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Grenzübergang (Symbolfoto) © 123rf.com

Asylpolitik

Faeser zeigt sich offen für Zurückweisungen an deutschen Grenzen

Die Union macht mit der Forderung nach Zurückweisungen von Flüchtlingen an deutschen Grenzen weiter Druck auf die Regierung. Die sagt nicht mehr kategorisch Nein. Sie sei „sehr offen für alles“, sagte Innenministerin Faeser. Experten warnen vor dem Rechtsruck und vor einem Rechtsbruch.

Donnerstag, 05.09.2024, 11:46 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 05.09.2024, 14:28 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Das rechtlich umstrittene Zurückweisen von Menschen an der deutschen Grenze rückt nach dem Anschlag in Solingen ins Zentrum des Parteienstreits um eine Verschärfung der Migrations- und Asylpolitik. Beobachter sehen in der politischen Debatte auch eine Reaktion auf die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen, wo die AfD deutlich zulegen konnte. Insbesondere SPD und die Grünen stünden nach ihrem schlechten Abschneiden in der Flüchtlingspolitik unter Druck.

Am Donnerstag zeigte sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erstmals offen für die Möglichkeit von Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze. „Ich bin sehr offen für alles“, sagte Faeser am Donnerstag in Berlin. „Wenn wir weitere Möglichkeiten bei Zurückweisungen finden, ist das gut.“ Die dazu vereinbarte Prüfung gelte es jedoch erst abzuwarten.

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Behrens: Dublin weitestgehend gescheitert

Auch die niedersächsische Innenministerin Daniela Behrens (SPD) zeigte sich offen dafür. „Meine Meinung ist: Wenn es rechtlich möglich sein sollte – und das muss sehr gründlich geprüft werden – dann sollten wir es tun“, sagte Behrens dem Nachrichtenportal, „t-online“. Das sei möglicherweise „auch ein wichtiges Signal an die anderen EU-Länder“, ergänzte sie. „Dublin ist weitestgehend gescheitert. Der Verteilungsmechanismus in der EU funktioniert nicht – und Deutschland trägt mit einigen wenigen EU-Ländern die Hauptlast“, sagte Behrens.

Mit dem Dublin-Abkommen haben sich die europäischen Staaten darauf verständigt, dass Asylsuchende in der Regel in dem Land aufgenommen werden und ihr Schutzgesuch geprüft wird, in dem sie in Europa angekommen sind. Reisen sie in ein anderes Land weiter, können sie dorthin zurückgeschickt werden. Das vereinbarte Verfahren sieht allerdings vor, dass die Zuständigkeit zunächst geprüft werden muss, weswegen Menschen, die ein Asylbegehren formulieren, an der Grenze nicht zurückgewiesen werden dürfen.

Grüne für Grenzpatrouillen

Die Grünen bleiben derweil bei ihrer Skepsis gegenüber Zurückweisungen, zeigten sich aber gesprächsbereit. „Wir sind offen für Vorschläge, die auf dem Boden des Grundgesetzes und des EU-Rechts stehen. Alle Vorschläge zur Zurückweisung, die mir bisher bekannt sind, erfüllen diese Anforderung jedoch nicht“, sagte die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic.

Statt Zurückweisungen schlug die Grünen-Innenpolitikerin Mihalic gemeinsame Grenzpatrouillen Deutschlands mit Nachbarländern vor, um die Zahl einreisender Flüchtlinge zu begrenzen. Das könne zu weniger Zuwanderung führen und stünde auf dem Boden des Rechtsstaats, sagte sie der Düsseldorfer „Rheinischen Post“.

Rechtswissenschaftler: Zurückweisung an der Grenze rechtswidrig

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte dem Boulevardblatt „Bild“ zur Haltung des Koalitionspartners zu Zurückweisungen: „Die Grünen dürfen hier nicht blockieren. Wer konstruktive Lösungen bei diesem Thema blockiert, gefährdet die Sicherheit des Landes und ist letztlich nicht regierungsfähig.“

Der Rechtswissenschaftler Constantin Hruschka indes hält das Zurückweisen von Asylbewerbern an deutschen Grenzen für nicht mit dem EU-Recht vereinbar. „Die Dublin-Verordnung sieht vor, dass Asylbewerber nur in das Land überstellt werden dürfen, das für die Bearbeitung ihres Asylantrags zuständig ist“, sagte der Professor an der Evangelischen Hochschule in Freiburg dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. Sie dürften nicht einfach in ein Nachbarland zurückgeschickt werden.

Kühnert: Merz provoziert

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert erwartet nach eigenen Worten eine Einigung von Bundesregierung und Unionsparteien auf eine restriktivere Migrations- und Asylpolitik. Ein Ultimatum von CDU-Chef Merz, sich bis kommenden Dienstag zu einigen, wies Kühnert allerdings zurück. „Ich bin nicht geneigt und nicht gewillt, auf diese Forderungen oder auch Provokationen einzugehen“, sagte er am Mittwoch in der ARD-Talksendung „maischberger“.

Merz hatte Medienberichten zufolge bei einer Wahlkampfveranstaltung in Brandenburg an der Havel bis zum Dienstag insbesondere eine Entscheidung zum Zurückweisen von Asylbewerbern an der Grenze gefordert. Kühnert warf dem CDU-Chef vor, wegen der bevorstehenden Landtagswahl am 22. September in Brandenburg, ein „unrealistisches Tempo“ zu fordern.

Der SPD-Generalsekretär betonte, bisher seien die Gespräche mit der Union „ernsthaft und seriös“, das hätten auch die Unionsvertreter, zu denen Merz nicht gehörte, bei dem Treffen am Dienstag betont. Nach dem Treffen der Bundesregierung mit Vertretern der Länder und der Unionsparteien hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die rechtliche Prüfung weiterer Maßnahmen angekündigt. Man habe sich darauf verständigt, „bestimmte Punkte, die wir vertraulich besprochen haben, rechtlich zu prüfen und dann weiter zu beraten“, erklärte sie.

Soziologe: Restriktiver Asyl-Kurs hilft Mitte-Parteien nicht

Der Mannheimer Soziologe Marc Helbig warnt derweil vor dem Rechtsruck in der Politik. Dieser Kurs in der Asylpolitik bringe den Parteien der politischen Mitte keine Wähler von der AfD zurück. „Es gibt dazu viel Forschung: Eine Partei wie die AfD profitiert davon, wenn die Mitte-Parteien sich stärker nach rechts verschieben, restriktivere Gesetze und einen restriktiveren Umgang mit Personen mit Migrationshintergrund fordern“, sagte Helbling, der auch Mitglied im Sachverständigenrat für Integration und Migration ist, dem „Evangelischen Pressedienst“.

Wenn auch die moderaten Parteien auf das Thema vor allem mit Verschärfungen reagierten, komme bei den Wählerinnen und Wählern an: „Das scheint okay zu sein, dies und jenes zu fordern.“ Sie wählten dann aber doch das „Original“, also eher die Rechtsaußen-Partei. „Den moderaten Parteien hilft das überhaupt nicht“, sagte der Wissenschaftler. (epd/mig) Leitartikel Politik

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