Lukratives Geschäft
Warum zahlen Verwaltungen zu viel für die Asylunterbringung?
Verwaltungen beauftragen für die Unterbringungen von Geflüchteten gewinnorientierte Investoren und zahlen deutlich mehr, als die Unterbringung tatsächlich kostet. Grund: Bequemlichkeit, liebgewonnene Verwaltungsabläufe und Abwälzung von Verantwortung. Ein Fall aus Nürnberg.
Von Jutta Olschewski Dienstag, 30.07.2024, 17:04 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 30.07.2024, 17:10 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Im Föhrenweg im Altdorfer Ortsteil Röthenbach ist es mit gerade einmal neun Anwesen ruhig. Das mit der Hausnummer 6 ist um 1980 als stattliches Zweifamilienhaus gebaut worden. Das Landratsamt Nürnberger Land plant mit der Immobilie als Flüchtlingsunterkunft.
Auf vier Stockwerken biete es 330 Quadratmeter Wohnfläche, dazu 100 Quadratmeter für Küchen, Bäder, Terrasse, Flure und Heizungskeller, rechnet das Amt aus. Nach einem Umbau gebe es darin Platz für etwa 40 Flüchtlinge. Es sollen aber nur 32 Menschen einziehen, heißt es.
Wenn eine Flüchtlingsunterkunft in ein beschauliches Wohngebiet kommen soll, sind Nachbarn meist skeptisch. So auch im Föhrenweg. An einem Sommerabend sind vor das Haus sechs Männer und Frauen gekommen, alle gehören sie zur „Anwohnerinitiative Flüchtlingsunterkunft Altdorf/Röthenbach“. Sie seien nicht prinzipiell gegen eine Unterkunft. Das Landratsamt binde die Anwohner aber nicht in seine Planungen ein.
Warum ein Betreiber mit Gewinninteresse?
Mit 40 Menschen, wie es das Landratsamt zunächst angegeben hatte, wäre das Haus überbelegt, findet etwa die Röthenbacherin Christine Lindsiepe. Ihr Mitstreiter Ulli Schneeweiß sagt: „Wenn man so viele Menschen auf engstem Raum zusammenpfercht, da sind Probleme nicht ganz unwahrscheinlich“.
Die Initiative meint: 20 Leute in dem Haus unterzubringen, wäre angemessen. Rechnet sich nicht, antwortet das Landratsamt. Muss sich auch nicht rechnen, sagt die Initiative. Denn wer habe festgeschrieben, dass immer ein Betreiber mit Gewinninteresse eine solche Unterkunft übernehmen müsse?
Amortisierung schon nach zweieinhalb Jahren
Die Firma, die den Föhrenweg 6 gekauft hat und nach jetzigem Stand den Auftrag zum Betrieb bekommt, würde nach seinen Berechnungen so viel Geld verdienen, dass nach zweieinhalb Jahren der Kaufpreis der Immobilie amortisiert sei, sagt Schneeweiß, da würde Steuergeld privatisiert. Wie viel Geld der Betreiber pro Bewohner und Tag erhält, geben die Behörden nicht bekannt.
Eine Alternative ist für die Anwohnerschaft ein „Bürgermodell“ ohne Gewinnabsicht. Bürgerinnen und Bürger vor Ort sollen die Verantwortung für den Betrieb der Unterkunft übernehmen. Das Modell sei noch nicht fertig, erklärt der Sozialwissenschaftler Peter Dienst, der ebenfalls Anwohner ist. Es werde professionelle Hilfe von vielen Seiten benötigt, etwa Wohlfahrtsverbänden. Die Initiative hat nun im Internet eine Petition „Bürgermodell bei Geflüchtetenunterkünften statt Gewinnmaximierung“ gestartet, die bisher 200 Personen unterstützen.
Eingeübte und liebgewonnene Verwaltungsabläufe
„Prinzipiell gerne“, sagt das Landratsamt zu dem Vorschlag und sichert zu, man werde „eine geeignete Immobilie im Bürgermodell als Unterkunft annehmen“. Eine Sprecherin gibt aber zu bedenken, dass das Betreiben einer Unterkunft „eine anspruchsvolle und intensive Aufgabe“ sei. Das Landratsamt müsse sich, egal, wer eine Unterkunft betreibe, „völlig darauf verlassen können, dass die Anforderungen erfüllt werden können, denn es gibt ja Menschen in dessen Obhut“.
Ver.di-Gewerkschaftssekretär Ulli Schneeweiß, im Umgang mit Behörden erprobt, zeigt Verständnis für die Haltung des Landratsamts. Aber die Mitglieder der Initiative sehen sich vom Landratsamt als Störenfriede behandelt, quasi „abgefertigt“. „Die Idee stört die eingeübten und liebgewonnenen Verwaltungsabläufe“, stellt Schneeweiß fest, „aber man muss sich einfach auch mal auf Wünsche der Bürger einlassen“.
Veranstaltung für Bürgerbeteiligungsmodelle
Es gebe seit Ende März Austausch sowohl mit der Bürgerinitiative als auch mit einzelnen Mitgliedern, wehrt sich das Landratsamt. Es habe Dutzende Mails, mehrere Briefe und Gespräche gegeben. Die Abteilung Soziales, das Bauamt, das Büro des Landrats und Landrat Armin Kroder (FW) selbst hätten Fragen beantwortet. Nun planen die Röthenbacher nach den Ferien eine öffentliche Veranstaltung mit einem Experten oder eine Expertin für Bürgerbeteiligungsmodelle.
Gelegentlich sind Handwerker im Föhrenweg 6 gesehen und gehört worden. Wenn der Betreiber die Unterkunft irgendwann einmal startklar hat, „dann sprengt das unsere Gruppe“, befürchtet Schneeweiß. Aber „die Menschen, die dann dort wohnen, brauchen trotzdem Hilfe“. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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