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Prof. Kenan Engin © privat

Fristlose Kündigung

Kostet Kampf gegen Diskriminierung Professor Karriere?

Prof. Dr. Engin hat an mehreren Universitäten im In- und Ausland geforscht und gelehrt. Jetzt wurde er fristlos entlassen. Der Fall wirft eine zentrale Frage auf: Wurde er gekündigt, weil er sich in der Hochschule gegen Diskriminierung von Studierenden eingesetzt hat?

Von Sonntag, 25.08.2024, 10:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 26.08.2024, 7:02 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

Eigentlich wäre der Ausdruck „gelungene Integration“ im Falle von Prof. Dr. Kenan Engin eine deutliche Untertreibung. Der Professor unterrichtete noch bis vor kurzem im Studiengang soziale Arbeit, an der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin, einer Hochschule der Johanniter. Jetzt hat er die fristlose Kündigung bekommen. Schaut man sich die Gründe für seine Entlassung an, schüttelt man mit dem Kopf. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, drei E-Mails von seinem dienstlichen E-Mail-Konto versandt zu haben.

Recherchen zeigen allerdings, dass die tatsächlichen Gründe für die Entlassung des Wissenschaftlers woanders liegen. Ehemalige Studierende berichten, dass sie an der Hochschule diskriminiert wurden. Die Vorwürfe seien zwar der Hochschulleitung gemeldet worden, getan habe sich aber nichts. „Herr Engin war nicht so. Er hatte immer ein offenes Ohr für uns. Seine Tür stand immer offen und wir konnten mit ihm über alles reden“, erzählt Alida S. (Name geändert) im Gespräch, die zuvor an der Akkon Hochschule studiert hat.

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Sie erzählt, wie sie zu Unrecht schlecht benotet wurde und Beschwerden nichts bewirkten. Sie vermutet dahinter Diskriminierung wegen ihres nicht deutschen Namens. „Auch andere Studierende hatten das Gefühl, aufgrund ihrer Herkunft unfair behandelt worden zu sein. „Kommilitonen mit deutschen Namen hingegen wurden nicht schlechter behandelt“, sagt Alida S. Zumindest sei ihr kein Beispiel bekannt. „Prof. Engin hat sich aber immer für uns eingesetzt und hat mehrfach versucht, einzugreifen“.

Schreiben der Antidiskriminierungsstelle

Der Fall von Prof. Engin entwickelt sich zunehmend zu einem Politikum und liegt auch der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) vor. In einem mehrseitigen Schreiben, was der Redaktion vorliegt, wird die Leitung der Hochschule aufgefordert, Stellung zu den zahlreichen Maßnahmen gegen Engin zu beziehen. Ihm sei die Studiengangsleitung und das Prüferrecht entzogen worden, „er wurde aus dem Lehrbetrieb herausgenommen, seine Positionsbezeichnung geändert und ihm wurden Aufgaben zugeteilt, die nur in Teilen mit seinem Arbeitsvertrag vereinbar sind“, heißt es in dem Schreiben der Antidiskriminierungsstelle. „Die Entscheidungen wurden ihm gegenüber nicht begründet“, wird in dem ADS-Papier weiter moniert. Seine Tätigkeit sei fortan als „Beauftragter Programmentwicklung & Forschung Soziale Arbeit“ bezeichnet worden.

Das Papier legt nahe, dass Engin schon seit längerem diskriminiert wird. „Bereits am 02.05.2019 sollen seine Bürosachen ohne vorherige Abrede und ungefragt vor seine Bürotür gestellt worden sein, damit eine neu eingestellte Mitarbeiterin in dem Büro arbeiten konnte. Auf der Etage gab es etwa weitere 30 Mitarbeiter*innen ohne Migrationshintergrund“.

