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Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) © de.depositphotos.com

700.000 Betroffene

Urteil zu Schutzstatus eines Syrers sorgt für Aufregung

In Deutschland leben mehr als 700.000 syrische Flüchtlinge und Asylbewerber. Nicht nur sie lässt ein Urteil aus Nordrhein-Westfalen aufhorchen. Auch Politik und Pro Asyl schauen genau hin. Die Richter entschieden: Syrien sei nicht mehr so gefährlich.

Dienstag, 23.07.2024, 16:16 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 24.07.2024, 13:45 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts in Münster zum Schutzstatus eines Syrers hat Fragen aufgeworfen, die über den konkreten Einzelfall hinausgehen. Die Logik dahinter sei, dass man sich immer genau anschauen müsse, wer in welchen Teil Syriens abgeschoben werden könne, sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) am Dienstag in Berlin zu möglichen Konsequenzen.

Buschmann sagte: „Man kann eben nicht mehr pauschal sagen, dass die Sicherheitslage im gesamten Land überall gleich ist, sondern es muss genau hingeschaut werden. Dies sei eine Entscheidung des Gerichts, die man nachvollziehen kann, wenn man davon ausgeht, dass es mittlerweile auch in diesem Land Regionen gibt, die sehr gefährlich sind, aber auch andere Regionen gibt, wo nicht zwingend Gefahr für Leib und Leben besteht“.

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Keine ernsthafte Bedrohung als Folge von Bürgerkrieg mehr

Das Gericht hatte in seinem Urteil festgehalten, dass in Syrien für Zivilisten „keine ernsthafte, individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“ mehr bestehe. Der Kläger in dem Verfahren war vor seiner Einreise nach Deutschland in Österreich zu einer Haftstrafe verurteilt worden war, weil er an der Schleusung von Menschen aus der Türkei nach Europa beteiligt gewesen war. Das Oberverwaltungsgericht führte aus, ihm drohe in Syrien keine politische Verfolgung. Von der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sei er wegen seiner vor der Einreise begangenen Straftaten ausgeschlossen. Auch die Voraussetzungen für subsidiären Schutz seien nicht gegeben.

Dieser eingeschränkte Schutz gilt für Menschen, die nicht als individuell verfolgte Flüchtlinge anerkannt werden, aber stichhaltige Gründe liefern, warum ihnen bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland ernsthafte Schäden – etwa durch Bürgerkrieg – drohen. Für Syrien war in Asylverfahren bislang im Regelfall von einer solchen Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit von Zivilisten ausgegangen worden. Im Falle des Klägers, der aus der Provinz Hasaka stammt, sah das Gericht dies weder in dessen Heimatregion im Nordosten noch in Syrien allgemein als gegeben an. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Bayern fordert neue Lageeinschätzung für Syrien

Bayerns Innenminister, Joachim Herrmann (CSU), sagte dem Sender Welt TV: „Ich halte dieses Urteil für sehr, sehr wichtig und wohl auch richtungsweisend. Und es ist bezeichnend, dass jetzt doch eine völlig neue Lageeinschätzung für Syrien angesagt ist.“ Dabei gehe es nicht nur um die Abschiebung von Straftätern. Es kämen nach wie vor jeden Monat viele Asylbewerber aus Syrien neu nach Deutschland. „Es gibt nicht mehr diesen Bürgerkrieg, wie er da zeitweilig herrschte“, sagte Herrmann. Das „Regime“ von Präsident Baschar al-Assad in Damaskus habe sich zwar bedauerlicherweise verfestigt. Es sei aber nicht mehr so, dass in Syrien ein Bürgerkrieg herrsche, wo praktisch jeder täglich um sein Leben bangen müsse. „Das ist nicht mehr die Realität dort, und deshalb gibt es auch keinen Anlass, jedem, der aus Syrien kommt, automatisch Schutz zu gewähren.“ Die Bundesregierung sei nun gefordert, eine neue Lagebewertung für Syrien vorzunehmen.

Innenminister wollen Straftäter nach Syrien abschieben

Bei der Innenministerkonferenz von Bund und Ländern im Juni hatte Einigkeit darüber bestanden, dass Straftäter und islamistische „Gefährder“ künftig wieder nach Afghanistan und Syrien abgeschoben werden sollten – womöglich über Nachbarländer. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte damals in Potsdam, sie sei dazu bereits mit mehreren Staaten im Gespräch. Für Syrien wäre neben der Klärung der praktischen Fragen allerdings auch eine Neubewertung der Lage in dem arabischen Land notwendig. Sie sei sicher, dass sie dies mit Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in naher Zukunft werde lösen können. Die Lageberichte des Auswärtigen Amtes zu einzelnen Herkunftsstaaten von Asylbewerbern sind nicht öffentlich. Sie sind eine der Informationsquellen, die in Asylverfahren für die Entscheidungsfindung herangezogen werden.

„Grundsätzlich prüfen das Bundesinnenministerium und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fortlaufend die Entscheidungspraxis auf der Grundlage der verfügbaren Quellen“, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums auf Anfrage zum Urteil aus Münster. Zu diesen Quellen gehörten insbesondere auch Gerichtsentscheidungen, wobei Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte insoweit eine bedeutende Rolle zukomme.

Kritik von Pro Asyl

Die rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, Wiebke Judith, sagte: „Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen entscheidet an der Realität in Syrien vorbei.“ Einschlägige Quellen wie der Lagebericht des Auswärtigen Amtes zeigten, dass es weiterhin „eine beachtliche Konfliktlage“ gebe. Hinzu komme, dass praktisch niemand vor dem „Folterregime des Diktators Assad“ sicher sei. (dpa/mig) Aktuell Panorama

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