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Geflüchtete gehen in Albanien an Bord © Adnan Beci / AFP

Hammer-Entscheidung

Gericht: Geflüchtete in Lagern in Albanien müssen wieder zurück nach Italien

Wegen ihrer harten Linie gegen Geflüchtete liegt Italiens Rechtsregierung mit der Justiz schon länger über Kreuz. Nun kommt eine schwere Pleite vor Gericht hinzu. Einem wichtigen Minister droht sogar Gefängnis.

Sonntag, 20.10.2024, 12:35 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 20.10.2024, 15:41 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Italiens Rechtsregierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat bei der Aufnahme einer ersten Gruppe von Geflüchteten in einem Lager außerhalb der Europäischen Union eine empfindliche Niederlage erlitten. Auf Beschluss eines Gerichts in Rom müssen die zwölf Männer aus Ägypten und Bangladesch, die seit Mittwoch in Albanien inhaftiert waren, nun doch nach Italien gebracht werden. Das war bei ihrer Flucht mit einem Boot aus Libyen übers Mittelmeer auch ihr eigentliches Ziel.

Die Justiz erklärte die Inhaftierung der zwölf Inhaftierten außerhalb der EU für unzulässig. Begründet wurde dies damit, dass weder Ägypten noch Bangladesch ein sicheres Herkunftsland sei. Auf Anordnung des Gerichts wurden sieben Männer aus Bangladesch und fünf Ägypter mit einem Schiff der italienischen Küstenwache am Samstag aus dem Lager Shengjin über die Adria in die süditalienische Hafenstadt Bari gebracht. Über ihr Schicksal wird jetzt auf italienischem Boden entschieden. Damit stehen die neuen Lager in Albanien nach nur zwei Tagen wieder leer.

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Meloni will ihr Plan durchziehen

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni will trotz der schweren Niederlage vor Gericht ihre Pläne durchziehen. Die rechte Regierungschefin stellte klar, dass die beiden kürzlich eröffneten Lager in Albanien in Betrieb bleiben. Zugleich sprach sie der Justiz das Recht ab, darüber zu entscheiden, aus welchen Ländern Menschen dorthin verfrachtet werden.

Italien ist der erste Staat der Europäischen Union, der über Asylanträge außerhalb der EU urteilen will. Das umstrittene Vorhaben wird von allen anderen EU-Ländern aufmerksam verfolgt. Insbesondere andere rechte Regierungen erwägen, sich das Meloni-Modell zum Vorbild zu nehmen.

Italien-Plan für Deutschland? Scholz skeptisch

Auch die deutsche Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte das italienische Modell als „interessant“ bezeichnet, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hingegen äußerte sich beim jüngsten EU-Migrationsgipfel skeptisch. Bleibt es bei dem Beschluss des Gerichts in Rom, das sich auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs stützt, wäre das auch für sie ein schwerer Schlag.

Melonis Rechtsregierung kündigte an, in Berufung zu gehen – notfalls bis vors höchste italienische Gericht. Zudem berief die Ministerpräsidentin ihr Kabinett für Montag zu einer Sondersitzung ein, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Die Vorsitzende der Rechtspartei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) sagte: „Ich denke nicht, dass es an der Justiz ist, darüber zu entscheiden, welche Länder sicher sind, sondern Aufgabe der Regierung.“ Vermutlich wird jetzt ein neues Dekret erlassen, das Herkunftsländer neu definiert.

Meloni-Regierung mit Justiz ohnehin über Kreuz

Wegen ihrer harten Linie im Umgang mit Flüchtlingen liegt die Regierung mit der Justiz ohnehin über Kreuz. Das wird nun noch heftiger. Justizminister Carlo Nordio sprach von einem „abnormalen Urteil“. Vize-Ministerpräsident Matteo Salvini drohen sogar bis zu sechs Jahre Haft, weil er in seiner Zeit als Innenminister ein Schiff mit Menschen in Not wochenlang am Einlaufen in einen Hafen hinderte. Das Urteil soll vor Weihnachten verkündet werden.

Mehrfach warfen rechte Minister der Justiz vor, sich von der Linken instrumentalisieren zu lassen. Zum Beschluss des Gerichts in Rom meinte Salvini: „Wer trägt die Folgen, wenn einer der zwölf jemanden vergewaltigt?“ Auch bei einer Haftstrafe will der Chef der Rechtspartei Lega im Kabinett bleiben. In der Bevölkerung hat die rechte Regierung Umfragen zufolge für ihre harte Linie Rückhalt.

Justiz beruft sich auf Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs

Richterin Luciana Sangiovanni verteidigte ihren Beschluss. „Wir konnten gar nicht anders entscheiden“, sagte sie der Tageszeitung „La Stampa“. Grundlage dafür war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, wonach ein EU-Mitglied ein Herkunftsland nur dann als sicher einstufen darf, wenn die Bedingungen dafür in dessen gesamtem Hoheitsgebiet erfüllt sind. Legt man diese Definition zugrunde, könnten in den Albanien-Lagern nur noch Personen aus einigen wenigen Ländern aufgenommen werden.

Meloni kam mit dem Versprechen ins Amt, die hohe Zahl von Menschen, die jedes Jahr übers Mittelmeer nach Italien fliehen, deutlich zu senken. Tatsächlich sind die Zahlen erstmals deutlich niedriger: Seit Anfang Januar wurden 55.000 Neuankömmlinge registriert. Vor einem Jahr waren es bis Mitte Oktober noch mehr als 140.000. In den albanischen Lagern, die erst mit monatelanger Verzögerung in Betrieb gingen, sollen Anträge im Schnellverfahren geprüft werden: Wer Anspruch hat, darf weiter nach Italien. Alle anderen müssen zurück.

Linke spricht von 800 Millionen Euro teurer „Schande“

Bei der ersten Gruppe von insgesamt 16 Personen handelt es sich um Männer, die auf einem Boot aus Libyen aufgegriffen worden waren. Vier von ihnen durften gleich weiter nach Italien, weil sie minderjährig sind oder Gesundheitsprobleme haben. Jetzt sind alle 16 dort. Damit wurde die groß inszenierte Verfrachtung nach Albanien für Meloni zum Flop.

Grundsätzlich sind die Lager nur für erwachsene Männer aus sicheren Herkunftsländern. Kinder, Frauen, Kranke und Folteropfer sollen nicht dorthin kommen.

Die italienische Linke erklärte das Vorhaben bereits für gescheitert. Oppositionsführerin Elly Schlein sprach von einer 800 Millionen Euro teuren „Schande“. Auf diese Summe werden von den Sozialdemokraten die Gesamtkosten der Lager veranschlagt. Aktuell sind dort noch keine Menschen untergebracht. Auf der süditalienischen Insel Lampedusa, einem der Brennpunkte der Flucht übers Mittelmeer, kommen hingegen nahezu täglich weitere Flüchtlinge an: Allein am Wochenende wurden mehr als 160 weiter aufs Festland geflogen. (dpa/mig) Ausland Leitartikel

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