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Extremismusforscher Prof. Dr. Andreas Zick

Interview

Andreas Zick: Nach Solinger Anschlag nicht den Populismus stärken

Extremismusforscher Andreas Zick warnt davor, den Solinger Anschlag zu instrumentalisieren. Nötig sei vielmehr, den Terror zu analysieren, sagte der Wissenschaftler im Gespräch. Den Bürgern sollten keine Modelle angeboten werden, die nicht umsetzbar sind. Das stärke den Populismus.

Von Montag, 26.08.2024, 13:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 26.08.2024, 13:26 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Nach dem Anschlag in Solingen fordern Politiker der Oppositionsparteien einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik. CDU-Chef Friedrich Merz fordert etwa, keine Menschen mehr aus Syrien und Afghanistan aufzunehmen und Erleichterungen der Einbürgerung zurückzunehmen. Wie bewerten Sie die Debatte?

Die Reaktionen der Politik sind erwartbar, zumal die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen kurz bevorstehen und dort die AfD mit dem Thema punktet. Die CDU versucht seit Wochen, mit scharfen Modellen von Abschiebungen Wähler zu gewinnen. Dass nun die Schärfe zunimmt und auch die Frage der Einbürgerungen aufgeworfen wird, ist irritierend. Der inhaftierte mutmaßliche Täter war nicht im Einbürgerungsverfahren. Mehr noch, er ist über Bulgarien eingereist, das Land hätte ihn zurückgenommen. Jetzt in der Sache die Fakten schnell zu vermischen, hilft denen, die noch ganz andere Maßnahmen fordern.

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Was sollte jetzt im Fokus stehen?

Im Moment ist der Terror genau zu analysieren, muss die Analyse von möglichen Gefährdern erhöht werden. Und vor allem gilt die maximale Sorge um die Opfer und Verwandten. Auch braucht es eine genaue Analyse der rechtlichen Möglichkeiten. Den Bürgern sollten nicht Modelle angeboten werden, die nicht umsetzbar sind. Das hat den Populismus stark gemacht, weil immer wieder politisch Dinge aus der Mitte angekündigt werden, die nicht abgesichert sind.

Welche Auswirkungen hat der Anschlag und die Debatte über die Migrationspolitik auf die anstehenden Wahlen?

Von der Europawahl wissen wir, dass das Thema Migration das Politikthema Nummer eins ist. Das deutet sich für die Landtagswahlen an, das wird so bei der Bundestagswahl sein. Bis kurz vor den Europawahlen waren es eigentlich andere Sorgen, die die Bürger wichtiger fanden. Aber im Wahlkampf selbst lässt sich das Thema Migration besser für politische Signalbotschaften nutzen. Migration ist mit Ängsten, Sorgen und Unsicherheiten stärker besetzt als mit Chance, Notwendigkeiten und realistischen Herausforderungen.

Das ist für die Migrationspolitik selbst eine enorme Herausforderung, denn eigentlich sollte sie zur normalen Politik dazugehören, weil Migration gebraucht wird und Politik sie gut gestalten und vermitteln können sollte. Viele Bürger haben aber nur ein ungenaues Migrationskonzept, das bei Terroranschlägen oder Unsicherheiten zu verallgemeinernden negativen Einstellungen gegenüber Migration und Migrationspolitik führt.

Welche Änderungen erwarten Sie in der Migrationspolitik?

Langfristig wird sich das verstärken, was es gibt: schärfere Kontrollen, mehr Abschiebungen. Auch der Druck, Abkommen mit den Herkunftsländern zu schließen, nimmt zu. Das ist von der Regierung bis zur Opposition so angekündigt.

Muss nach dem Anschlag von Solingen mit einer Zunahme von ausländerfeindlichen Attacken gerechnet werden?

