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Afghanistan © de.depositphotos.com

Drei Jahre Taliban

Das Dilemma des Westens mit Afghanistan

Seit drei Jahren herrschen die Taliban in Afghanistan und zeigen keinerlei Kompromissbereitschaft in puncto Menschenrechte. Das bringt die Isolations-Politik der Staatengemeinschaft an ihre Grenzen.

Von Mittwoch, 14.08.2024, 11:49 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 10.08.2024, 16:52 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Es war ein Wendepunkt in der internationalen Afghanistan-Politik: Ende Juni trafen sich in der katarischen Hauptstadt Doha erstmals Vertreter der Taliban mit Sondergesandten der Vereinten Nationen zu Gesprächen über eine mögliche Zusammenarbeit in Wirtschaftsfragen oder bei der Bekämpfung des Mohnanbaus. Die Staatengemeinschaft hatte die Aufnahme diplomatischer Beziehungen sowie die Anerkennung der Taliban-Regierung stets an die Einhaltung der Menschenrechte und die Bildung einer inklusiven Regierung geknüpft. Doch drei Jahre nach der Übernahme der Hauptstadt Kabul durch die Islamisten am 15. August 2021 und damit der Kontrolle über das Land dürfte dieser Kurs immer weniger durchzuhalten sein.

Während vor allem westliche Diplomaten vergeblich versuchen, die Taliban mit dem Druckmittel der Anerkennung und der Zusage internationaler Entwicklungsgelder zu Zugeständnissen wie der Öffnung von Mädchenschulen zu bewegen, zeigen diese bislang jedoch wenig Kompromissbereitschaft. Im Gegenteil: Nahezu unbeeindruckt von internationalem Druck hat die Regierung unter Emir Hibatullah Akhunzada ihren Kurs zuletzt immer radikaler fortgesetzt und jede Kritik von außen als Verletzung der eigenen Souveränität verurteilt.

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Dilemma

Die internationale Afghanistan-Politik steht damit heute vor einem scheinbar unlösbaren Dilemma. Denn langfristig könnte die Isolation vor allem die afghanische Bevölkerung treffen. Abgeschnitten vom internationalen Bankenverkehr und von wirtschaftlichen Restriktionen belegt, hat sich die afghanische Wirtschaft bis heute nicht von ihrem Zusammenbruch erholt. Fast ein Viertel der knapp 40 Millionen Afghaninnen und Afghanen sind laut den UN in diesem Jahr von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen. Gleichzeitig sinken die internationalen Hilfsgelder dramatisch.

Dabei wüssten beide Seiten, dass es eine internationale Anerkennung der Taliban auf Dauer nicht geben wird, sagt der Afghanistan-Experte Ibrahim Bahiss von der internationalen Denkfabrik „Crisis Group“. Zu fundamental verstoße die Politik der Taliban gegen internationale Werte und Menschenrechte, zu wenig Kompromissbereitschaft zeigten die neuen Machthaber. Gleichzeitig wüssten die Taliban aber, dass vielen Staaten auf Dauer nichts anderes übrigbleibe, als zumindest informelle Beziehungen aufzubauen. „Das haben sie von Anfang an verstanden“, sagt Bahiss.

Gespräche

Auch deshalb dürften die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der internationalen Gemeinschaft zuletzt zugenommen haben. Europäische Regierungen, allen voran Deutschland und Frankreich, lehnen diplomatische Beziehungen zu den Taliban bislang ab. Doch immer mehr andere Staaten haben mittlerweile zumindest Gespräche aufgenommen, ohne dabei offiziell die Regierung anzuerkennen – auch weil dabei oftmals wirtschaftliche und sicherheitspolitische Interessen überwiegen.

Laut dem Washington Institut für Nahost-Politik wurden seit der Machtübernahme der Taliban 18 Botschaften in Kabul wiedereröffnet. Gleichzeitig akzeptieren immer mehr Länder wie die Türkei, der Iran, Russland, aber auch Kasachstan Diplomaten der Taliban in ihren afghanischen Botschaften. Experte Bahiss zufolge unterstützen die unmittelbaren Nachbarländer in Zentralasien die Politik der Taliban zwar nicht, ziehen aber aus wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Gründen ein stabiles Afghanistan einem instabilen, vom Bürgerkrieg geplagten Nachbarstaat vor.

Neue Wege

Ihren bislang wohl größten außenpolitischen Erfolg konnten die Taliban Anfang des Jahres verbuchen, als der chinesische Präsident Xi Jinping den weltweit ersten Botschafter der Taliban in Peking akkreditierte. Auch wenn die chinesische Regierung im Nachhinein betonte, dies sei nicht mit einer offiziellen Anerkennung gleichzusetzen, dürfte es ein deutliches Signal gewesen sein. Auch Russland hat seine Beziehungen zu den Taliban weiter ausgebaut und angekündigt, die Gruppe von der Liste der internationalen Terrororganisationen streichen zu wollen.

Langfristig könnte dies nach Einschätzung Bahiss‘ auch zu einem Problem für die westlichen Staaten werden: Hätten sich die Taliban anfangs allen geöffnet, drohe Afghanistan nun in den Einflussbereich von Ländern wie Russland, China oder dem Iran zu geraten und sich damit geopolitisch diametral zu Europa oder den USA zu positionieren. In jedem Fall braucht es künftig neue Wege, um auf die Taliban einzuwirken. Gespräche, wie die Verhandlungen in Doha, könnten dafür ein erster Schritt sein. (epd/mig) Aktuell Ausland

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