Volker Best im Gespräch
AfD wird immer mehr aus Überzeugung gewählt
In drei ostdeutschen Bundesländern finden im September Landtagswahlen statt. Die AfD liegt dort überall in Umfragen vorn. Die Rechtsaußen-Partei habe sich im Parteiensystem etabliert, sei aber keine wirkliche Volkspartei, sagte der Politikwissenschaftler Volker Best von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Gespräch.
Von Oliver Gierens Montag, 29.07.2024, 12:01 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 29.07.2024, 12:04 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Die AfD ist in Sachsen-Anhalt vielfach stärkste Partei bei den Kommunal- und Europawahlen geworden. Ist sie zur Volkspartei geworden?
Volker Best: Das hängt davon ab, was man unter einer Volkspartei versteht. Wenn man nur voraussetzt, dass eine Partei in verschiedenen Segmenten der Bevölkerung Zuspruch findet, dann passt der Begriff. Setzt man aber voraus, dass eine Volkspartei auch eine breite Mitgliederbasis haben sollte, dann trifft das auf die AfD weniger zu. Wenn man meint, eine Volkspartei solle zudem imstande sein, eine Regierungskoalition anzuführen und politisch eher zur Mitte neigen, ist die AfD in diesem Sinne keine Volkspartei. Sie ist für andere Parteien nicht anschlussfähig.
Vielfach wurde der AfD ein schnelles Ende vorhergesagt. CDU-Chef Friedrich Merz wollte sie halbieren. Stattdessen scheint der Partei nichts schaden zu können, nicht einmal das Treffen mit Rechtsextremen in Potsdam oder die Einstufung einzelner Landesverbände als gesichert rechtsextrem. Warum steigen die Wähleranteile immer weiter?
„Die Strategie, die AfD wieder aus dem Parteienspektrum herauszubekommen, ist gescheitert.“
Nach dieser Correctiv-Recherche zu dem Treffen in Potsdam und den Demonstrationen sind die Umfragewerte um ein paar Prozente gesunken. Die AfD hat sich aber mittlerweile einen soliden Stamm an überzeugten Wählern verschafft. Zwar spielt das Potenzial an Protestwählern eine größere Rolle als bei anderen Parteien. Aber man kann sehen, dass der Anteil derjenigen steigt, die die Partei aus Überzeugung wählen. Die Strategie, die AfD wieder aus dem Parteienspektrum herauszubekommen, ist gescheitert. Es ist nicht gesagt, dass die Werte für die Partei immer weiter steigen werden, aber vom Stamm ihrer Wähler liegt sie deutlich über der Fünf-Prozent-Hürde.
Warum ist der Wähleranteil in Ostdeutschland deutlich größer?
Das hat verschiedene Gründe. Wenn man sich anschaut, wie einzelne Sozialmilieus wählen, stellt man fest, dass diese Milieus im Osten oder Westen nicht viel anders wählen, aber in West- und Ostdeutschland unterschiedlich stark verbreitet sind. Das sind beispielsweise das konservative oder prekäre Milieu. Die DDR hat sich zudem als per se antifaschistisch verstanden, sodass eine Vergangenheitsbewältigung der Nazi-Zeit nicht stattfand. Autoritäre Milieus mit Denkmustern aus der NS-Zeit konnten unter dem Radar weiter existieren. Und die Parteibindungen an das aus dem Westen übernommene Parteiensystem blieben schwächer. Zudem haben die Ostdeutschen weniger Erfahrungen mit Ausländern. Eine Situation wie die Flüchtlingskrise 2015 wurde in Ostdeutschland viel stärker als Kontrollverlust des Staates wahrgenommen. Hier hat man keine guten Erfahrungen mit Zuwanderung gemacht, daher ist Fremdenfeindlichkeit stärker verbreitet.
Das Phänomen rechter Parteien erleben wir in vielen Ländern Europas, etwa aktuell in Frankreich und in den Niederlanden. Ist der Aufstieg der Rechtsaußen-Parteien eher ein europäisches denn ein speziell deutsches Phänomen?