An anderer Stelle wird kritisiert, Prof. Dr. Engin, der sich über die strukturellen Benachteiligungen mit der Hochschulleitung (HSL) in einem geschützten Raum austauschen und konstruktiv lösungsorientiert diskutieren wollte, wurde daraufhin mit fristloser Kündigung gedroht. Mitte April 2024 wurde ihm von der Hochschulleitung völlig unerwartet ein Aufhebungsvertrag angeboten, davor sei weder ein Vorgespräch, Abmahnung, Warnung oder dergleichen vorausgegangen. Das Schreiben schildert, mit welch perfiden Formen von Mobbing der Wissenschaftler in den vergangenen Monaten und Jahren kämpfen musste. Weil er einen Aufhebungsvertrag nicht unterschreiben wollte, hat man bei ihm die Daumenschrauben deutlich angezogen. „Was passiert, wenn der Vertrag nicht angenommen wird? Offen gesagt: Wir können dich jetzt nicht kündigen, werden dich dann weiterbeschäftigen, aber werden Maßnahmen ergreifen, die dich nicht glücklich machen werden. Das betrifft zum Beispiel die Frage der Studiengangsleitung; wir werden die genannten Punkte abmahnen; zukünftig sehr engmaschig mit Arbeitsanweisungen und entsprechenden Kontrollen arbeiten,“ wird in dem ADS-Papier ein Mitarbeiter der Hochschulleitung zitiert.

Studierende hinter Engin

Die Studierenden im Fach soziale Arbeit der Akkon Hochschule stellen sich hinter Engin und fordern jetzt in einer Petition ihren Professor wieder zurück. Sie hätten nur über Umwege erfahren, dass Prof. Engin im Sommersemester ausfallen werde, beschweren die sich. „Es ist den Studies der Akkon Hochschule nur durch die Kommunikation über Ecken bekannt, dass Herr Prof. Dr. Kenan Engin von dem Lehrbetrieb ausgeschlossen wurde und nicht mehr als Studiengangsleiter fungiert. Diese enorme und unklare Veränderung sorgt für eine große Unruhe sowie Unsicherheit bei den Studies, vor allem bei den Studierenden der Sozialen Arbeit“, heißt es in der Petition.

Akkon Hochschule, Berlin, Eingang, Gebäude

Akkon Hochschule in Berlin © MiG

In einer E-Mail an verschiedene Behörden und Politiker kritisieren sie zudem, dass Engin den Preis für seinen Einsatz gegen Diskriminierung zahlen musste. „Nach unseren Informationen geht die Freistellung von Herrn Prof. Dr. Kenan Engin darauf zurück, dass er sich hochschulintern für die Gleichbehandlung aller Studierenden, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, eingesetzt hat“, heißt es in einem anderen Schreiben der Studierenden an verschieden Politiker, das dem MiGAZIN vorliegt.

Die Studierenden bestätigen darin auch Alida S‘. Schilderungen. „In der Vergangenheit ist bei uns Studierenden der Eindruck entstanden, dass vor allem Studierende mit Migrationshintergrund besonders lange auf eine Rückmeldung wie z.B. auf Anträge auf Anerkennung, Fristverlängerung warten müssen oder diese gänzlich ausbleibt. Ferner wurden ihre Leistungen angezweifelt. Diese Art von Andersbehandlung sorgte bei Studis mit Migrationshintergrund Unsicherheiten und ernsthafte Bedenken, die wir auch an den damaligen Studiengangsleiter Prof. Dr. Kenan Engin herangetragen haben“. Im Prüfungsamt sei man in der Vergangenheit mit grenzwertigen Aussagen gegen sie auffällig geworden. Es gäbe abschätzige Belehrungen und es seien nicht zielführende Aussagen gefallen. Der zuständige Sachbearbeiter habe ohne sachlichen Grund die Echtheit von Leistungen infrage gestellt. Die Liste der Kritikpunkte der Studierende ließe sich noch weiter fortsetzen.

Hochschule gib sich weltoffen

Auf Nachfrage gibt sich die Hochschule weltoffen und tolerant. „Wir als Akkon Hochschule für Humanwissenschaften setzen uns aufgrund unserer humanwissenschaftlichen Ausrichtung und unseres Leitbildes für die Werte der Weltoffenheit und der Chancengleichheit aller Menschen, unabhängig von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Orientierung, ihrem Alter und möglichen Behinderung ein“, schreibt die Hochschule.

Im Gegensatz zu den Schilderungen der Studierenden gäbe es zudem kaum Fälle von Diskriminierung. In der ersten Jahreshälfte 2024 seien nur zwei Beschwerden zu Diskriminierungsvorwürfen eingegangen. „Zusätzlich zu den genannten beiden Fällen von Diskriminierung von Studierenden gab es in den vergangenen Jahren zwei Beschwerden wegen (intersektionaler) Diskriminierung gegen eine Lehrperson“, schreibt die Hochschule in ihrer Antwort. Zu allen weiteren Fragen könne die Hochschule keine Angaben machen, „aufgrund der Vertraulichkeit von Personalangelegenheiten“, heißt es.

