Nebenan
Demokratie unter Beschuss
Veraltete Gesetze und politische Angriffe bedrohen die Zivilgesellschaft gegen rechts. Die Regierung zögert, während AfD und Union gemeinsame Sache machen.
Von Sven Bensmann Montag, 08.07.2024, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 08.07.2024, 6:15 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Mehr als 100 Vereine haben sich kürzlich in einem offenen Brief und Bundeskanzler Scholz gewendet, Inhalt: aufgrund veralteter Richtlinien und Gesetze kann Gruppen, die sich antifaschistisch, basisdemokratisch und für eine offene Gesellschaft einsetzen, die Gemeinnützigkeit und damit Steuervorteile entzogen werden, ohne die diese Gruppen kaum überlebensfähig sind. Die AfD hat dies erkannt und geht die Vereine auf dieser Flanke aggressiv an, um ihrer neofaschistischen Fantasien durch Ausschalten ihrer Gegner weiter Auftrieb zu verschaffen. Auch die Bundesregierung hatte dies erkannt, wollte dies reformieren, hat dies auch im Koalitionsvertrag vereinbart – allein geliefert hat sie bislang nicht.
Und nicht nur so geht die AfD gegen die ihr unangenehme Zivilgesellschaft vor: In Stollberg, so berichtet die „tageszeitung“ letzte Woche, hat die AfD Druck auf die Schülerinszenierung der „Weißen Rose“ – einem Stück über den antifaschistischen Widerstand der Geschwister Scholl und deren Unwillen, sich einem totalitären System zu beugen – ausgeübt, bis das theaterpädagogische Zentrum Burattino sich deren totalitären Avancen gebeugt hat.
Dabei kommt der Druck oft nicht nur von der AfD: Auch die Union teilt allzu oft deren Demokratieverständnis. Attac war auf Druck von Schäuble bereits vor 10 Jahren die Gemeinnützigkeit aberkannt worden. Und gerade im Osten, wo entsprechende Mehrheiten bereits stehen, stimmen Union und AfD immer wieder gemeinsam gegen die Finanzierung von demokratischen Initiativen. Und dort hört die gemeinsame Agitation nicht auf.
„Es wäre daher dringend Zeit, dass jenes Verbotsverfahren gegen die AfD angestrengt wird.“
Die ständige, von Konservativen unwidersprochene, lautstarke Diffamierung antifaschistischer Arbeit aus der Mitte der Gesellschaft, von grüner und emanzipatorischer Arbeit, von Flüchtlingsinitiativen und anderen sozialen Projekten als linksextrem, sowie die Borniertheit der Union, den Begriff rechtsextrem stets nur im Gleichklang mit dem Begriff linksextrem zu nutzen und sie so gleichzusetzen, verschafft erst der rechtsextremen Basis der AfD den Eindruck, es ginge um ein Wir gegen Die und die Union sei dabei auf deren Seite, es konstituiert die Idee einer schweigenden Mehrheit, die durch rechtsextremes Dogwhistling wie Würstchenessen (weil uns Die ja alle zu Veganern machen wollen) oder das Palavern von kleinen Paschas und Asyltouristen von Seiten der Union nur noch bestärkt wird – und so ihren Anhängern erst das selbstbewusste Auftreten ermöglicht, dass sie so erfolgreich macht. Die Zeiten, in denen sich der Nazi heimlich im Keller mit „Heil Hitler!“ im Spiegel begrüßte und sich dann dafür schämte, sind auch deshalb vorbei.
„Es ist an der Zeit, dass sich die Union wieder eines demokratischen Selbstverständnisses besinnt.“
Es wäre daher dringend Zeit, dass jenes Verbotsverfahren gegen die AfD angestrengt wird, vor dem sich Bundesregierung und Bundesrat bisher sträuben. Es ist dringend gegeben, um, wenn schon nicht die Wähler der AfD, dann zumindest Protestwähler und CDU-Politiker daran zu erinnern, dass es sich bei der AfD um eine rechtsextreme Schmuddelpartei handelt, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht, mit der man nicht spielt. Es ist dringend notwendig, dass die Union sich daran erinnert, dass eine Demokratie für ihre Politiker unangenehm, aber nicht bedrohlich sein sollte, dass man mit der AfD zusammen keine demokratischen Initiativen delegitimiert, nur weil sie für die Union unangenehm sein könnten, weil die im Herzen immer noch ein antirepublikanisches Selbstverständnis hat, in dem sich Delegierte nicht für Korruption rechtfertigen müssen, und dass die AfD das politische Klima im Lande vergiftet in einem Maße, dass auch Politiker der Union mit einer Kugel im Kopf enden.
Es ist an der Zeit, dass sich die Union wieder eines demokratischen Selbstverständnisses besinnt, in dem Politiker ihren Bürgern und nicht ihren Spendern verpflichtet sind, in dem Bürger und Presse eine kontrollierende Aufgabe gegenüber Politikern ausüben, statt einmal alle paar Jahre ein Mandat zu erteilen, welches keiner weiteren Legitimierung bedarf. Dann, und erst dann, können wir ihr auch wieder zutrauen, eine Brandmauer nach rechts zu errichten und aufrechtzuerhalten. Meinung
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