochen und zu putzen. Aber wir sind keine Roboter“, so Rahemy.

Familienbegriff viel zu eng gefasst

Ihre Schwester nach Deutschland zu holen, ist für Rahemy nicht so einfach. Im Bundesaufnahmeprogramm, das die Bundesregierung 2022 aufgesetzt hat, um bedrohte Verbündete nach Deutschland zu holen, ist die Kernfamilie klar definiert: ein Ehepartner oder eine Ehepartnerin, minderjährige ledige Kinder. Nur in Ausnahmefällen werde auch andere Familienmitglieder aufgenommen.

Für Amena Rahemy, die selbst nicht verheiratet ist, ist der Familienbegriff viel zu eng gefasst: „Bei uns in Afghanistan ist das anders als hier. Ich habe mit meiner ganzen Familie zusammengelebt. Meine Nichten und Neffen sind wie meine eigenen Kinder.“ Wie ihr geht es vielen alleinstehenden Frauen, die für Deutschland in Afghanistan gearbeitet haben. Mit mehreren von ihnen hat Rahemy eine Gruppe ehemaliger Ortskräfte gegründet. Gemeinsam setzen sie sich dafür ein, Angehörige nach Deutschland zu holen.

Gambir: Aufnahmeverfahren an Realität anpassen

Bei ein paar Abgeordneten findet die Gruppe Gehör. Die Grünen-Politikerin Schahina Gambir findet, dass die Kriterien dafür, wer als Ortskraft anerkannt wird, noch immer ungenügend sind. Auch die Kernfamilie sei viel zu eng gefasst und der Stichtag für eine Antragsberechtigung wirke willkürlich. Sie sieht die Bundesregierung klar in der Verantwortung, die Aufnahmeverfahren an die Realitäten vor Ort anzupassen.

Rahemy wünscht sich, dass in Deutschland nicht nur die Bedrohung der Ortskräfte durch die Taliban wahrgenommen wird, sondern auch die ihrer Familien. „Deutschland trägt auch für sie Verantwortung. Unsere Familien sind in Gefahr und können nicht in Sicherheit in Afghanistan leben“, sagt sie. (epd/mig) Aktuell Panorama

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