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Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag © de.depositphotos.com

Dilemma

Haftbefehl gegen Netanjahu stellt Glaubwürdigkeit Westens auf den Prüfstand

Der Internationale Strafgerichtshof hat lange nur Afrikaner angeklagt. Zu mutmaßlichen Verbrechen im Gazastreifen ermittelt der Strafgerichtshof nun auch gegen einen Verbündeten des Westens: Israels Ministerpräsident Netanjahu. Was folgt?

Von Sonntag, 24.11.2024, 12:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 24.11.2024, 12:24 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Gazastreifen hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag Haftbefehl gegen den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu erlassen. Die Richter entsprachen damit einem Antrag von Chefankläger Karim Khan. Auch gegen Israels früheren Verteidigungsminister Joav Galant und einen Anführer der Terrororganisation Hamas, Mohammad Diab Ibrahim Al-Masri, ergingen internationale Haftbefehle. Fragen und Antworten zur Bedeutung dieser Entscheidung:

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Was ist der Internationale Strafgerichtshof?

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) mit Sitz in Den Haag verfolgt Verdächtige wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Aggressions-Krieg. Dazu gehören gerade auch politisch und militärisch Verantwortliche. Auch Staats- und Regierungschefs können sich nicht auf eine Immunität berufen. Der IStGH ist kein Gericht der Vereinten Nationen, sondern beruht auf einem Grundlagenvertrag, dem Römischen Statut.

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Darf das Gericht überall ermitteln?

Das Weltstrafgericht darf im Prinzip nur Verbrechen verfolgen, die auf dem Gebiet seiner Mitgliedsstaaten verübt wurden, also diejenigen, die den Grundlagenvertrag ratifiziert haben. Zu den 124 Mitgliedsstaaten gehören zum Beispiel alle EU-Länder.

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Ist Israel Vertragsstaat des Gerichts?

Nein. Israel lehnt es ab, dass seine Staatsbürger vor das internationale Gericht gebracht werden könnten. Aus demselben Grund haben auch die USA den Grundlagenvertrag nie ratifiziert. Russland und China sind ebenfalls keine Vertragsstaaten.

Darf der Chefankläger zu Verbrechen im Gaza-Krieg ermitteln?

Ja, das darf er. Die palästinensischen Gebiete sind in der Liste der Mitglieder als Vertragsstaat aufgeführt. Sie erklärten ausdrücklich, dass das Gericht auch in den Gebieten befugt ist, mögliche Verbrecher zu verfolgen. Die Richter hatten bereits vor einigen Jahren festgestellt, dass der Chefankläger ermitteln darf und Verdächtige für mögliche Verbrechen, die auf palästinensischem Grundgebiet begangen wurden, vor das Gericht gebracht werden dürfen.

Was bedeutet der Haftbefehl für das Ansehen Israels?

Für Israel sind diese Haftbefehle ein schwerer Schlag. Der internationale Druck wird weiter zunehmen, selbst mögliche Kriegsverbrecher auch in eigenen Reihen strafrechtlich zu verfolgen.

Welche Folgen haben die Haftbefehle?

Das Gericht hat selbst keine Polizeimacht, um Haftbefehle zu vollstrecken. Doch nun sind alle 124 Mitgliedsstaaten verpflichtet, sie auszuführen. Das heißt: Sobald sich ein Gesuchter auf ihrem Hoheitsgebiet befindet, muss er festgenommen und dem Gericht überstellt werden. Durch die Haftbefehle sind also die Reisemöglichkeiten der Gesuchten erheblich eingeschränkt.

