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Evakuierung aus Afghanistan © Bundeswehr

„Versprechen gebrochen“

Hilfsorganisationen: Afghanistan-Aufnahmeprogramm fortsetzen

Drei Jahre nach der Machtübernahme der Taliban steht das Bundesaufnahmeprogramm für gefährdete Afghanen auf der Kippe. Hilfsorganisationen dringen auf eine Weiterführung und warnen vor einem Vertrauensverlust. Auch aus der Politik kommt Kritik.

Donnerstag, 15.08.2024, 12:45 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 15.08.2024, 12:45 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Angesichts drohender Haushaltskürzungen dringen Hilfsorganisationen auf eine Fortführung des Bundesaufnahmeprogramms für gefährdete Afghaninnen und Afghanen. „Nach wie vor gibt es viele schutzbedürftige Menschen in Afghanistan, denen Folter und Haft drohen, weil sie sich für die Menschenrechte eingesetzt haben“, sagte Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch am Mittwoch in Berlin. Man habe die Menschen in Afghanistan ermutigt, sich für Bildung, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie einzusetzen und dürfe sie nicht im Stich lassen.

Die Zukunft des Aufnahmeprogramms ist derzeit offen. Es wird aus dem Etat für freiwillige Aufnahmen finanziert, zu dem auch das Resettlement-Programm zählt. Dieses soll nach gegenwärtigen Haushaltsplanungen auf fast 13 Prozent der Mittel eingedampft werden. Im kommenden Haushalt sind nur noch 8,9 Millionen Euro dafür veranschlagt.

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Menschenrechtsinstitut besorgt

Die Caritas sieht in den Kürzungen „faktisch das Ende des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan“. „Dies wäre ein dramatischer Vertrauensbruch gegenüber den Schutzsuchenden und der engagierten Zivilgesellschaft“, sagte die Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Eva Maria Welskop-Deffaa. Auch der AWO-Bundesverband forderte die Weiterführung des Programms. Ein Aus wäre nicht nur ein fatales Signal an die gefährdeten Afghaninnen und Afghanen, sondern auch „ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die sich seit Jahren für ihre Rettung einsetzen“, sagte AWO-Präsident Michael Groß.

Das Institut für Menschenrechte zeigte sich besorgt über die aktuelle Lage in Afghanistan. „Das Ausmaß des Leids, das neben der katastrophalen humanitären Lage vor allem durch weitverbreitete schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen verursacht wird, ist alarmierend“, erklärte die Leiterin der Abteilung Menschenrechtspolitik Inland/Europa, Nele Allenberg. Das Aufnahmeprogramm sei von entscheidender Bedeutung, um Menschen Schutz zu bieten, die sich für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt haben.

Amnesty fordert Fortsetzung

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl und die Landesflüchtlingsräte fordern die Bundesregierung drei Jahre nach der Machtübernahme der Taliban auf, ihr Schutzversprechen zu erfüllen. Zudem fordern die Organisationen einen bundesweiten Abschiebestopp nach Afghanistan und die Einstellung jeglicher Kooperationsgespräche mit dem Taliban-Regime zu Rücknahmeabkommen. „Kriminellen Regimen wie den Taliban darf man nicht die Hand reichen, sie anerkennen oder mit ihnen zusammenarbeiten“, sagte Tareq Alaows von Pro Asyl.

Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat die Bundesregierung vor der Einstellung des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan gewarnt. Sollte das Programm im kommenden Jahr nicht mehr weiter finanziert werden, breche die Bundesregierung damit gegenüber zahlreichen afghanischen Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten sowie Journalisten und Anwälten ihr Versprechen, erklärte die Asien-Expertin von Amnesty Deutschland, Theresa Bergmann, in Berlin. „Das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan war eigentlich ein Hoffnungsschimmer“, sagte Bergmann.

Bünger: Versprechen gebrochen

Kritik am aktuellen Stand kommt auch aus der Politik. Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, bescheinigt der deutschen Aufnahmepolitik ein schlechtes Zeugnis. „Die Ampel hatte großmundige Versprechen abgegeben, Menschenrechtsverteidiger:innen, Frauen und Kinder sollten unkompliziert aufgenommen werden, jeder Tag zähle, hat Außenministerin Baerbock erklärt. Stattdessen hat die Bundesregierung mit dem Bundesaufnahmeprogramm ein intransparentes, bürokratisches Monstrum geschaffen, mit dem in 22 Monaten gerade einmal 540 Personen einreisen konnten. Jetzt steht sogar die weitere Finanzierung des Programms auf der Kippe. Das ist das Gegenteil von Verantwortungsübernahme, und es ist auch das Gegenteil von feministischer Außenpolitik“, so Bünger.

Am 15. August 2021 hatten die Taliban wieder die Macht in Afghanistan übernommen. Das Bundesaufnahmeprogramm startete offiziell im Oktober 2022. Es richtet sich an Menschen, die wegen ihres Einsatzes für Frauen- und Menschenrechte oder ihrer früheren Arbeit in wichtigen gesellschaftlichen Bereichen wie Justiz, Bildung oder Politik Verfolgung durch die Taliban fürchten müssen. Auch Familienangehörige können so nach Deutschland einreisen.

Das Programm sollte die Einreise von monatlich 1.000 Menschenermöglichen. Tatsächlich sind bis Mitte Juni aber insgesamt nur rund 530 gefährdete Afghaninnen und Afghanen aufgenommen worden. (epd/mig) Aktuell Ausland

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