Bremen
Kontroverse nach verhinderter Abschiebung aus Kirchenasyl
Ein nächtlicher Einsatz in einem Bremer Gemeindezentrum löst heftige Kritik aus. Behörden sollen versucht haben, das Kirchenasyl aufzuheben. Der Innensenator widerspricht der Darstellung vehement. Die Kirche kontert.
Mittwoch, 04.12.2024, 10:09 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 04.12.2024, 10:09 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die gescheiterte Abschiebung eines 25-jährigen Somaliers aus dem Kirchenasyl in Bremen hat zu einer heftigen Debatte über das Vorgehen der Behörden geführt. „Das Kirchenasyl ist und bleibt ein wichtiger, unverletzlicher Schutzraum in besonderen Härtefällen“, sagte Pastor Bernd Kuschnerus von der Bremischen Evangelischen Kirche. Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) sieht sich dagegen an Bundesrecht gebunden und kritisiert seinerseits die Kirche scharf.
Nach der Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hatte das Bremer Migrationsamt, unterstützt von der Polizei, versucht, den Mann aus dem Kirchenasyl in einem Gemeindezentrum in der Bremer Neustadt nach Finnland abzuschieben. Bis zu 100 Menschen sollen die Maßnahme vor Ort verhindert haben. Die Polizei bestätigte einen entsprechenden Einsatz.
100 Menschen verhindern Abschiebung
Pastor Kuschnerus sagte, er bedauere sehr, dass in der Nacht behördlicherseits der Versuch unternommen wurde, das Kirchenasyl aufzuheben. Rund 100 Menschen hätten friedlich zivilen Ungehorsam geleistet und so die Abschiebung verhindert. „Ich empfinde dies als ein deutlich anderes Vorgehen, als wir es bisher erlebt haben“, sagte Kuschnerus. Staat und Kirchen müssten zu ihrem bisherigen guten Einvernehmen zurückkehren.
Nach Darstellung des zuständigen Innenressorts verhinderten bis zu 100 teilweise vermummte Personen die Rücküberstellung des Somaliers nach Finnland. „Mit der Aktion wird gegen eine gültige Vereinbarung verstoßen. Staat und Kirchen müssen darüber dringend reden“, sagte Innensenator Mäurer.
Senator kritisiert Kirche
Der betroffene Somalier ist nach Angaben des Innensenats über Russland zunächst nach Finnland geflohen und wurde dort registriert. Später sei er nach Deutschland weitergereist und habe einen Asylantrag gestellt. Er habe erklärt, keine Familie in Deutschland zu haben. Für die Innenbehörde ist Finnland zuständig, über den Asylantrag des Mannes zu entscheiden. „Deshalb muss er zur Durchführung seines Asylverfahrens nach Finnland zurück“, sagte Mäurer.
Entsprechend habe das Bundesamt nach intensiver Prüfung entschieden, dass der Mann nach den Dublin-Regeln zurückkehren müsse. Das Amt sei auch nach einer von der Kirche geforderten Überprüfung dabei geblieben. „Diese Entscheidung haben wir und auch die Kirchen zu akzeptieren“, sagte Mäurer. Geschehe das nicht, stelle die Kirche den Rechtsstaat grundsätzlich infrage. „Dass die Kirchengemeinde nach erfolgreicher Verhinderung auch noch mitten in der Nacht die Glocken läutete, ist an Zynismus nicht zu übertreffen und sicherlich auch nicht im Sinne der meisten Bremerinnen und Bremer.“
Verein Zuflucht weist Vorwürfe zurück
Dem widersprach Lars Ackermann vom Bremer Verein Zuflucht, der die Kirchenasylfälle vorab prüft. Dass ein Kirchenasyl beendet werden muss, wenn das Bamf eine Ablehnung ausspricht, stehe nicht in der Vereinbarung von 2015. Das Bamf habe dies einseitig geändert. Ferner habe der Somalier eindrücklich von „Pushbacks“ an der russisch-finnischen Grenze berichtet. Mehrfach sei er von beiden Seiten unter Schüssen in das jeweils andere Land getrieben worden. Pushbacks seien illegal und völkerrechtswidrig. Sie allein rechtfertigten schon das Kirchenasyl.
Nach Angaben der Evangelische Kirche handelte es sich um den ersten Versuch in Bremen, behördlicherseits ein Kirchenasyl aufzuheben. Der Bremer Flüchtlingsrat teilte mit, der 25-Jährige halte sich seit Monaten aus Angst vor einer Abschiebung in der Kirchengemeinde auf. Er befürchte, dass die Maßnahme ihn letztlich zurück nach Somalia führe.
Grüne kritisieren Behörden: „Tabubruch“
Die Grünen bezeichneten das Vorgehen als Tabubruch in der bisherigen humanitären Aufnahmepolitik Bremens. „Dieser Tabubruch darf nicht zum Dammbruch werden“, sagte die Fraktionsvorsitzende Henrike Müller. „Die versuchte Abschiebung aus dem Kirchenasyl gestern Nacht ist ein Bruch mit dieser Institution, eine Missachtung religiöser Stätten und entspricht nicht der humanitären Migrationspolitik, der wir uns als rot-grün-rote Regierung verschrieben haben“, teilten die Vorsitzenden der Linksfraktion, Sofia Leonidakis und Nelson Janßen, mit.
Die CDU-Bürgerschaftsfraktion betonte, dass Kirchen keine rechtsfreien Räume seien. „Deshalb unterliegt auch das Kirchenasyl Regeln, auf die sich Staat und Kirchen geeinigt haben und an die sich beide Seiten halten müssen“, sagte der Fraktionsvorsitzende Frank Imhoff. Für die FDP-Fraktion ist die Verhinderung der Abschiebung durch ein Kirchenasyl zwar menschlich nachvollziehbar, offenbart aber eine fehlerhafte Auffassung des Asylrechts. „Eine vom Recht losgelöste Parallelstruktur wie das Kirchenasyl untergräbt daher das staatliche Gewaltmonopol“, sagte der innenpolitische Sprecher Marcel Schröder. (dpa/epd/mig) Aktuell Panorama
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