Hunger im Nahost
EU schmiedet Notfallplan gegen weitere Geflüchtete
Zwischen Abwasser und Müll: UNRWA-Chef Lazzarini erinnert an die prekäre Lage der Menschen im Gazastreifen. Auch im Libanon und Syrien verschärft sich die Situation. Die EU sorgt sich vor einer neuen Fluchtbewegung Richtung Europa. USA setzt Israel Frist zur Verbesserung der humanitären Lage.
Mittwoch, 16.10.2024, 17:09 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 16.10.2024, 17:15 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die Vereinten Nationen warnen angesichts des nahenden Winters und fehlender humanitärer Hilfe vor einer Hungersnot im Gazastreifen. „Der Hunger in Gaza ist künstlich erzeugt worden, er ist vermeidbar. Wir kennen die Lösung dafür“, sagte der Generalkommissar des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA), Philippe Lazzarini am Mittwoch in Berlin. Es müssten mehr Lebensmittelkonvois in das palästinensische Gebiet gelassen werden. Die israelische Armee kontrolliert die Zu- und Abgänge.
Lazzarini zufolge sind in den vergangenen drei Wochen, mit einer Ausnahme am Dienstag, keine Konvois in den Norden des Gazastreifens gelassen worden. Dort gibt es demnach immer noch schwere Gefechte und rund 400.000 Menschen können das Gebiet nicht verlassen.
Kinder zwischen „Abwasser und Bergen von Müll“
Der Rest der insgesamt zwei Millionen Palästinenser sind in den Süden geflohen. Auch dort lässt die israelische Armee an den Kontrollpunkten nur 50 bis 60 Lebensmittelkonvois in den Gazastreifen, sagte Lazzarini. Die benötigte Zahl sei jedoch viel höher. Hinzu komme, dass die wenigen Lebensmitteltransporte, die das Gebiet erreichen, häufig von rivalisierenden Banden geplündert würden.
Der Chef des UN-Hilfswerks zeigte sich auch besorgt über die Situation der humanitären Helfer. 229 der insgesamt 300 getöteten Helfer seit Oktober 2023 seien Mitarbeitende von UNRWA gewesen. „Der Gazastreifen versetzt selbst die erfahrensten humanitären Helfer in Schrecken“, sagte Lazzarini. Es sei zu einer Art unbewohnbaren Ödlands geworden, in dem Menschen ums Überleben kämpften. Besonders prekär sei die Lage von Kindern, die zwischen „Abwasser und Bergen von Müll“ lebten.
UN: Libanon-Flüchtlinge verschärfen Hungerkrise in Syrien
Derweil verschärft sich die Hungerkrise auch in Syrien. Die Lage in dem Land sei sehr beunruhigend, erklärte der Vize-Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, Carl Skau, am Mittwoch laut einer in Damaskus veröffentlichten Mitteilung. Schätzungsweise 260.000 Menschen seien nach der israelischen Offensive im Libanon nach Syrien geflüchtet. In Syrien habe bereits die Hälfte der Bevölkerung nicht genug zu essen. Rund drei Millionen Menschen in Syrien litten unter schwerem Hunger.
Das Welternährungsprogramm rief internationale Geber dazu auf, rund 54 Millionen US-Dollar bereitzustellen. Mit dem Geld sollen in den nächsten sechs Monaten Lebensmittel für die hungernden Menschen beschafft werden. Der Libanon ist Schauplatz eines schweren militärischen Schlagabtausches zwischen Israel und der Hisbollah. In Syrien wiederum tobt seit 2011 ein bewaffneter Konflikt. Das Regime des Präsidenten Baschar al-Assad kämpft mit der Hilfe Russlands und des Irans gegen Rebellen und Extremisten.
USA warnen Israel wegen humanitärer Lage in Gaza
Auch die US-Regierung hat angesichts der Lage im Nahost eingeschaltet und Israel aufgefordert, die humanitäre Lage innerhalb von 30 Tagen spürbar zu verbessern. Andernfalls drohe ein Verstoß gegen US-Gesetze zur militärischen Unterstützung. Das sogenannte „Leahy“-Gesetz untersagt den USA, Militärhilfe für Streitkräfte zu leisten, die in schwere Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind. Kritiker werfen Israel vor, diese Vorgabe nicht einzuhalten. Laut Menschenrechtsorganisationen würden demnach etwa durch die Blockade von Hilfslieferungen, Luftangriffe auf Wohngebiete und den Mangel an Schutz für Zivilisten im Gazastreifen grundlegende Menschenrechtsstandards verletzt.
Das US-Außenministerium bestätigte in Washington entsprechende Medienberichte, wollte jedoch eine Frage nach den konkreten Konsequenzen – sollte Israel der Aufforderung nicht nachkommen – nicht direkt beantworten. US-Angaben zufolge ging die Menge der Hilfslieferungen seit dem Frühjahr um mehr als 50 Prozent zurück.
Kritiker zweifeln an Einhaltung der Menschenrechte
Parallel dazu verstärkten die USA ihre militärische Unterstützung. Diese Doppelstrategie verdeutlicht den Balanceakt der US-Regierung: Einerseits betont Washington immer wieder sein sicherheitspolitisches Engagement und Israels Recht auf Selbstverteidigung. Andererseits steht die US-Regierung unter innenpolitischem Druck. Kriegsgegner kritisieren das militärische Vorgehen Israels im Gazastreifen scharf und fordern einen Stopp von US-Waffenlieferungen an das Land.
Die Debatte über den Kurs der USA gegenüber Israel gewinnt auch im Vorfeld der Präsidentschaftswahl am 5. November an Bedeutung. Die Frist, die Blinken und Austin in ihrem Schreiben gesetzt haben, endet nach dem Wahltag.
Von der Leyen will Notfallpläne für Nahost-Vertriebene
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat derweil ein anderes Problem ausgemacht: Sie befürchtet angesichts des weiter eskalierenden Konflikts im Nahen Osten zusätzliche Fluchtbewegungen Richtung Europa. In den vergangenen Wochen seien mehr als eine Million Menschen vertrieben worden und es bestehe ein klares Potenzial für weitere Vertreibungen, schreibt die deutsche Spitzenpolitikerin in einem Bericht zu Beratungen der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag. Man müsse deswegen an Notfallplänen sowohl für die EU als auch für internationale Partner arbeiten.
Von der Leyen betont, dass eine signifikante Anzahl der Nahost-Flüchtlinge zuletzt nach Syrien gezogen sei. Viele dieser Menschen kommen aus dem Libanon, wo Israel derzeit massiv gegen die Hisbollah-Miliz vorgeht. Letztere greift hingegen immer wieder Israel an – nach eigenen Angaben aus Solidarität mit der Hamas.
Zur Lage im Libanon schreibt von der Leyen, durch die jüngste Ankündigung zusätzlicher humanitärer Hilfe in Höhe von 30 Millionen Euro erhöhe sich der Gesamtbetrag für 2024 auf mehr als 100 Millionen Euro. Es werde allerdings noch mehr Unterstützung benötigt. (epd/dpa/mig) Ausland Leitartikel
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Die EU sorgt sich um neue Fluchtbewegungen … hat die EU sonst keine Sorgen. Wie immer geht es letztlich um unser Wohlbefinden. Und wie immer nach dem Motto „wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“.
Was ist mit den vielen unschuldigen Menschen im GAZA-Streifen, im Libanon und Syrien, die hungern und kein Dach über dem Kopf haben.
Natürlich hat Israel das Recht sich und seine Einwohner zu verteidigen und zu schützen. Aber doch bitte nicht so!