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Polnische Grenze (Archiv) © de.depositphotos.com

Zurückweisung an Grenzen

Pro Asyl: Können Menschen nicht ins Elend schicken

Die Regierungskoalition will die irreguläre Einwanderung auch mit Zurückweisungen an den deutschen Grenzen eindämmen. Doch Experten und Verbände bezweifeln, ob die geplanten Maßnahmen geeignet sind. Ramelow warnt: Debatte triggert Ausländerfeindlichkeit.

Donnerstag, 12.09.2024, 12:11 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 12.09.2024, 14:18 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die von der Bundesregierung geplante Verschärfung der Asyl- und Migrationspolitik stößt bei Experten und Verbänden auf Kritik. Die Flüchtlingsschutzorganisation Pro Asyl bezweifelt, dass mehr Asylsuchende an deutschen Grenzen zurückgewiesen werden können, die bereits in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben. Der Migrationsforscher Hans Vorländer befürchtet, dass die geplanten verstärkten Zurückweisungen der Zusammenarbeit auf europäischer Ebene in Asylfragen schaden.

„Wenn man sich an Recht hält, wird sich die Zahl der Zurückweisungen nicht erhöhen“, sagte der Leiter der Pro-Asyl-Europaabteilung, Karl Kopp, dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. Italien nehme seit geraumer Zeit niemanden mehr zurück. Die Bereitschaft dazu müsse aber vorhanden sein. Griechenland nehme nur Flüchtlinge aus sieben Herkunftsstaaten auf.

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„Und schließlich werden viele Zurückweisungen von deutschen Verwaltungsgerichten gestoppt, weil in den Ländern, in die zurückgewiesen werden soll, unmenschliche Behandlung droht, da es dort kein Bett, kein Brot und keine Seife gibt“, sagte Kopp. Das sei etwa in Bulgarien der Fall oder in Belgien, wo männliche Flüchtlinge keinen Schlafplatz mehr bekämen. Kopp betonte: „Wir können die Menschen nicht ins Elend schicken.“

Sachverständigenrat mahnt: hohe Hürden bei Zurückweisung

Migrationsexperte Vorländer sagte der Düsseldorfer „Rheinischen Post“, die geplanten Zurückweisungen könnten dazu führen, „dass es zu einem Rückstau von Geflüchteten in anderen ost- und mitteleuropäischen Ländern kommt und andere Durchgangsländer weiter nach hinten abschieben“. Zurückweisungen seien zwar prinzipiell nach EU-Bestimmungen möglich, es gebe dafür aber hohe organisatorische und logistische Hürden. So müsse sichergestellt werden, dass das EU-Recht und die Asylverfahrensrichtlinien tatsächlich eingehalten werden.

„Mein Rat wäre, darauf zu setzen, die verabredeten Reformen des EU-Asylsystems mit den europäischen Partnern schnell umzusetzen“, sagte der Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration. Die sogenannte Dublin-III-Verordnung, die festlegt, welcher EU-Mitgliedsstaat für ein Asylverfahren zuständig ist, funktioniere nicht, sagte Vorländer. In Polen und Österreich rege sich bereits Widerstand gegen die geplanten Maßnahmen Deutschlands.

Griechenland will Kontrollen nicht tolerieren

Am Donnerstag wurde auch deutliche Kritik vom griechischen Regierungschef Kyriakos Mitsotakis laut. Die Antwort auf die irreguläre Migration könne nicht sein, den Schengen-Vertrag einseitig abzuschaffen, sagte der konservative Politiker im Nachrichtensender „Talk Radio“. Den Ball aufs Feld anderer Länder zu werfen, „kann nicht toleriert werden“.

Noch nicht klar gesagt hat die griechische Regierung bislang, wie sie reagieren würde, wenn deutsche Behörden gemäß dem Dublin-Abkommen mehr Rückführungen von Flüchtlingen nach Griechenland beantragen, die schon Asyl in Griechenland bekommen oder einen entsprechenden Antrag gestellt haben, aber nach Deutschland weiter gereist sind.

Streit mit Nachbarländern vorprogrammiert

Davon unbeeindruckt zeigte sich Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Es geht nicht darum, ob die Länder jemanden zurücknehmen, „sondern es geht darum, ob Deutschland jemandem die Einreise verweigert. Und wenn Deutschland jemandem die Einreise verweigert, dann ist der Betreffende nach wie vor in dem Nachbarland und eben nicht eingereist.“ Insoweit stelle sich die Frage nicht, ob andere EU-Länder jemanden „zurücknehmen“ wollten.

Die Bundesregierung will zur Begrenzung der Fluchtmigration nach Deutschland Asylsuchende, für die nach der Dublin-Regelung ein anderer EU-Staat zuständig wäre, in einer Art Grenzverfahren festhalten und möglichst schnell dorthin zurückschicken. CDU und CSU gehen noch weiter und fordern pauschale Zurückweisungen an der Grenze, das hält die Regierung nicht für vereinbar mit europäischem Recht.

Ramelow: Debatte triggert Ausländerfeindlichkeit

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) beklagt in der aktuellen Migrationsdebatte einen „Überbietungswettbewerb der Abschreckungsgrausamkeiten“. Dabei werde leider auch „intensiv die Ausländerfeindlichkeit getriggert“, sagte Ramelow dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. Er bekomme langsam Angst vor der Debatte, „die von spektakulären und sehr negativen Fällen dominiert wird und nicht von den vielen Fällen, in denen Integration gelingt“.

Der Linken-Politiker mahnte eine Diskussion über gelingende Zuwanderung an – „und nicht immer mehr Abschottung“. Zugleich forderte Ramelow einen schnelleren Abschluss von Asylverfahren. „Außerdem brauchen wir dringend vertragliche Vereinbarungen mit allen Maghreb-Staaten, in denen organisierte Zuwanderung und auch Rückführung geregelt wird“, sagte er. Dazu wiederum sei eine reibungslose Visa-Erteilung für diejenigen nötig, „die wir selbst anwerben“. (epd/mig) Aktuell Panorama

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