14. November 2024
„No Other Land“: Aufreger bei der Berlinale kommt ins Kino
Der Film über die Räumung palästinensischer Dörfer im Westjordanland gewann den Dokumentarfilmpreis bei der Berlinale. Dann folgte Tumult über Antisemitismusvorwürfe bei der Verleihung. Jetzt kommt der Film in die Kinos.
Von Verena Schmitt-Roschmann Sonntag, 10.11.2024, 11:49 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 10.11.2024, 11:49 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Es ist die Geschichte eines Orts, der seit Jahrzehnten die israelische Politik beschäftigt, die Gerichte und die internationale Diplomatie. Die Region Masafer Jatta südlich von Hebron im Westjordanland wurde Anfang der 1980er Jahre von der israelischen Armee zum Militärübungsplatz erklärt. 2022 bestätigte das Oberste Gericht Israels den Abriss von rund 20 palästinensischen Dörfern mit etwa 1.000 Bewohnern. Die Bundesregierung äußerte sich besorgt und forderte Israel auf, die Räumung zu stoppen. Das sind die dürren Fakten.
Der Dokumentarfilm „No Other Land“ eines palästinensisch-israelischen Teams zeigt diese Geschichte sehr emotional aus dem Blickwinkel der palästinensischen Bewohner. Die ersten Bilder stammen von 2019, gefilmt von Basel Adra, einem jungen Mann aus Masafer Jatta. Schreiende Frauen retten hektisch ihr Hab und Gut aus einem flachen Bungalow, bevor ein Bulldozer, begleitet von Soldaten, den Beton zermalmt. Palästinensische Familien samt Waschmaschine und Sofa suchen Unterschlupf in einer Höhle. Adras Vater sagt wenig später: „Wenn ich sehe, was passiert, werde ich so wütend, dass ich Steine werfen möchte. Aber ich halte mich zurück.“
„Was interessiert dich das?“
Ein israelischer Journalist kommt nach Masafer Yatta, Yuval Abraham. Der junge Mann spricht fließend Arabisch, er möchte über das Vorgehen der israelischen Armee schreiben, er nennt es „ein Verbrechen“. An einer Stelle im Film fragt ihn ein Soldat: „Was interessiert dich das?“ Abraham sagt: „Es interessiert mich, weil das alles in meinem Namen passiert.“
Adra und Abraham freunden sich an, drehen den Dokumentarfilm gemeinsam. Bis Oktober 2023 wiederholen sich immer und immer wieder ähnliche Szenen: Bulldozer, Zerstörung, Soldaten, heimlicher Wiederaufbau der Häuser, Proteste, Verhaftungen. Und immer wieder sieht man die beiden jungen Filmemacher im leisen Gespräch, rauchend, ratlos.
Umstrittene Äußerungen bei der Berlinale-Gala
„No Other Land“, der jetzt ins Kino kommt, wurde bei den Berliner Filmfestspielen 2024 mit dem Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet. Aber das ging fast unter im Tumult über den Verlauf der Berlinale-Gala. Auf der Bühne äußerten mehrere Filmemacher Kritik an Israel, die als einseitig und antisemitisch kritisiert wurde. Der Zentralrat der Juden sprach von „ideologischer Hetze gegen Israel und Juden“. Die Gewalt gegen Israelis, insbesondere der Terrorangriff der Hamas wenige Monate zuvor, wurde bei der Veranstaltung kaum erwähnt.
Der Vorwurf des Antisemitismus traf auch Abraham, der bei der Verleihung von einer „Situation der Apartheid“ zwischen Israelis und Palästinensern gesprochen hatte. Der Journalist wies die Vorhaltungen als absurd zurück, zumal Mitglieder der Familie seines Großvaters im Holocaust von Deutschen ermordet worden seien.
Nur eine Sicht der Dinge
Info: No Other Land, Palästina/Norwegen 2024, 96 Min., FSK ab 16 Jahren, von Basel Adra, Yuval Abraham, Rache Szor & Hamdan Ballal, Kinostart: 14. November 2024
Ob sich der Streit zum Kinostart wiederholt? „No Other Land“ beleuchtet im endlosen Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern nur eine Sicht der Dinge. Die Rollen von gut und böse sind hier klar verteilt. Doch gibt der Film Einblick in eine Welt, die oft in dürren Fakten aus großer Distanz sehr abstrakt bleibt. Er macht unwohl. Vielleicht kann das für 90 Minuten so stehen bleiben, bevor man aus dem Kino tritt und wieder die Augen öffnet für das Leid der anderen Seite. (dpa/mig) Aktuell Feuilleton
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