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Bezahlung mit einer Karte (Symbolfoto) © de.depositphotos.com

Paukenschlag

Gericht: Bargeld-Pauschale für Bezahlkarte ist rechtswidrig

Seit Monaten verhandeln Politiker bundesweit über die Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete. Jetzt hat ein Hamburger Gericht entschieden: Ein pauschaler Bargeldbetrag ist rechtswidrig. Die Entscheidung löst eine länderübergreifende Debatte aus. Pro Asyl spricht von einem Etappensieg.

Donnerstag, 25.07.2024, 17:04 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 25.07.2024, 17:04 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Das Sozialgericht Hamburg hat entschieden, dass starre Bargeldobergrenzen auf der Bezahlkarte für Geflüchtete nicht geeignet sind, um den Mehrbedarf beispielsweise von Schwangeren oder Familien mit Kleinkindern zu decken. Die für die Karte zuständige Sozialbehörde müsse die persönlichen Lebensumstände der Antragstellenden berücksichtigen und starre Obergrenzen würden das nicht ermöglichen, sagte eine Gerichtssprecherin der Deutschen Presse-Agentur.

Gleichzeitig wurde entschieden, dass die Bezahlkarte an sich nicht zu beanstanden sei. „Das ist schon mal eine ganz wichtige Botschaft“, sagte die Sprecherin weiter. Die Karte sei nicht unwürdig und sie entspreche zudem dem gesellschaftlichen Trend, überall mit Karte zu zahlen.

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Antragstellende im Eilverfahren war eine geflüchtete Familie mit einem 2022 geborenen Kind, die in diesem Jahr das zweite Kind erwartet. Sie forderte mehr Bargeld oder eine Einzahlung des Mehrbedarfes auf ein anderes Konto. Die Familie erhält derzeit einen Bargeldbetrag von 110 Euro, das Gericht sprach ihr nun einen Bargeldbedarf von 270 Euro zu.

Sozialbehörde: Entscheidung ändert nichts

Die Gerichtssprecherin ging nicht davon aus, dass diese Einzelfallentscheidung Auswirkungen auf andere Bundesländer oder Fälle haben wird. Zum einen, weil das Gericht die Entscheidung in erster Instanz getroffen hat und zum anderen, weil der Beschluss im Eilverfahren ergangen ist. Die Entscheidung ist damit zunächst vorläufig und noch nicht rechtskräftig.

Auch die hamburger Sozialbehörde teilte auf Anfrage mit, die Entscheidung des Gerichts ändere am bisherigen Modell in Hamburg nichts. Es werde weder die Rechtmäßigkeit noch das System der Hamburger Bezahlkarte infrage gestellt. „Auch eine feste Bargeldobergrenze hält das Gericht nicht per se für rechtswidrig.“ Die Behörde werde nun prüfen, ob sie gegen den Beschluss des Sozialgerichts Beschwerde erheben wird.

Grüne im Norden: Zeit zum Nachsteuern

Anders, als Gerichtssprecherin und die Sozialbehörde behaupten, hat der Gerichtsbeschluss jedoch eine weitere Debatte über die Zukunft der Bezahlkarte ausgelöst – länderübergreifend. Die Grünen-Landtagsabgeordnete in Schleswig-Holstein, Catharina Nies, etwa begrüßte das Hamburger Urteil. „Die Gerichtsentscheidung kommt zum Glück sehr früh, in Schleswig-Holstein ist die Bezahlkarte noch nicht eingeführt“, sagte Nies der Deutschen Presse-Agentur. „Wir haben also die Chance, noch nachzusteuern.“

Werde die Gerichtsentscheidung im Hauptsachverfahren bestätigt, müsse die bundesweite Bargeldbegrenzung auf den Prüfstand – auch in Schleswig-Holstein, sagte Nies. „Denn sonst laufen wir Gefahr, dass jede Asylbewerberleistungsbehörde im Einzelfall überprüfen müsste, ob das Bargeld für eine Familie ausreicht. Das würde zu einem unkontrollierbaren Verwaltungsaufwand führen.“

Brandenburger Grüne begrüßen Gerichtsbeschluss

Auch die Spitzenkandidatin der Brandenburger Grünen, Antje Töpfer, begrüßt den Gerichtsbeschluss. „Der Zugang zu Bargeld muss auskömmlich sein und darf die Selbstbestimmung geflüchteter Menschen nicht einschränken“, teilte sie mit. „Für uns sind Bezahlkarten nur dann eine gute Lösung, wenn sie diskriminierungsfrei sind und die Verwaltung entlasten, also Bürokratie abbauen helfen“, sagte Töpfer.