Wie realistisch ist eine Festnahme von Netanjahu in Deutschl

Israels Verbündete stehen vor einem Dilemma: Netanjahu festnehmen oder nicht? Deutschland zum Beispiel ist einer der Hauptunterstützer des Gerichts, zugleich aber auch enger Verbündeter den USA und Israels. Während die Bundesregierung bisher erklärt hat, man habe sich noch nicht über das weitere Vorgehen entschieden, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), Deutschland halte sich „natürlich national, europäisch und international an Recht und Gesetz“. Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jürgen Hardt (CDU), erklärte: „Für uns als CDU/CSU-Fraktion wäre es unvorstellbar, dass ein demokratisch gewählter Premierminister des Staates Israels auf deutschem Boden festgenommen wird.“

Droht Netanjahu Verhaftung in anderen EU-Ländern?

Klar positionierte sich hingegen Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban: Er sprach demonstrativ eine Einladung an Netanjahu aus und will den Haftbefehl ignorieren – obwohl auch sein Land zu den Vertragsstaaten des IStGH gehört. Orban pflegt seit langem gute Beziehungen zu Netanjahu. Es ist nicht das erste Mal, dass Ungarn die Umsetzung eines IStGH-Haftbefehls verweigert – Fall Wladimir Putin. Die Regierungen der Niederlande und Kanadas ließen hingegen durchblicken, dass die Haftbefehle in ihren Ländern auch vollstreckt würden. Auch in Irland würde Netanjahu eine Festnahme drohen, wie Regierungschef Simon Harris der britischen Nachrichtenagentur PA zufolge sagte.

Was sagt die USA zum Haftbefehl?

US-Präsident Joe Biden verurteilte die internationalen Haftbefehle gegen Netanjahu und Galant. „Die Ausstellung von Haftbefehlen durch den Internationalen Strafgerichtshof gegen israelische Politiker ist empörend“, wurde Biden in einer Mitteilung des Weißen Hauses zitiert.

Wie groß ist die Unterstützung des Gerichts?

Bisher ist die internationale Unterstützung gerade aus dem Westen groß. Bisher gab es aber auch keine Verfahren zu Verbrechen in westlichen Staaten, sondern vorwiegend in Afrika. Daher wurde dem Gericht gerade von diesem Kontinent Einseitigkeit vorgeworfen. Der Fall zum Gaza-Krieg kann nun zum Testfall für die Glaubwürdigkeit werden. Ordnen die westlichen Staaten ihre politischen Interessen dem internationalen Recht unter?

Gibt es noch mehr Haftbefehle gegen Staats- und Regierungschefs?

Ja. Seit 2009 wird der damalige Präsident Sudans, Omar al Baschir, gesucht wegen des Verdachts eines Völkermords in der Region Darfur. 2023 erließ das Gericht einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin wegen möglicher Kriegsverbrechen in der Ukraine.

Wie geht es weiter?

Der Chefankläger wird weiter ermitteln, Beweise sammeln und Zeugen befragen. Anklage kann erst erhoben werden, wenn ein Verdächtiger festgenommen wurde. In einem Vorverfahren müssen dann die Richter prüfen, ob die Beweise für die Anklage ausreichen. Erst dann kann das Hauptverfahren eröffnet werden.

Könnte Israel das Verfahren verhindern?

Ja. Wenn Israel glaubhaft macht, dass es selbst mutmaßliche Kriegsverbrechen verfolgen wird und auch der Regierungschef nicht immun ist, dann können die Richter in Den Haag das ganze Verfahren auf Eis legen.

Gibt es noch mehr internationale Verfahren zum Gaza-Krieg?

Ja. Auch der Internationale Gerichtshof befasst sich damit. Dieses höchste Gericht der Vereinten Nationen hat seinen Sitz ebenfalls in Den Haag. Doch es tritt auf bei Konflikten zwischen Staaten. Südafrika hatte Ende 2023 Klage gegen Israel eingereicht und dem Land eine Verletzung der Völkermordkonvention vorgeworfen. Bisher gab es drei vorläufige Entscheidungen des Gerichts. Das Hauptverfahren zum Vorwurf des Völkermordes wird sich aber über Jahre hinziehen. (dpa/mig) Aktuell Panorama

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