Asyl-Streit
Regierung will Dublin-Schnellverfahren an der Grenze
Im Streit zwischen Regierung und Opposition über die Asylpolitik bleiben die Fronten verhärtet. Die Regierung machte dabei einen neuen Vorschlag: Sie will beschleunigte Verfahren an der Grenze, um Flüchtlinge möglichst zurückzuweisen. Die Union fordert mehr – kann aber nur wenige überzeugen.
Dienstag, 10.09.2024, 19:43 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 10.09.2024, 19:43 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Zur Begrenzung der Fluchtmigration nach Deutschland will die Bundesregierung Asylsuchende, für die nach der Dublin-Regelung ein anderer EU-Staat zuständig wäre, in einer Art Grenzverfahren festhalten und möglichst schnell dorthin zurückschicken. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) präsentierten am Dienstag in Berlin ihren Vorschlag, nachdem ein zweites Gespräch der Regierungsmitglieder mit Vertretern der Union als größter Oppositionsfraktion ohne eine Verständigung beendet worden war. CDU und CSU hatten pauschale Zurückweisungen an der Grenze gefordert, was die Regierung weiter für nicht vereinbar mit europäischem Recht hält.
Faesers Vorschlag sieht vor, dass Menschen, die an einer deutschen Landgrenze ein Asylgesuch äußern, grenznah untergebracht werden, während das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein beschleunigtes Dublin-Verfahren betreibt – mit dem Ziel, die Person möglichst schnell ins zuständige Land zurückzuschicken.
Faeser zufolge soll dieses Verfahren sowohl in „offenen“ Einrichtungen als auch durch ein Festhalten in Haft geschehen können. Zur Umsetzung brauche sie deswegen auch die Länder, sagte Faeser. Mit ihnen werde sie weitere Gespräche aufnehmen. Die Ministerin erklärte, dass die Verfahren auf diese Weise innerhalb von fünf Wochen abgeschlossen sein könnten.
Bedenken gegen Zurückweisungen
Nach der Dublin-Regelung ist der Staat für das Asylverfahren zuständig, über den ein Antragsteller in die EU eingereist ist. Reist er in ein anderes Land weiter, kann er dorthin überstellt werden. In der Praxis finden aber wenig Überstellungen statt. Die Union forderte deswegen pauschale Zurückweisungen, die aber nach Auffassung der Regierung nicht mit Europarecht vereinbar sind, weil zumindest zunächst geprüft werden muss, welches Land zuständig ist. Man könne von einer Bundesregierung nicht verlangen, dass sie sich offen in Widerspruch zum Recht begibt, sagte Buschmann.
Die Bundesregierung hat aber auch praktische Bedenken gegen Zurückweisungen. Andere EU-Mitgliedstaaten wären keinesfalls verpflichtet, derartige Zurückweisungen zu ermöglichen, hieß es aus Regierungskreisen. Nachbarländer wie Österreich und Polen müssten demnach die Zurückweisungen nicht akzeptieren. Zurückweisungen müssten daher in Dublin-Fällen direkt in den zuständigen Staat erfolgen, hieß es. In der Regel sind das die Grenzstaaten, über die Schutzsuchende die EU betreten, wie Italien, Griechenland und Bulgarien. Buschmann sagte zudem, das Festhalten der Menschen im grenznahen Raum sei die effektivere Methode, „weil wir sie dann unter Kontrolle haben“.
Österreich kündigt Widerstand an
Außenministerin Baerbock gab zu bedenken: „Unsere Nachbarländer verfolgen die Diskussion mit.“ Sie warnte vor nationalen Alleingängen und kritisierte die Union für den Abbruch der Gespräche, die rund zwei Stunden dauerten.
Österreich hatte am Montag Widerstand angekündigt. „Österreich wird keine Personen entgegennehmen, die aus Deutschland zurückgewiesen werden. Da gibt es keinen Spielraum“, sagte der konservative Innenminister Gerhard Karner der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Karner argumentiert, dass Deutschland zwar das Recht habe, Menschen zurückzuschicken, wenn ein anderes EU-Land für ihren Asylantrag zuständig ist. Dafür sei aber ein formelles Verfahren und die Zustimmung des betroffenen Mitgliedstaates nötig. Zurückweisungen im Rahmen von Kontrollen an den EU-Binnengrenzen seien nicht erlaubt.
Mehrheit nimmt Union Politik nicht ab
Auch eine Mehrheit der Deutschen hält einer Umfrage zufolge die aktuellen Forderungen der Union für nicht umsetzbar. Im RTL/ntv-Trendbarometer bezweifeln 62 Prozent, dass eine Zurückweisung von Flüchtlingen an den deutschen Außengrenzen praktisch funktionieren würde. Nur 35 Prozent halten das für umsetzbar. Sogar unter den Anhängern der Unionsparteien ist mehr als die Hälfte (52 Prozent) skeptisch bezüglich der Pläne. Anders sieht es nur bei AfD-Anhängern aus.
Dass es der Union in erster Linie darum geht, das sog. „Problem der unkontrollierten Zuwanderung“ nach Deutschland in den Griff zu bekommen, glauben nur 26 Prozent der Befragten. 69 Prozent haben dagegen den Eindruck, dass dabei eher parteitaktische Überlegungen im Vordergrund stehen.
Grüne: Union betreibt Politik der Show-Effekte
So sieht es auch Irene Mihalic (Grüne). Sie bezeichnete das Verhalten der Union als ein „Trauerspiel“ und warf ihr „eine Politik der Show-Effekte ohne Substanz“ vor. Die Union habe keinen Vorschlag eingebracht, der auf dem Boden des EU-Rechts steht. „Stattdessen beharrt sie auf ihrer Linie, schlägt alle anderen Vorschläge in den Wind und zeigt demonstrativ ihr Desinteresse an tragfähigen Lösungen für unser Land. Über die innere Sicherheit wollte die Union überhaupt nicht reden und hat das auch wörtlich so gesagt“, erklärte Mihalic.
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU), zeigte sich am Dienstag von den Einwänden unbeirrt. Er erklärte, die Ampel habe eine Chance vertan. Er wiederholte die Forderung der Union nach Zurückweisungen. „Nur dafür würde die CDU zur Verfügung stehen“, sagte er.
27 Organisationen warnen vor Einschränkung des Asylrechts
Im Vorfeld des Treffens hatten Amnesty International, die Diakonie Deutschland und 25 weitere Organisationen Bundesregierung vor Einschränkungen des Asylrechts gewarnt. In einem am Montag in Berlin veröffentlichten Appell heißt es, das Recht, in Deutschland und Europa, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu suchen, gehöre nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs zur „DNA unserer Demokratie“. Fehlverhalten einzelner dürfe niemals dazu führen, dass „pauschal bestimmte Gruppen von Menschen stigmatisiert, rassifiziert und als nicht zugehörig markiert werden“.
Die deutsche Amnesty-Generalsekretärin Julia Duchrow warnte, die Bundesregierung dürfe nicht „die Nabelschnur zu Europa durchtrennen“, indem sie auf nationale Alleingänge setze und europarechtliche Vorgaben über Bord werfe: „Wer am europäischen Fundament sägt, der steht später vor den Trümmern.“ Unterzeichner des Appells sind unter anderem der Paritätische Gesamtverband, der AWO Bundesverband, das Deutsche Kinderhilfswerk, die Neue Richtervereinigung und der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV). (epd/dpa/mig) Aktuell Politik
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