„Triple Win“?
Pflegekräfte aus Drittstaaten stehen vor Herausforderungen
Nirgends ist der Engpass in Deutschland so groß wie bei ausgebildeten Pflegekräften. Doch was bedeutet es für Menschen, die aus Ländern jenseits der EU zu kommen, um in der Branche Arbeit zu finden?
Dienstag, 13.08.2024, 11:48 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 06.08.2024, 10:56 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Um ihren Sohn vor seinem Schulbeginn zu sprechen, muss Priyaraj Prabha um 4 Uhr morgens wach sein. 4.00 Uhr an ihrem Wohn- und Arbeitsort im saarländischen Homburg sind 7.30 Uhr bei ihrer Familie im südindischen Bundesstaat Kerala. Die 35-jährige Pflegekraft ruft ihren Achtjährigen nur an manchen Tagen so früh an, etwa wenn ein Test in der Schule ansteht. Doch frühes Aufstehen kennt sie auch so aus ihrem Alltag. Prabha ist eine von zuletzt rund 270.000 ausländischen Pflegekräften in Deutschland. Wie ist es, wenn man von weit her kommt, um hier kranke oder alte Menschen zu pflegen?
Prabha hat bereits acht Jahre als Krankenpflegerin gearbeitet, bevor sie über eine Freundin von der Möglichkeit hörte, über ein staatliches deutsches Anwerbeprogramm („Triple Win“) nach Deutschland zu kommen. Mit dem Programm werben die Bundesagentur für Arbeit und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag deutscher Kliniken und Pflegeeinrichtungen in mehreren Nicht-EU-Ländern um ausgebildete Pflegefachkräfte. Denn der Mangel hierzulande ist groß.
„Die ausgebildeten Pflegekräfte stehen an erster Position unter allen Berufsgruppen mit einem Engpass“, teilt die Arbeitsagentur im Mai mit. Als Folge der alternden Gesellschaft werden laut Vorausberechnung des Statistischen Bundesamts bis 2049 voraussichtlich zwischen 280.000 und 690.000 Pflegekräfte fehlen.
Ausländer sorgen für Beschäftigungswachstum in Pflege
Schon jetzt sind es vor allem ausländische Pflegekräfte, die den Mangel abmildern: Laut der Arbeitsagentur geht das Beschäftigungswachstum in der Pflege in den vergangenen zehn Jahren überwiegend und seit 2022 sogar nur auf Ausländerinnen und Ausländer zurück. Auffällig ist dabei auch, dass inzwischen die meisten von ihnen aus Ländern außerhalb der EU kommen. 2018 traf das noch auf gut die Hälfte der sozialversicherungspflichtig beschäftigten ausländischen Pflegenden zu, 2023 auf fast zwei Drittel.
Der Markt in der EU sei auch angespannt, sagt Prabhas Arbeitgeber, der Personalchef des Universitätsklinikums des Saarlandes in Homburg, Christian Müller. Bei einigen Pflegekräften aus der EU habe das Krankenhaus vor ein paar Jahren zudem die Erfahrung gemacht, dass sie ihren Lebensschwerpunkt nicht langfristig nach Deutschland verlagern wollten.
Indische Pflegerin: Deutschland nicht nur finanziell attraktiv
Bei Prabha ist das anders – genau wie bei vielen Pflegekräfte, die das Krankenhaus etwa aus Mexiko oder Indien rekrutiert. „Es ist mein Traum, in einem europäischen Land zu arbeiten“, sagt die Inderin. Sie ist seit Mitte März in Deutschland. Warum ist das attraktiv für sie?
In ihrer Heimat müssten sich Pflegende um sehr viele Dinge und sehr viele Patientinnen und Patienten auf einmal kümmern, erzählt Prabha. Die Zeit reiche dort nicht, um all die Aufgaben zu erfüllen. In Deutschland hätten sie dagegen mehr Zeit und weniger Stress: „Wir können uns um den Patienten kümmern, den Patienten gut versorgen.“ Und auch finanziell könnten Pflegekräfte wie sie ihre Situation hier verbessern.
