EU-Asylreform
Bundeskabinett billigt „größte Asylrechtsverschärfungen seit Jahrzehnten“
Bis Juni 2026 müssen die Mitgliedstaaten die Regeln der EU-Asylreform umsetzen. So lange will die Bundesregierung nicht warten. Sie hat jetzt schon einen ersten Schritt gemacht. Pro Asyl spricht von den größten Asylrechtsverschärfungen seit Jahrzehnten.
Mittwoch, 06.11.2024, 14:59 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 07.11.2024, 8:45 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Damit die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) in Deutschland fristgerecht umgesetzt werden kann, hat die Bundesregierung zwei dafür notwendige Gesetzesänderungen beschlossen. Das Bundesinnenministerium teilte am Mittwoch mit, laut Kabinettsbeschluss würden die rechtlichen Grundlagen für das EU-Reformpaket in Deutschland „eins zu eins umgesetzt“.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will noch vor der EU-rechtlichen Umsetzungsfrist Mitte 2026 zudem die GEAS-Regelung für die sogenannten Außengrenzverfahren an deutschen Flughäfen zur Anwendung bringen. Für die Außengrenzverfahren, die Deutschland nur an Seehäfen und internationalen Flughäfen betreffen, ist wegen der notwendigen Unterbringungskapazitäten allerdings eine Abstimmung zwischen dem Bund und den Ländern notwendig.
Festgelegt wurde in den nun beschlossenen Gesetzentwürfen den Angaben zufolge außerdem, dass in Fällen, in denen Deutschland beabsichtigt, Asylbewerber und anerkannte Flüchtlinge aus einem anderen europäischen Staat aufzunehmen, durch persönliche Anhörungen sichergestellt wird, dass Menschen, die eine Sicherheitsgefahr darstellen, erkannt und nicht übernommen werden. Bei Gefahren für Sicherheit und Ordnung soll es zudem keine Ausreisefrist geben, „sondern die schnellstmögliche Ausweisung und Rückführung erfolgen“.
Freiheitsbeschränkungen und neue Haftformen
Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl kritisiert den vom Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf scharf. Er überschreite – entgegen der Behauptung aus dem Bundesinnenministerium – die von der EU geforderten Mindeststandards erheblich, entrechte Geflüchtete massiv und verhindere faire Asylverfahren. „Der Entwurf beinhaltet die größten Asylrechtsverschärfungen seit Jahrzehnten, es droht Haft von Familien und Kindern“, kritisiert Tareq Alaows von Pro Asyl.
Obwohl die EU-Vorgaben bereits deutliche Verschärfungen der Asylpraxis vorsehen, gehe der deutsche Gesetzentwurf noch weiter und führe neue Möglichkeiten der Freiheitsbeschränkung und De-facto-Inhaftierung von Schutzsuchenden ein. Es drohten geschlossene Zentren, wie es sie bisher in Deutschland noch nicht gibt. Besonders besorgniserregend sei, dass auch Kinder während ihres Asylverfahrens eingesperrt werden könnten, kritisiert die Menschenrechtsorganisation. „Diese Haftformen sind unverhältnismäßig und psychisch extrem belastend. Sie erhöhen das Risiko von Suizidversuchen. Ein faires Asylverfahren ist so kaum möglich“, so Tareq Alaows weiter.
Faeser: Signal an Europa
Bundesinnenministerin Faeser wertet den Kabinettsbeschluss als ein wichtiges Signal in Europa, „dass Deutschland das neue Recht schnell und umfassend umsetzt“. Sie wolle sich auch auf europäischer Ebene weiter für eine zügige Umsetzung der Reform in allen Mitgliedstaaten einsetzen.
Die von den EU-Staaten beschlossene GEAS-Reform gibt den Mitgliedstaaten für die Umsetzung eine Frist bis Juni 2026 – bis dahin gelten europaweit die bisherigen Regeln. Sie sehen unter anderem eine Verpflichtung zur Identitätskontrolle bei Ankommenden vor. Asylbewerber mit einer EU-weiten Schutzquote von unter 20 Prozent sollen ihr Verfahren an der EU-Außengrenze durchlaufen.
Sichere Herkunftsstaaten per Verordnung
Die Linkspartei sieht die Reform ebenfalls kritisch. Die Abgeordnete Clara Bünger stößt sich unter anderem an einem Paragrafen, der eine Festlegung sicherer Herkunftsstaaten im Sinne einer EU-Verordnung aus dem Reformpaket vorsieht. Sie sagt, hier sollten künftig Staaten „durch die Hintertür“ zu angeblich „sicheren“ Drittstaaten erklärt werden können. „Mit der neuen Regelung entzieht sich die Ampel auch der Kontrolle des Bundesrats, der solche Vorstöße in der Vergangenheit aus guten Gründen verhindert hat“, sagte Bünger.
In den ersten neun Monaten dieses Jahres haben nach Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) rund 179.000 Menschen erstmals in Deutschland einen Asylantrag gestellt. (dpa/mig) Aktuell Politik
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