In Brandenburg will Ministerpräsident Dietmar Woidke eine 50-Euro-Obergrenze für die Bezahlkarte. Dieser „ist und bleibt Populismus und entbehrt jeglicher fachlichen Grundlage“, kritisierte die Grünen-Politikerin den SPD-Ministerpräsidenten. „Pauschale Bargeldgrenzen halten niemanden von der Flucht vor Krieg und Gewalt aus dem Heimatland ab. Statt in eine diskriminierende Bezahlkarte sollten wir besser in wirksame Integrationsangebote investieren.“, so Töpfer.

Streit um Bezahlkarte in Berlin neu entfacht

Auch die Berliner Sozialsenatorin Cansel Kızıltepe (SPD) hält die Entscheidung für bundesweit bedeutsam. Sie sei richtungsweisend und werde bundesweite Auswirkungen haben, teilte sie mit. „Die vom Gericht berechtigterweise geforderte Einzelfallprüfung stellt die Verwaltung vor eine fast unlösbare Herausforderung“, erklärte sie. Der Senat und insbesondere die CDU hatten die Einführung der Bezahlkarte unter anderem mit einem geringeren Verwaltungsaufwand begründet. Bei dem Thema gibt es im Berliner Senat bislang keine Einigkeit. Kızıltepe hatte eine Obergrenze von 50 Euro mehrfach deutlich kritisiert. „Regelungen, die die Grundrechte von Betroffenen verletzen, nur um migrationspolitische Ziele zu steuern, sind nicht mit dem Grundgesetz vereinbar“, erklärte sie im Hinblick auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.

Rückendeckung bekommt Kızıltepe aus ihrer Fraktion. Die Frage sei offen, ob es überhaupt sachliche Gründe für die Einführung gebe, teilte SPD-Abgeordneter Jan Lehmann mit. „Die Bezahlkarte ist sinnlose Symbolpolitik. Integration von geflüchteten Menschen ist eine große Herausforderung, die nicht kleiner wird, indem man ihnen unnötig das Leben schwerer macht“, warnte er. Die Bezahlkarte halte niemanden von der Flucht ab. Lehmann geht dabei den Koalitionspartner scharf an: „Leider ist auch die CDU in Berlin auf diesen nun erwiesen populistischen Quatsch aufgesprungen.“ Die Länderchefs hatten sich bei der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) im Juni auf eine festgelegte Bargeld-Obergrenze bei der Bezahlkarte verständigt – mit Zustimmung von Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner (CDU).

GFF und Pro Asyl unterstützen klagende Familie

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und Pro Asyl, die die klagende Familie in dem Fall unterstützt haben, sehen in der Hamburger Entscheidung einen Etappensieg: „Existenzsichernde Leistungen müssen sich an den konkreten Bedürfnissen und Umständen des Einzelfalls orientieren. Eine Mammutaufgabe für die Verwaltung – aber unabdingbar zur Wahrung der Grundrechte“, betont Lena Frerichs, Verfahrenskoordinatorin und Juristin bei der GFF.

Die Bezahlkarte erschwere den Alltag der Betroffenen massiv. Geflüchtete könnten sich kaum angemessen versorgen. Günstige Onlineeinkäufe oder private Gebrauchtwareneinkäufe seien mit der Bezahlkarte ebenso wenig möglich wie der Abschluss eines Handyvertrages oder die Anmeldung im Sportverein; auch akzeptiere nicht jeder Laden die Bezahlkarte. „Dass diese Unterversorgung verfassungswidrig ist, zeigt die Eilentscheidung. Die Entscheidung zeigt auch, welcher bürokratischer Irrsinn auf die Kommunen zukommt, die eine Bezahlkarte einführen wollen. Sie sollten sich dreimal überlegen, ob sie sich diese Mehrbelastung ihrer Verwaltung wirklich leisten können“, erklärt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl.

Asylbewerber bekommen über die Bezahlkarte einen Teil der staatlichen Leistungen als Guthaben auf der Karte statt als Bargeld. Damit solle unter anderem verhindert werden, dass Asylbewerber Geld an Schlepper oder Familie und Freunde im Ausland überweisen. Wissenschaftler halten diesen Behauptungen entgegen, es gebe keinen Beleg dafür, dass die Bezahlkarte die erwünschte Wirkung entfaltet. Zweifelhaft sei bereits, in welchem Ausmaß die von der Politik vorgelegten Behauptungen zutreffend seien. Gegen den Gerichtsbeschluss vom 18. Juli kann das Hamburger Amt für Migration noch bis Mitte August Beschwerde einlegen. (dpa/epd) Leitartikel Recht

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