Swakopmund in Namibia
Die wohl deutscheste Stadt außerhalb Deutschlands
Swakopmund gilt als „Namibias deutsche Stadt“. Dabei sind die Deutschstämmigen dort weitaus in der Minderheit. Viele Schwarze Namibier fühlen sich ausgegrenzt. Ein Besuch vor Ort.
Von Kristin Palitza Mittwoch, 21.08.2024, 13:46 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 21.08.2024, 13:48 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Fast ist es, als sei man in Deutschland: Bauten aus der Kaiserzeit reihen sich an Fachwerkhäuser – und das in Namibia. Auch die Straßennamen klingen vertraut: In der Bismarckstraße steht das für einen Hamburger Spediteur 1894 erbaute Woermannhaus. Ein Stückchen weiter, Ecke Garnison- und Bahnhofstraße, kommt man am Alten Amtsgericht vorbei, dem ehemaligen Kaiserlichen Bezirksgericht. Das Hohenzollernhaus, einst die prunkhafte Residenz eines deutschen Kolonialherren, gilt als Wahrzeichen der Stadt. Ein Spaziergang durch den namibischen Küstenort Swakopmund kommt einer Zeitreise in die Vergangenheit gleich.
Urlauber haben die Wahl zwischen dem traditionellen Hotel Hansa, dem Hotel Eberwein im Kolonialstil, der Pension Deutsches Haus oder dem Hotel Zum Kaiser. Abends wird deutsches Bier vom Fass im Brauhaus ausgeschenkt, wo Eisbein, Schweinshaxen und Knödel serviert werden. Im Wohnhaus Am Zoll läuft im Fernsehen die „Tagesschau“. Die Adler-Apotheke ist nicht weit entfernt von der deutschen Buchhandlung, der evangelischen Kirche, dem deutschen Kindergarten, der Goldschmiede Engelhard sowie dem Hofmeyer Schülerheim.
In der ehemaligen deutschen Kolonie Namibia (1884-1915), die damals noch Deutsch-Südwestafrika hieß, betreut der dort ansässige Deutsche Kulturrat rund 25 deutsche Vereine, darunter die Männergesangs- und Karnevalsvereine in Swakopmund. Es gibt wohl keine andere Stadt, in der das deutsche Kolonialerbe noch derart allgegenwärtig ist. Die am Atlantik liegende Stadt mit ihrer prominenten Strandpromenade wird daher auch schmunzelnd das „südlichste Nordseebad“ genannt.
Namibias „deutsche Stadt“
Dabei ist Schätzungen zufolge heute nicht einmal ein Prozent der rund 2,6 Millionen Namibier deutschstämmig. Von den etwa 67.000 Einwohnern Swakopmunds sollen rund 1.200 deutsche Vorfahren haben. Die Stadt ist für Touristen ein Safari-Zwischenstopp. Für die Schwarze Mehrheit ist die immer noch spürbare kulturelle Dominanz der ehemaligen Kolonialherren, die hier vor 120 Jahren einen Völkermord verübten, eher befremdlich.
In dem von Namibia-Deutschen geführten Café Anton, das im Erdgeschoss des Hotels Schweizerhaus liegt – einst das Messehaus der deutschen Kolonialgesellschaft – erzählt der in Namibia geborene Enkel deutscher Auswanderer, Raimar von Hase, von einem Gesprächskreis, der den Dialog zwischen Weißen und Schwarzen Namibiern fördern will. Seit vier Jahren treffen sich die deutschstämmigen Mitglieder mit Vertretern Schwarzer Volksgruppen, besonders der Herero und Nama – den Nachfahren der Opfer des Genozids.
Das Deutsche Reich schlug seinerzeit Aufstände gegen seine Kolonialherrschaft brutal nieder. Während des Herero-und-Nama-Kriegs (1904-1908) kam es zu einem Massenmord, der als erster Genozid im 20. Jahrhundert gilt. Historiker schätzen, dass etwa 75.000 Herero und Nama getötet wurden. Die Bundesregierung und die Regierung von Namibia verhandeln seit langem über ein vorgelegtes Aussöhnungsabkommen, das Finanzhilfen Deutschlands für Entwicklungsprojekte in Namibia in Höhe von 1,1 Milliarden Euro vorsieht. Eine Verabschiedung der Erklärung steht jedoch noch aus. Nachkommen der Herero und Name werden an den Verhandlungen nicht beteiligt, was Kritik auf sich zieht.
