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Trauer in Solingen nach dem Messerangriff

Aufnahmestopp & Abschiebung

Solingen-Anschlag befeuert Asyl- und Sicherheitsdebatte

Ein Syrer, dessen Abschiebung 2023 gescheitert ist, soll den Messeranschlag in Solingen verübt haben. Vor Landtagswahlen im Osten mehren sich die Forderungen nach schärferen Regeln in der Flüchtlingspolitik. Menschenrechtler mahnen.

Montag, 26.08.2024, 13:15 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 26.08.2024, 13:15 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Nach dem tödlichen Messerangriff von Solingen werden Forderungen nach härteren Abschieberegeln und einem strengeren Waffenrecht lauter. Zugleich wird Aufklärung verlangt, weshalb die Behörden im vergangenen Jahr mit dem Versuch scheiterten, den syrischen Asylbewerber abzuschieben, der so überhaupt erst den Anschlag mit drei Todesopfern am Freitagabend verüben konnte.

Bei einem Straßenfest in der Stadt im Bergischen Land waren auch acht Menschen verletzt worden, vier davon schwer. Ein 26-jähriger tatverdächtiger Syrer sitzt seit Sonntagabend in Untersuchungshaft – unter anderem wegen Mordverdachts und wegen des Vorwurfs, der Terrormiliz „IS“ anzugehören. Die Terrormiliz reklamierte den Anschlag für sich und veröffentlichte am Sonntag ein Video, das den Täter zeigen soll. Wann das Video aufgenommen wurde und ob es sich tatsächlich um den Täter handelt, ist bislang nicht zweifelsfrei geklärt. Experten bezweifeln die Echtheit zunehmend an, vieles deute darauf hin, dass es sich um einen Einzeltäter handelt.

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Scholz kündigt schnelle Verschärfung des Waffenrechts an

Ungeachtet dessen werden Forderungen aus der Politik laut. Bundeskanzler Olaf Scholz etwa hat schnelle Konsequenzen angekündigt. Die waffenrechtlichen Regelungen in Deutschland insbesondere für das Verwenden von Messern müssten noch einmal verschärft werden, sagte der SPD-Politiker am Montag am Anschlagsort. „Das soll und das wird jetzt auch ganz schnell passieren.“ Auch die Abschiebungen von Menschen ohne Aufenthaltsrecht müssten vorangetrieben werden.

Er sei „wütend und zornig“ wegen dieser Tat, sagte Scholz. „Sie muss schnell und hart bestraft werden.“ Der Kanzler sprach von einem furchtbaren Verbrechen. „Das war Terrorismus, Terrorismus gegen uns alle, der unser Leben und Miteinander bedroht.“ Dies werde man niemals hinnehmen und akzeptieren. Scholz traf am Montagvormittag in Solingen ein. Er legte zusammen mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und dessen Innenminister Herbert Reul (beide CDU) sowie Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) weiße Rosen an dem Ort nieder, an dem der Opfer des Anschlags gedacht wird. Anschließend sprachen sie mit Einsatzkräften und Ersthelfern. Scholz nannte sie anschließend „tolle Leute“.

Tatverdächtiger sollte abgeschoben werden

Wie der „Spiegel“ berichtete, kam der Verdächtige Ende 2022 nach Deutschland und stellte einen Antrag auf Asyl. Den Sicherheitsbehörden war er demnach bislang nicht als islamistischer Extremist bekannt. Diese Informationen wurden der Deutschen Presse-Agentur bestätigt. Der Asylantrag des Tatverdächtigen wurde demnach abgelehnt. Deshalb sollte er im vergangenen Jahr nach Bulgarien abgeschoben werden. Über das Land war er in die Europäische Union eingereist. Da er zwischenzeitlich allerdings in Deutschland abgetaucht sei, sei die Abschiebung vorerst hinfällig gewesen, schrieb die „Welt“.

Wüst fordert Aufarbeitung in Behörden

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wüst fordert eine Aufarbeitung auch innerhalb der Behörden. „Da gibt es eine Menge Fragen. Es sind auch eine Menge Behörden involviert. Das muss aufgeklärt werden, und da muss Klartext gesprochen werden, wenn da etwas schiefgelaufen ist“, sagte er in der „Aktuellen Stunde“ im WDR Fernsehen. Im ZDF-“heute journal“ sagte Wüst: „Wenn da irgendwo was schiefgelaufen ist, bei welcher Behörde auch immer, ob vor Ort in Bielefeld, in Paderborn oder bei Landes- oder Bundesbehörden, dann muss die Wahrheit da auf den Tisch.“

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte in der ARD-Sendung „Caren Miosga“, untergetaucht im rechtlichen Sinne sei der mutmaßliche Attentäter nicht. Denn er sei an dem Tag, an dem er abgeholt werden sollte, schlicht nicht dagewesen. „Ansonsten war er immer und häufig in dieser Einrichtung.“ Er stelle sich auch viele Fragen, ob diese Verfahren richtig sind, ausreichend sind, übertrieben sind, sagte Reul.

Nach einer Übersicht des Verfassungsschutzes wäre die Tat in Solingen der folgenschwerste aus mutmaßlich islamistischen Motiven begangene Anschlag in Deutschland seit dem Angriff auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin im Dezember 2016 mit damals 13 Toten und 64 Verletzten.