„Die AfD einfach als normale Partei wie alle anderen zu behandeln, ist ein Problem.“
Deutschland ist da im Prinzip Nachzügler. Die Erfolge dieser Parteien setzen bereits Ende der 1970er Jahre in Skandinavien ein. In den folgenden Jahrzehnten ging der Aufstieg weiter, insbesondere in den 2010er Jahren mit der Eurokrise. In Deutschland zog erst 2017 die AfD in den Bundestag ein. Das ist ein ziemliches Ausnahmephänomen. Der Rechtspopulismus kann als Globalisierungsphänomen gesehen werden – etwa wegen eines Einflussverlusts des Nationalstaates. Dieser wird als Verlust von Volkssouveränität erlebt. Der Populismus beruht auf einer wahrgenommenen Zweiteilung zwischen dem einfachen Volk, das einen einheitlichen Volkswillen habe, und einer abgehobenen Elite, die aus Eigeninteresse oder Korruptheit diesen Volkswillen nicht umsetze. Und die Globalisierung hat auch wirtschaftliche Folgen. Es wird schwieriger, einen gut ausgebauten Sozialstaat aufrechtzuerhalten. Hinzu kommen kulturelle Phänomene wie die weltweit zunehmende Migration, die zu Überfremdungsängsten führt.
In Sachsen-Anhalt formieren sich jetzt die Kommunalparlamente. In einigen Fällen wurden AfD-Vertreter mit CDU-Stimmen in die Stadtratsspitzen gewählt, in anderen Orten gibt es die ganz großen Koalitionen gegen die Blauen. Sind „Brandmauern“ gegen eine Partei – womöglich mit Stimmen der Linken oder des BSW – mit demokratischen Prinzipien vereinbar?
Grundsätzlich ist das demokratisch. Es ist aber oft nicht das, was sich etwa die Wähler der CDU vorgestellt haben. Aber die AfD einfach als normale Partei wie alle anderen zu behandeln, ist ebenfalls ein Problem. Das sollte man nicht unbedingt befördern. Wenn aber die Gegenbündnisse zu breit werden und die AfD die einzige Opposition dagegen ist, kann das zu politischem Stillstand führen. Im Kommunalen kann aber auch die AfD sehr einfach als normale Partei herüberkommen, weil man vielleicht die Stadtratsmitglieder aus dem Fußballverein kennt.
Was erwarten Sie nach den Landtagswahlen in Ostdeutschland – dieses Jahr in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, vermutlich 2026 in Sachsen-Anhalt: Könnte es Kooperationen oder Zusammenarbeit mit der AfD geben?
Das scheint mir sehr unsicher. Die CDU könnte Minderheitsregierungen anstreben, die sich dann jeweils situationsbezogen Unterstützer suchen oder Unterstützung geschehen lassen, wo die AfD dann auch als potenzieller Mehrheitsbeschaffer im Boot wäre. In Thüringen hat es da bereits erste Versuche gegeben, wo die CDU Vorschläge eingebracht hat, die mithilfe der AfD eine Mehrheit gefunden haben – und sich dann damit herausgeredet hat, dass es keine Absprachen gegeben habe. In den ostdeutschen CDU-Landesverbänden gibt es etwa ein Drittel, das mit der AfD zusammenarbeiten möchte, ein Drittel ist dagegen und ein weiteres Drittel schwankt. Was passiert in Sachsen-Anhalt, wenn Ministerpräsident Reiner Haseloff nicht mehr da ist – es ist fraglich, ob es dann noch eine Brandmauer gegen die AfD geben wird.
Gibt es eine Strategie gegen die AfD? Totschweigen hilft offenbar nicht, Alarmismus offensichtlich auch nicht – ist gegen den Trend zu Rechtsaußen derzeit kein Kraut gewachsen?
Man könnte gewisse Regelungen in den Landesverfassungen ändern, bevor die AfD mindestens ein Drittel der Abgeordneten stellt und damit Verfassungsänderungen verhindern kann – beispielsweise, dass nicht automatisch die stärkste Fraktion den Landtagspräsidenten stellt, um AfD-Abgeordnete auf diesem Posten zu verhindern. In Ostdeutschland ist das aus zeitlichen Gründen ziemlich schwierig, weil in drei Bundesländern in Kürze Wahlen anstehen. In Sachsen-Anhalt wäre für solche Maßnahmen noch Zeit, weil die nächsten regulären Landtagswahlen erst 2026 stattfinden. Aber was man politisch tun müsste, um der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen, das ist deutlich schwieriger zu beantworten. Es ist auch nicht optimal, wenn die CDU als für AfD-Wähler noch am ehesten zustimmungsfähige Partei in Bündnisse mit Parteien links von sich eingewoben ist und ihre Wahlversprechen nicht umsetzen kann, wäre die Abwanderung zur AfD weiter begünstigt. (epd/mig) Aktuell Interview Politik
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