Gedenken an Halle-Anschlag
Steinmeier: „Der Hass des Täters zielte auf Juden, auf Muslime“
Vor fünf Jahren stürmte ein rechtsextremer Attentäter die Synagoge von Halle und einen Döner-Imbiss. Zwei Passanten starben. Getrieben war er von Hass auf Muslime und Juden. Bis heute wirkt die Tat nach – und veränderte das Leben vieler Menschen.
Mittwoch, 09.10.2024, 21:02 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 09.10.2024, 21:02 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Beim Gedenken an die Opfer des rechtsextremen Anschlags in Halle (Saale) vor fünf Jahren haben Politiker ein entschlossenes Einstehen gegen Antisemitismus gefordert. „Das ist die Lehre von Halle: Auf jeden Einzelnen von uns kommt es an“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einer Gedenkveranstaltung. „Es ist Zeit zu widersprechen, wo jemand gegen Minderheiten vorgeht. Es ist Zeit für Solidarität, wo jemand angegriffen wird.“ Der Hass des Täters habe auf „Juden, Muslime, auf Frauen, auf Wehrlose“ gezielt.
Die Wahrheit sei aber auch, dass es täglich schwieriger werde, den Kampf gegen den Terror zu führen. Die Hemmschwelle für Hass sinke und die Netzwerke des Hasses seien immer schwerer aufzuspüren. „Es ist bitterer Alltag, dass Jüdinnen und Juden an jedem einzelnen Tag befürchten müssen, angegriffen, beleidigt, bespuckt zu werden.“ Seit dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel scheine sich in Deutschland und vielen anderen Ländern geradezu ein Ventil für einen ungezügelten Judenhass geöffnet zu haben.
Täter wollte ursprünglich Moschee stürmen. Vorbild: Christchurch
Vor fünf Jahren hatte ein rechtsextremer Attentäter aus Sachsen-Anhalt versucht, die Synagoge von Halle zu stürmen. Mehr als 50 Gläubige feierten dort den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur. Als ihm die Erstürmung der Synagoge nicht gelang, suchte der Mann einen nahegelegenen Döner-Imbiss auf und schoss auf Passanten. Er tötete zwei Menschen und verletzte auf seiner Flucht mehrere weitere Personen. Der Attentäter wurde schließlich von der Polizei gestellt. Ein Gericht verurteilte ihn zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung.
Im Zuge der Ermittlungen und während des Prozesses wurde bekannt, dass der Täter getrieben war von der Mordtat im neuseeländischen Christchurch, wo in einer Moschee über 50 Menschen getötet worden waren. Erst in einer Art Revision seines Ursprungsplans habe sich der Mörder zum Angriff auf die Synagoge entschieden. Medienexpertin Prof. Dr. Sabine Schiffer kritisierte zum zweiten Jahrestag des Anschlags in einem Gastbeitrag in diesem Magazin, dass die islamfeindliche Motivation des Täters in Politik und Medien ausgeblendet wird. Bundespräsident Steinmeier erwähnte in seiner Gedenk-Rede die Motivation des Täters. Er habe den Kiez-Döner „aus Hass auf Muslime und Einwanderer“ aufgesucht.
Hakenkreuzschmierereien und herausgerissene Stolpersteine überschatten Gedenken
Im Umfeld des Gedenkens an den Anschlag hatte es in Sachsen-Anhalt mehrere mutmaßlich rechtsextremistische Zwischenfälle gegeben. So wurde nach Polizeiangaben eine Gedenktafel in der Nähe eines Imbisses, in dem bei der Tat vor fünf Jahren ein junger Mann erschossen wurde, mit Hakenkreuzen beschmiert. Anfang der Woche wurden in der rund 50 Kilometer entfernten Stadt Zeitz sämtliche Stolpersteine, die an Opfer des Nationalsozialismus erinnern, aus dem Boden gerissen und gestohlen.
In der Tat eines Einzelnen zeigten sich Muster und Einstellungen, die sich in der Gesellschaft auf erschreckende Weise verbreiteten, sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) im Rahmen des Gedenkens. „Dieser Tag hat schmerzlich gezeigt, dass Antisemitismus, Rassismus und extreme Einstellungen unser Zusammenleben in hohem Maße belasten.“ Der 9. Oktober 2019 sei eine tiefe Zäsur in der Geschichte des Landes gewesen. „Nichts ist mehr so wie vorher.“ Von Gedenktagen müsse aber auch Hoffnung ausgehen, betonte der Ministerpräsident. Seitdem seien zwei Synagogen in Sachsen-Anhalt neu gebaut worden. Dies zeige, dass jüdisches Leben stabil bleibe.
Zentralrat der Juden: Misstrauen in Politik und Sicherheitsinstitutionen
An die Verantwortung jedes Einzelnen, Hass und Gewalt entgegenzustehen, erinnerte auch Conrad Rößler, der sich versteckte, als der Attentäter einen Imbiss stürmte und dort einen Menschen erschoss. Erst habe er Angst gehabt, nach der Tat sei er erleichtert gewesen. Fünf Jahre später spüre er Dankbarkeit für den Zusammenhalt, aber auch Wut. „Ich bin wütend in einem Land zu leben, in dem Politiker sich über rassistische Angriffe empören, aber zu wenig tun, um diese zu verhindern“, sagte er bei einer öffentlichen Veranstaltung der Stadt Halle. „Und ich bin wütend auf mich, weil ich zu feige bin, dem Nazi, der in der Straßenbahn rumpöbelt, meine Meinung zu sagen.“
Deutliche Kritik an Sicherheitsbehörden und Politik äußerte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Für die Überlebenden habe sich nicht nur ihr Leben, sondern auch ihr Sicherheitsgefühl für immer verändert. Es sei nicht nur die Erinnerung an den Tag selbst, sondern auch der ständige Kampf mit Ängsten und einem tiefen Misstrauen gegenüber Staat und Sicherheitsinstitutionen.
Stadt gedenkt in vielen Formen der Opfer des Anschlags
„Der Anschlag von Halle scheiterte und wurde doch nicht verhindert“, sagte Schuster. „Das muss leider immer wieder betont werden.“ Viele Juden würden das Gefühl, nicht geschützt zu sein, kennen, betonte Schuster. Diese Tatsache müsse Politik und Gesellschaft aufwecken. „Sie stehen in der Pflicht, dieses Vertrauen Stück für Stück wieder zurückzugewinnen.“ Nach dem Anschlag im neuseeländischen Christchurch hatte das Bundesinnenministerium erklärt, keinen Handlungsbedarf zu sehen.
Neben verschiedenen Gedenkveranstaltungen unter anderem in der Synagoge und auf dem Marktplatz von Halle (Saale) wurde auch an anderen Stellen der Stadt der Opfer des Anschlags gedacht. An zentralen Orten hingen große Plakate. Zum Zeitpunkt der ersten Schüsse an der Synagoge läuteten um 12.03 Uhr die Kirchenglocken der Stadt. Die Synagoge erhielt eine neue Torarolle, deren letzter Buchstabe vor Ort geschrieben wurde.
Den Kiez-Döners gibt es in Halle seit 2022 nicht mehr. Die beiden türkeistämmigen Betreiber, Ismet und Rifat Tekin, hatten mit den Einnahmen ihre Familien nicht mehr versorgen können und mussten nach einem langen Kraftakt im Anschluss an den Angriff Insolvenz anmelden. Sie warfen der Stadt vor, sie im Stich gelassen zu haben, obwohl Unterstützung versprochen worden sei. (dpa/mig) Leitartikel Panorama
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