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Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag © de.depositphotos.com

Zerreißprobe

Der erste internationale Haftbefehl gegen einen westlichen Regierungschef

Der Haftbefehl gegen Israels Regierungschef Netanjahu ist ein Novum. Er ist der erste gegen einen westlichen Regierungschef. Steht der Internationale Strafgerichtshof deshalb in der Kritik? Die Mitgliedsstaaten des Weltstrafgerichts sind gespalten. Der Konflikt überschattet die Jahreskonferenz.

Dienstag, 03.12.2024, 10:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 03.12.2024, 12:31 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Der Internationale Strafgerichtshof hatte gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und seinen Ex-Verteidigungsminister Joav Galant Haftbefehle wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gazastreifen erlassen. Es ist der erste internationale Haftbefehl gegen einen westlichen Regierungschef. Und schon löst es international Kontroversen aus. Bisher wurden mehrheitlich Politiker aus Afrika belangt. In Den Haag kommen die Vertreter der 124 Vertragsstaaten des Gerichtshofes zur Jahreskonferenz zusammen. Der Fall Netanjahu wird zur Zerreißprobe.

Was ist der Internationale Strafgerichtshof?

Der Internationale Strafgerichtshof mit Sitz in Den Haag verfolgt Verdächtige wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Aggressions-Krieg. Auch Staats- und Regierungschefs können sich nicht auf Immunität berufen. Im November erließen die Richter Haftbefehle gegen Netanjahu, seinen Ex-Verteidigungsminister Galant sowie den Militärchef der Terrororganisation Hamas. Der Gerichtshof beruht auf einem Grundlagenvertrag, dem Römischen Statut, dem 124 Staaten beigetreten sind – die Vertragsstaaten.

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Was haben denn die Vertragsstaaten mit den Haftbefehlen zu tun?

Die Staaten können zwar nichts gegen die Entscheidung der Richter tun, denn die sind unabhängig. Doch das Gericht hat keine Polizeimacht, um die Haftbefehle auch zu vollstrecken. Das müssen die Mitgliedsstaaten tun. Sie sind verpflichtet, die Gesuchten wie Netanjahu festzunehmen, wenn sie sich auf ihrem Hoheitsgebiet befinden. Aber einige Staaten äußerten bereits Bedenken. Und Frage ist, ob sie ihre Bündnistreue zu Israel höher bewerten als das internationale Recht. Das stellte sie vor ein massives Glaubwürdigkeitsproblem.

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Was steht denn auf dem Spiel?

Der Fall Netanjahu droht zur Zerreißprobe für das Gericht zu werden. Es geht um seine Glaubwürdigkeit. Denn die Justiz muss über den Parteien und über geopolitischen Interessen und Freundschaften stehen. Mit dem Haftbefehl hat sie das in den Augen vieler internationaler Beobachter zumindest ein Stückweit bewiesen. Die Vertragsstaaten stehen nun aber vor der Frage, ob Ermittlungen gegen einen westlichen Regierungschef ebenso unparteiisch bewertet werden wie gegen andere Verdächtige.

Wie groß ist die Unterstützung für das Gericht?

Bisher war die Unterstützung gerade aus dem Westen groß. Aber es gab auch noch nie Verfahren zu Verbrechen in westlichen Staaten, sondern vorwiegend in Afrika. Daher wurde dem Gericht gerade von diesem Kontinent Einseitigkeit vorgeworfen. Für sie wird der Fall zum Gaza-Krieg zum Testfall: Bleibt der Westen hinter dem Gericht stehen oder knickt er ein, wenn es einen von ihnen trifft?

Wer sind die größten Kritiker?

Das sind Israel und die USA. Beide sind zwar keine Vertragsstaaten, können aber auf ihre Verbündeten Druck ausüben. Und die USA könnten auch Sanktionen verhängen gegen Richter oder Ankläger. Dazu gibt es bereits Pläne. Für viele Länder des globalen Südens ist das bereits ein Zeichen dafür, dass es dem Westen nicht um Recht und Gesetz geht, sondern um Interesse.

Und wie sieht das bei den Vertragsstaaten aus?

Die sind gespalten. Kanada, Italien und die Niederlande – Gastland des Gerichts – erklärten sofort, dass sie ihrer Verpflichtung nachkommen und also Netanjahu bei einem Besuch festnehmen würden. Andere äußerten sich zurückhaltend. Frankreich etwa sagte, man werde das Recht respektieren. Zugleich zweifelte Paris, ob Netanjahu nicht doch Immunität genieße. Eindeutig war Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán: Er sprach demonstrativ eine Einladung an Netanjahu aus und will den Haftbefehl ignorieren.

Was ist die Position von Deutschland?

Deutschland sagt, es werde Recht und Gesetz respektieren. Doch zugleich wurde offengelassen, ob Netanjahu bei einem Besuch auch festgenommen würde. So ein Besuch stehe ja nicht an, hieß es. Deutschland ist in der Klemme. Gerade wegen seiner historischen Verantwortung gehört Deutschland zu den größten Unterstützern des Gerichtshofes. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Schuld an der Ermordung von mehr als sechs Millionen Juden hatte sich Deutschland auch aktiv für ein permanentes unabhängiges Weltstrafgericht eingesetzt. Zugleich ist Deutschland aber einer der engsten Verbündeten Israels – eben auch aus dieser historischen Verantwortung heraus.

Was passiert, wenn die Staaten Netanjahu nicht festnehmen?

Zunächst nicht viel – außer einem massiven Vertrauensverlust. Ein solcher Fall kann an die Konferenz der Vertragsstaaten übergeben werden, die über Konsequenzen entscheidet. Zuletzt hatte sich übrigens die Mongolei geweigert, den russischen Präsidenten Wladimir Putin bei einem Besuch in dem Land festzunehmen. Das Gericht hatte auch gegen Putin Haftbefehl erlassen wegen des Ukrainekrieges. Auch um diesen Fall soll es nun in Den Haag gehen. (dpa/mig) Aktuell Panorama

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