Annäherung durch Gespräche
Von Hases Familiengeschichte ist eng mit der Kolonialzeit verknüpft. Sein aus Ostwestfalen stammender Großvater wanderte 1910 in das damalige Deutsch-Südwestafrika aus, erwarb Farmland und baute eine Viehzucht auf. Von Hase übernahm sie später. Tausende Schafe, aber auch Kühe und Ziegen habe er gezüchtet. Schuldgefühle habe er nicht, sagt er. „Dafür liegt das Ganze zu lange zurück.“
Gegenüber dem Café Anton steht das Marine-Denkmal, prominent vor dem Stadtmuseum und Leuchtturm platziert. Es erinnert an das Marine-Expeditions-Korps der deutschen Schutztruppe, die 1904 in der Niederschlagung des Nama-und-Herero-Aufstands mitwirkte. Auf einem massiven Felssockel steht breitbeinig ein deutscher Soldat, dessen Gewehr auf das Stadtzentrum von Swakopmund, etwas weiter per Luftlinie, auf ein Massengrab der Herero und Nama am Stadtrand gerichtet ist. Zuletzt sorgte ein AfD-Politiker am Rande einer Delegationsreise für Empörung, weil er einen Kranz am Denkmal niedergelegt hatte.
Was für viele Deutschstämmige als wichtiger Teil der Geschichte betrachtet wird, ist für die Nachfahren der Nama und Herero ein Schlag ins Gesicht. Sie wollen das Denkmal abgerissen sehen, sagt Laidlaw Peringanda, ein Aktivist, der sich für die Schaffung von Genozid-Gedenkstätten in Swakopmund einsetzt. Mehrere Proteste vor dem Denkmal von Vertretern der Nama und Herero seien von der Polizei gestoppt worden. Unbekannte begossen es mit roter Farbe.
Forderung nach Gedenkstätten
Der 49-Jährige lebt in einem kleinen Backsteinhaus in einem Armenviertel am Stadtrand, wo die Wüste beginnt. Hier hat er ein Genozid-Museum eröffnet, das erste des Landes. Allerdings ist die Bezeichnung „Museum“ eher Wunschdenken, denn Peringandas Räumlichkeiten messen gerade mal sechs Quadratmeter. Die Ausstellung besteht aus gerahmten Kopien historischer Fotos und einer Handvoll von Geschichtsbüchern. „Ich will Besuchern zeigen, was damals passiert ist, damit wir aus der Vergangenheit lernen“, sagt Peringanda. Auch für interkulturellen Austausch will er werben.
Zu Peringandas Vorfahren gehören Herero sowie Nama. Sein Urgroßvater kämpfte gegen deutsche Truppen während des Völkermords und starb später im Konzentrationslager von Swakopmund, zusammen mit anderen Mitgliedern seiner Familie. Peringanda vermutet, dass ihre Überreste in den unmarkierten Massengräbern am Stadtrand von Swakopmund verscharrt sind – auf die sich die Gewehrspitze des deutschen Marine-Soldaten richtet.
Es handelt sich um ein karges Feld, das direkt an den gepflegten, städtischen Friedhof angrenzt, auf dem auch viele Deutsche begraben liegen. Dutzende flache Sandhügel reihen sich aneinander. Statt marmornen Grabsteinen dienen faustgroße Steine vom Straßenrand als namenlose Markierer. Nur zu Beginn des Feldes verweist ein schlichter Gedenkstein auf die Tausenden Kinder, Frauen und Männer, die aufgrund der von Deutschen verübten Gewalttaten starben.
Respekt und Würde fehlen
Die Stadtverwaltung pflege täglich die Gräber auf dem offiziellen Friedhof, wässere Sträucher, harke die Wege. Doch um die Instandhaltung der Massengräber kümmere sich niemand, klagt Peringanda. Viermal im Jahr schaufelt er die Sandhügel mit einer Gruppe freiwilliger Helfer in eigener Aktion wieder auf. Doch die Arbeit ist müßig. In der Küstenstadt weht stets ein steifer Wind. Peringanda zeigt auf Hundespuren im Sand: „Die Gräber sind seicht. Sie buddeln nach Knochen.“
Peringanda wünscht sich mehr Respekt, Würde und ein friedliches Miteinander. Weiße und Schwarze gingen in Swakopmund hauptsächlich getrennte Wege. Die Angst vor Veränderung sitze aufseiten der Deutsch-Namibier tief, sagt er. „Wir sollten stattdessen zusammenkommen und eine freundschaftliche Lösung finden.“ Das ist auch in Raimar von Hases Sinne: Miteinander zu sprechen, sei der erste Schritt in Richtung Versöhnung. (dpa/mig) Feuilleton Leitartikel
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Der deutsche Bundestag hat bezüglich die Türken in ihrer Geschichtsschreibung bevormundend 2016 die sogenannte „Armenien-Resolution“ verabschiedet, aber bis heute es nicht geschafft, in eingener Sache beüzglich der eigenen Geschichtsschreibung eine „Herero-Nama-Resolution“ zu verabschieden. Dazu die Vorsitzende des Herero-Verbandes OGC, Esther Muinjangue 2016 bei einem Interview mit „Die Welt“: „Wir finden es sehr interessant, dass sich die Deutschen so aktiv für die Sache der Armeinier einsetzen, während sie ihre eigenen Angelegenheiten unter den Tisch kehren“. Zum Artikel sollte vielleicht noch folgendes erwähnt werden: 1904 erteilte der deutsche Generalleutnant Lothar von Trotha in Deutsch-Südwestafrika den Befehl, alle Stammesangehörigen der Herero und Nama zu töten.