Recherchen zeigen aber, dass der Hochschulleitung durchaus mehrere Fälle von Diskriminierung bekannt sein müssen.

Vorwurf: Untätigkeit bei Diskriminierung

Der Rechtsanwalt von Professor. Dr. Engin kritisiert, dass die Hochschulleitung nicht gegen die Diskriminierungsfälle vorgegangen sei. „Statt die beanstandeten Vorfälle zu überprüfen, wurde meinem Mandanten verboten, mit Kollegen und Studenten zu kommunizieren.“ erklärt sein Rechtsanwalt und Experte für Mobbing und Diskriminierung, Prof. Dr. Klaus Michael Alenfelder. Später habe man sich von Prof. Engin komplett entledigen wollen. Engin sollte allerdings freiwillig gehen. „Man hat meinem Mandanten ganz deutlich gezeigt, dass es Maßnahmen geben werde, ‚die dich nicht glücklich machen werden, wenn du nicht freiwillig gehst‘, was er natürlich abgelehnt hat.“ Die Maßnahmen endeten am 29. Juli 2024 mit einer fristlosen Kündigung. Der Rechtsexperte geht davon aus, dass es sich um Diskriminierung wegen ethnischer Herkunft und Behinderung sowie Mobbing handelt. „Diskriminierung und Mobbing sind direkte Angriffe auf die Menschenwürde. Diese dürfen nicht geduldet werden“, so Alenfelder.

Auch andere Experten halten es für möglich, dass an Universitäten Wissenschaftler Opfer von Mobbing werden können. „In allen wichtigen gesellschaftlichen Institutionen ist Diskriminierung möglich. Wenn man hier Rassismus benennt, sticht man oft in ein Wespennest. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Man nimmt das als Institution auf, spricht mit den Betroffenen, untersucht den Fall und schult gegebenenfalls sein Personal und durchläuft im besten Fall einen Prozess einer diskriminierungskritischen Organisationsentwicklung. In vielen Fällen wird jedoch der Vorwurf abgewehrt. Es kommt zur Täter-Opfer Umkehr. Der Betroffene selbst wird plötzlich zum Problem. Das kann dazu führen, dass diese aus dem Dienst gedrängt werden können,“ sagt Sozialwissenschaftler Dr. Cihan Sinanoğlu, vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) im Gespräch.

„Ein Mechanismus des Institutionellen Rassismus ist es, dass er oft nicht intendiert durch Routinen, Verordnungen und Formalien produziert wird. Es kann aber auch passieren, dass andere Gründe vorgeschoben werden, etwa dass man behauptet, die Person arbeite schlecht. Man sollte den Betroffenen daher immer ein Ohr schenken. Diesen wird zu wenig geglaubt“, so Sinanoğlu, der auch die Geschäftsstelle des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors (NaDiRa) im DeZIM-Institut leitet.

Engin will sich nicht unterkriegen lassen

Engin selbst liebt seine Arbeit und vermisst auch seine Studenten, erzählt er. „Es ist einfach nur traurig“, sagt der aus dem türkischen Dersim stammende Professor kurdischer Abstammung. Zwischen 1937 und 1938 wurden dort zehntausende Menschen ermordet und viele deportiert. Damals wurde viel Leid über die Menschen in der Region gebracht. Dennoch ließen sie sich nicht unterjochen. Auch Engin will sich nicht unterkriegen lassen und kämpft gegen die Ungerechtigkeit. Details über seinen Fall will er aber nicht viele geben, da wegen seiner Entlassung ein juristischer Prozess läuft.

Der Werdegang des Professors ist eine reine Erfolgsgeschichte. Nach seinem Studium in Sozialwissenschaften in Istanbul folgten mehrere Studienaufenthalte in England, den USA und Deutschland. Der Wissenschaftler lehrte zudem unter anderem an der Hochschule Mainz, Universität Heidelberg, Hochschule Worms, Hochschule Heilbronn, Hochschule Ludwigshafen und an der polytechnischen Universität im russischen Tomsk.

Obwohl Engin recht spät, mit fast 30 Jahren, nach Deutschland gekommen ist und zudem über eine Schwerbehinderung verfügt, konnte er dennoch eine steile Karriere hinlegen. Auch seine Liste mit Forschungsgeldern und Stipendien bestätigt seinen Erfolg. Doch weder seine Fähigkeiten noch seine Beliebtheit bei Studierenden hielten die Hochschule davon ab, den Professor zu feuern. (mig) Aktuell Panorama

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