Migrationspolitik
Kanzler Scholz: Arbeiter ja, Flüchtlinge nein
Erwerbsmigration nach Deutschland sei erwünscht, meint der Kanzler. Problematisch findet er sogenannte „irreguläre“ Einreisen. Mit konkreten Zahlen hält sich Scholz zurück. Unionspolitiker unterstützen inzwischen überwiegend härteren Kurs.
Sonntag, 28.07.2024, 13:58 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 28.07.2024, 13:58 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Bundeskanzler Olaf Scholz hält Grenzkontrollen für eine sinnvolle Maßnahme zur Begrenzung der „irregulären“ Migration nach Deutschland. „Generell ist es unsere Absicht, die deutschen Grenzen weiterhin strikt zu kontrollieren“, sagte der SPD-Politiker der „Saarbrücker Zeitung“. Wenn in der Politik von „irregulärer Migration“ die Rede ist, sind damit Geflüchtete gemeint, die mangels legaler Fluchtwege ohne gültige Dokumente Grenzen passieren. Scholz weiter: „Wir wollen die irreguläre Migration begrenzen, das habe ich angekündigt. Die Zahlen müssen runter.“
Zwar sei Erwerbsmigration nötig und auch erwünscht. „Aber es gibt zu viele, die irregulär zu uns kommen und angeben, Schutz vor Verfolgung zu suchen, aber keine Asylgründe angeben können und dann abgelehnt werden“, fügte Scholz hinzu. Konkrete Zahlen nannte der Bundeskanzler nicht. Aus Zahlen des Bundesinnenministeriums geht hervor, dass die bereinigte Schutzquote aller Asylgesuche bei fast 70 Prozent lieg.
Scholz verwies auch auf bestehende Kontrollen wie etwa an der Grenze zu Frankreich während der Olympischen Spiele. Diese sollen bis zum 30. September gelten. Für die Landgrenzen zu Österreich, der Schweiz, Tschechien und Polen hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im vergangenen Oktober stationäre Kontrollen angeordnet und bei der EU-Kommission angemeldet. Diese laufen weiter, um irreguläre Migration zu begrenzen und Schleusungskriminalität zu bekämpfen. Befristet sind sie für die Schweiz, Tschechien und Polen derzeit bis zum 15. Dezember, für Österreich, wo schon seit Herbst 2015 kontrolliert wird, bis zum 11. November.
Unionsvize hält mehr Zurückweisungen für möglich und nötig
Skeptische Töne kommen aus der Union, die – auch mit Blick auf den Personalaufwand für die Bundespolizei – aber eine andere Strategie vorschlägt. „Wir werden ganz genau beobachten, was die wolkigen Worte des Bundeskanzlers zu den Grenzkontrollen wert sind“, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Andrea Lindholz, der Deutschen Presse-Agentur.
Die Union sei überzeugt, dass Deutschland längerfristig für alle Grenzabschnitte Kontrollen bei der EU-Kommission anmelden sollte. Denn nur dann könne die Bundespolizei direkt an der Grenze tätig werden und dort auch Zurückweisungen vornehmen. Frankreich praktiziere das schließlich schon länger, ohne dass daran der Schengen-Raum zerbrochen wäre. „Das heißt ja nicht, dass rund um die Uhr an jedem Grenzübergang in voller Mannstärke kontrolliert wird und werden muss“, erklärte die CSU-Politikerin.
Eigentlich sollten im Schengen-Raum, dem die meisten EU-Länder, aber auch Nicht-EU-Länder wie die Schweiz angehören, keine Grenzkontrollen stattfinden. Wegen der angespannten Migrationslage kontrollieren aber inzwischen mehrere Länder an einigen ihrer Schengen-Binnengrenzen.
Über 6.400 Zurückweisungen binnen sechs Wochen
Während der Fußball-EM war an allen deutschen Grenzen kontrolliert worden. Wie das Bundespolizeipräsidium in Potsdam mitteilte, wurden während im Zeitraum vom 7. Juni bis zum 19. Juli dabei insgesamt 9.172 unerlaubte Einreisen festgestellt. Von diesen Einreisenden ohne Erlaubnis seien 6.401 Menschen zurückgewiesen worden, hieß es. Die Polizei nahm den Angaben zufolge außerdem 275 mutmaßliche Schleuser vorläufig fest.
Im ersten Halbjahr dieses Jahres haben 121.416 Menschen erstmals einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gestellt, rund 19 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine werden aktuell noch gemäß der EU-Massenzustromrichtlinie aufgenommen. Sie müssen keinen Asylantrag stellen.
Nach Einschätzung von Experten haben die zusätzlichen Grenzkontrollen mit dafür gesorgt, dass seit dem Herbst etwas weniger Schutzsuchende nach Deutschland kommen. Ein weiterer Faktor sind wohl Grenzschutzmaßnahmen anderer Staaten, etwa entlang der sogenannten Balkanroute. Zurückgewiesen werden aktuell praktisch nur Menschen, die mit einer Wiedereinreisesperre belegt sind oder kein Asylbegehren äußern.
Unionspolitiker unterstützen inzwischen überwiegend härteren Kurs
Welche Regeln an den deutschen Grenzen gelten sollten, beschäftigt die Union bereits seit dem Herbst 2015, als binnen weniger Wochen Hunderttausende Asylbewerber – davon viele aus Syrien – nach Deutschland kamen. Die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte im Februar 2016: „Viele sagen mir in diesen Tagen immer: Es gab auch ein Leben vor Schengen. Und ich antworte dann: Ich weiß, es gab auch ein Leben vor der Deutschen Einheit. Da waren die Grenzen noch besser geschützt.“ Heute klingt die Union anders.
Lindholz findet, die aktuelle Bundesregierung hätte im Zuge der jüngst beschlossenen europäischen Asylrechtsreform eine Klarstellung erwirken sollen, „dass wir auch Menschen zurückweisen können, die in einem anderen EU-Land bereits Aufnahme gefunden haben oder die einen Asylantrag auch in dem Land, aus dem sie nach Deutschland einreisen wollen, hätten stellen können“. Die aktuelle „Überlastungssituation“ sei dafür ein hinreichendes Argument. Da das europäische Asylrecht seit Jahren von einigen wichtigen Mitgliedstaaten nicht befolgt werde, sei dessen Vorrang ohnehin „sehr fraglich“. Selbst wenn die Asylreform Wirkung zeigen sollte, würde dies noch mindestens zwei Jahre dauern. (dpa/mig) Aktuell Politik
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