Merz: Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan

Eine Woche vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen verschärfte CDU-Chef Friedrich Merz den Ton gegenüber Kanzler Olaf Scholz (SPD) und forderte einen Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan in Deutschland. In seinem E-Mail-Newsletter „MerzMail“ schrieb er: „Nach dem Terrorakt von Solingen dürfte nun endgültig klar sein: Nicht die Messer sind das Problem, sondern die Personen, die damit herumlaufen. In der Mehrzahl der Fälle sind dies Flüchtlinge, in der Mehrzahl der Taten stehen islamistische Motive dahinter.“

Im ARD-Brennpunkt sagte Merz: „Wenn Solingen jetzt für die Koalition nicht der Wendepunkt ist, dann weiß ich nicht, was noch passieren muss, damit hier einige Leute endlich mal zur Besinnung kommen.“

Unions-Fraktionsvize Jens Spahn (CDU) sprach sich für Grenzschließungen aus, um irreguläre Migration zu stoppen. Der „Rheinischen Post“ (Montag) sagte er: „Es kommen seit Jahren jeden Tag hunderte junge Männer aus Syrien und Afghanistan nach Deutschland und Europa. Das muss endlich enden.“

Kühnert weist CDU-Forderung nach Aufnahmestopp zurück

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert wies Forderung aus den Reihen der CDU nach einem generellen Aufnahmestopp zurück. Viele seiner Vorschläge gingen nicht, weil das Grundgesetz ihnen entgegenstehe, sagte Kühnert im ARD-“Morgenmagazin“. Das gelte zum Beispiel für das individuelle Recht auf Asyl.

„Die Antwort kann doch nicht sein, dass wir Menschen, die selber vor Islamisten fliehen, weil sie von denen für ihre Lebensweise verfolgt werden, jetzt die Tür vor der Nase zuschlagen“, sagte Kühnert. Man müsse sich jetzt anschauen, warum die Rückführung des mutmaßlichen Täters nach Bulgarien nicht geklappt habe. Bulgarien sei nach allem, was man wisse, bereit gewesen, ihn zurückzunehmen. „Zuständig sind für Abschiebungen in Deutschland die Länder, das wäre in diesem Fall Nordrhein-Westfalen gewesen.“ NRW müsse jetzt die Fakten auf den Tisch legen, warum nicht gehandelt worden sei.

SPD-Chefin Esken: Aufnahmestopp mit Gesetzen nicht vereinbar

Auch SPD-Chefin Saskia Esken wies Merz’ Forderung nach einem Aufnahmestopp zurück, da ein solcher Schritt „mit unseren Gesetzen auch nicht vereinbar ist, nicht mit der Europäischen Flüchtlingskonvention, nicht mit unserer Verfassung“. Schwere Straftäter und islamistische Gefährder müssten aber in diese Länder abgeschoben werden können.

Kanzler Scholz hatte bereits im Juni nach dem tödlichen Messerangriff von Mannheim angekündigt, die Abschiebung von Schwerstkriminellen und terroristischen Gefährdern nach Afghanistan und Syrien wieder zu ermöglichen.

Menschenrechtler: Forderung nach Aufnahmestopp ist populistisch

Die Gesellschaft für bedrohte Völker wies CDU-Forderungen nach einem Aufnahmestopp als „unmenschlich und populistisch“ ebenfalls zurück. Die Forderung sei nicht mit dem Asylrecht vereinbar, sagte der Nahostexperte der in Göttingen ansässigen Menschenrechtsorganisation, Kamal Sido, am Montag. „Reflexhafte Forderungen nach Abschiebungen und einem Aufnahmestopp für Asylbewerber aus Afghanistan oder Syrien bekämpfen Islamismus nicht“, erklärte er. Sido kritisierte außerdem, Merz lasse vollkommen außer Acht, dass der IS ethnische und religiöse Minderheiten verfolge. Den Verfolgten müsse Deutschland Schutz gewähren.

Der Solinger Stadtdechant Michael Mohr kritisierte derweil, dass Rechtsextreme den Messeranschlag von Solingen für ihre Zwecke nutzen wollen. Bei Gedenkfeiern Parolen zu rufen, finde er unerträglich, sagte der katholische Pfarrer am Montag dem Kölner Bistumssender domradio.de. „Es ist nicht die Zeit zu instrumentalisieren und irgendwelche extremen oder schnellen Lösungen zu finden, egal in welche Richtung.“

In der Stadt spüre er immer noch eine gewisse Fassungslosigkeit, erklärte Mohr. Die Verarbeitung beginne jetzt erst. Er habe bei der Trauerfeier vor Ort gemerkt, „dass es sozusagen ein ‚Sacken lassen‘ braucht, um überhaupt annähernd begreifen zu können, was da passiert ist“, sagte der Solinger Stadtdechant.

Steinmeier für mehr Befugnisse der Sicherheitsbehörden

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte in der ARD, Straftäter müssten sofort in Arrest genommen werden und das Land verlassen, insbesondere in Richtung Syrien und Afghanistan. Der Polizei müssten mehr Möglichkeiten für Kontrollen gegeben werden.

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach eine Ausweitung von Befugnissen der Sicherheitsbehörden an. Zu einem besseren Schutz vor Angriffen „gehört auch, dass die Sicherheitsbehörden mit den notwendigen Befugnissen ausgestattet werden“, sagte er im ZDF-Sommerinterview. Steinmeier forderte mehr Personal für die Sicherheitsbehörden. Bei terroristischer Gefahr sei aber auch eine Ausweitung der Befugnisse etwa des Bundeskriminalamts denkbar.

Bundesjustizminister Marco Buschmann kündigte Verhandlungen über das Waffenrecht für Messer an. „Wir werden nun in der Bundesregierung darüber beraten, wie wir den Kampf gegen diese Art der Messer-Kriminalität weiter voranbringen“, sagte der FDP-Politiker der „Bild am Sonntag“. Bisher hat die FDP-Vorschläge von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zu schärferen Regeln und Verboten abgelehnt. (dpa/epd/mig) Leitartikel Politik

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  1. Banu Klein sagt:

    Danke.