Leider ja, wie es fast immer der Fall nach islamistischen und anderen Terroranschlägen war. Es gab danach massive Kampagnen gegen unschuldige und unverdächtige Bürger, weil sie eine tatsächliche oder reale Migrationsgeschichte haben. Es gab massive Hasskampagnen in den sozialen Netzen. Die Rechtsextreme mobilisiert.

Das wissen gerade die Solinger, denn sie haben schon mehrere rechtsextreme, rassistische und nun scheinbar auch islamistische Angriffe erlebt. Es ist für Solingen ein sehr belastendes Ereignis, weil es so viele Konflikte und Zerreißproben erzeugen kann. In dem Fall Ruhe zu bewahren und eine Trauerkultur einzuhalten, wird schwerfallen.

Wie kann eine Terror- und Gewaltprävention aussehen?

Was nottut, ist die Diagnostik von gefährdeten Personen. In dem Fall handelt es sich nach derzeitigen Informationen um einen Terroristen, der angeworben und aufgehetzt wurde. Dass er am Ende ein Messer für den Mord und die Tötungsversuche anwendet, steht am Ende einer Radikalisierung. Der Weg dahin ist zu unterbrechen. Es braucht ein Maßnahmenpaket und nach den neuen Mobilisierungsbewegungen der Terrorgruppen neue Anstrengungen der Radikalisierungs- und Gewaltprävention.

Wie kann eine solche Prävention aussehen?

Es braucht das, was Deutschland eigentlich ganz gut in den letzten Jahren und nach den islamistischen Terroranschlägen entwickelt hat: Für die Opfer braucht es eine klare Solidarität und Unterstützung. Die Verarbeitung einer solchen Tat dauert enorm lange an.

Was die Gewaltprävention und die Terrorbekämpfung angeht, braucht es eine genaue Analyse der Gefährdungslage, ein Angebot der Gewaltprävention, eine Klärung der rechtlichen Möglichkeiten von Kontrollen, Abschiebungen und Einschränkungen von Waffen. Nötig ist auch ein Strategieplan für die frühe Gewaltprävention gerade für psychisch belastete Personen. Die Behörden werden jetzt wieder genau beobachten müssen, welche Terroraufrufe es gibt.

Wo sehen Sie Grenzen?

Was wir nicht brauchen, ist ein Hochfahren von Stereotypen, Vorurteilen, Rassismus, Verdächtigungen und Hass gegen Menschen, die eine Migrationsgeschichte haben. Das ist das, was der Terror möchte. Terror möchte Gesellschaften in Unruhe versetzen, egal, welche politischen Verhältnisse daraus hervorgehen. Das ist dem Terrorismus egal.

In dem eingegangenen Bekennerschreiben der Terrororganisation IS wurde als Motiv unter anderem „Rache für Muslime in Palästina und anderswo“ genannt. Muss in Deutschland durch den Nahost-Konflikt mit mehr Anschlägen gerechnet werden?

Der Nahostkrieg erzeugt leider eine höhere Gefahr, weil er zu massiven Konflikten und einem Aufschwung des Terrors sorgt. Ich bin sicher, dass sich nun auch viele Jüdinnen und Juden massiv verunsichert fühlen. Insgesamt ist mit dem Krieg schon die Gewaltgefährdung gestiegen. Es gab massive aggressive pro-palästinensische Proteste. Der Terror der Hamas, dem sich andere Länder und Terrorgruppen angeschlossen haben, schürt Hass und Gewaltphantasieren.

Dass der IS jetzt darauf einsteigt, zeigt, dass die Gefährdungen durch weitere Gewalt sehr ernst sind. Wir wissen, dass Terror in Wellen kommt und derzeit mehren sich die Anzeichen dafür, dass auch in Europa Anschläge verübt werden sollen. Dazu werden Menschen einzeln und in Gruppen in sozialen Netzen aufgesucht, angeworben und motiviert. Der Mordanschlag in Solingen wird Informationen geben, woher die Gewalt kommt und welche neuen und alten Ideologien dabei eine Rolle spielen. (epd/mig) Aktuell Interview Panorama

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