Noch nicht lange wirbt Deutschland offensiv um Inderinnen und Inder für die Pflege. Der Bundesstaat Kerala nimmt nach GIZ-Angaben seit Ende 2021 am „Triple Win“-Programm teil, der Bundesstaat Telangana seit November 2023. Man arbeite „ausschließlich mit Partnerländern zusammen, in denen es einen hohen Anteil an arbeitslosen Pflegefachkräften gibt“, erklärt das Bundesunternehmen über das Programm. Seit dessen Start 2013 seien Stand Juni 6.200 ausgebildete Pflegekräfte an deutsche Arbeitgeber vermittelt worden – darunter mehr als 300 aus dem indischen Kerala.
„Herausforderung, die deutsche Sprache zu lernen“
Bevor es für sie nach Deutschland ging, stand die wohl schwierigste Hürde an: Deutschkurse und -prüfungen, A1 bis B1. „Es ist eine riesengroße Herausforderung, die deutsche Sprache zu lernen für die Zielgruppe“, sagt Kiara Greulich. Von Januar bis August 2023 hat sie Prabha und anderen Pflegekräften am Goethe-Zentrum in Thiruvananthapuram Deutsch beigebracht. Einmal kam in dieser Zeit auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorbei.
Prabha erinnert sich noch daran gut. Sie hat sich damals auf die B1-Prüfung vorbereitet. Zum Bestehen musste sie in vier verschiedenen Modulen jeweils 60 Prozent erreichen. „Ich habe gefragt: Herr Bundesminister, könnten Sie bitte den Prozentsatz für das Hören und Lesen reduzieren? (…) Schreiben und Sprechen ist für uns kein Problem“. Sie lacht, als sie davon berichtet, auch Heil habe gelacht. „Ich weiß, dass die Sprachanforderungen im Bereich Gesundheit und Pflege sehr, sehr hoch sind“, sagte der Arbeitsminister damals. Das sei auch aus Qualitätsgründen so und etwa für das Verabreichen von Medikamenten wichtig.
Arbeitgeber: Wohnraum und Kinderbetreuung mitdenken
Die Sprache ist allerdings nicht die einzige Herausforderung. In vielen Städten gibt es kaum noch erschwinglichen Wohnraum, wie Müller sagt. Beim „Triple Win“-Programm verpflichten sich die Arbeitgeber, den ausländischen Pflegekräften eine Unterkunft zu organisieren. Das Bundesarbeitsministerium begrüßt ferner, wenn Fachkräfte aus Drittstaaten ihre Familien zu sich holen. Der Familiennachzug kann – so die Hoffnung – zu langfristiger Integration beitragen.
Auch Pflegekräfte wie Prabha müssen inzwischen weniger Voraussetzungen erfüllen, um Ehegatten und minderjährige Kinder zu sich zu holen: Das ist mittlerweile ohne Nachweis von genug Wohnraum oder Sprachkenntnissen der Ehepartner möglich. Die Voraussetzungen: Abgeschlossenes Anerkennungsverfahren, Aufenthaltserlaubnis, gesicherter Lebensunterhalt für sich und die Ihren. Noch gilt Prabha in Deutschland nicht als examinierte Pflegekraft. Neben einer B2-Sprachprüfung hat die Inderin bis zur Anerkennung auch noch eine Prüfung ihrer Pflegekenntnisse vor sich.
Es ist nicht ihre erste Erfahrung im Ausland, fern von Mann und Sohn in Indien. Die 35-Jährige hat schon einmal in Saudi-Arabien gearbeitet. Doch nach zwei Jahren war Schluss: „Dann habe ich gekündigt, weil ich bei meiner Familie sein wollte.“ Ihre Familie zu sich zu holen, habe sie sich dort finanziell nicht leisten können – das kann hier je nach Lohn anders sein. (dpa/mig) Leitartikel Panorama
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