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Sprachmittler helfen in Notfällen
Für Einsatzkräfte ein Problem: Ein Patient braucht Hilfe und spricht kein Deutsch. Apps helfen auch nur begrenzt. Mit Händen und Füßen kommt man auch nicht weiter. Was tun?
Von Michael Bauer Dienstag, 17.12.2024, 10:10 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 17.12.2024, 10:14 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Sprachbarrieren sind hinderlich. In bestimmten Situationen – etwa bei medizinischen Notfällen – können sie sogar gefährlich sein. Beispielsweise wenn Einsatzkräfte eines Rettungsdienstes bei Patienten eintreffen, die kein Deutsch können. Manchmal können sich die Einsatzkräfte dann mit Hilfe von Angehörigen, die Deutsch sprechen, mit den Patienten unterhalten. Doch es gibt auch Fälle, in denen niemand weiterhelfen kann.
„Dann bleibt noch die Möglichkeit, dass man einen Angehörigen über Telefon erreicht, der übersetzen kann“, sagt Robin Steih vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) in Alsfeld. „Gelingt auch das nicht, hat man nur die Möglichkeit, sich mit Hand und Fuß oder mit irgendwelchen Handy-Apps zu behelfen.“ Der Umstand, dass die Rettungskräfte situationsbedingt am Einsatzort oft mit aufgeregten Menschen zu tun haben, macht die Verständigung erfahrungsgemäß nicht leichter.
Vorreiter in Hessen
Dieses Problem wollen ehrenamtliche und professionelle Helfer im Vogelsbergkreis anpacken. Im Zentrum des Pilotprojekts stehen „Notfall-Sprachmittler“. Dabei handelt es sich um Migranten, die neben ihrer Muttersprache gut Deutsch sprechen, wie der Kreisbrandmeister und Interkulturelle Berater der Feuerwehr im Vogelsbergkreis, Björn Preuß-von Brincken, erklärt. Er ist Initiator des Projekts.
Der Vogelsbergkreis ist mit diesem Vorhaben nach eigenen Angaben Vorreiter in Hessen im Bereich Rettungseinsätze. Da es sich bei den Übersetzern um nicht-professionelle Helfer handelt, werden sie nicht Dolmetscher, sondern Sprachmittler genannt.
Keine Einsätze im Gefahrenbereich
Ihre Kernaufgabe ist der sprachliche Austausch zwischen Einsatzkräften auf der einen und Patienten und Angehörigen auf der anderen Seite. Nach einem Vorlauf von über einem Jahr seit Beginn des Projekts und der entsprechenden Ausbildung sind die ersten Übersetzer seit September im Dienst. Rund 20 Freiwillige zählt das Projekt derzeit. Englisch, Russisch, Ukrainisch, Türkisch, Kurdisch, Rumänisch, Ungarisch, Arabisch, Polnisch, Farsi (Persisch) und Amharisch (Äthiopisch) gehören zum Sprachangebot der Vogelsberger.
Einsätze direkt im Gefahrenbereich sind nicht vorgesehen. Die Sprachmittler werden telefonisch von der Einsatzleitstelle dazugeschaltet und übersetzen dann für Notärzte und Einsatzkräfte.
Bereits erste Erfahrungen gesammelt
Die Ukrainerin Julia Domashova, die auch Russisch spricht, hat ihre ersten Einsätze schon hinter sich. „Das waren Unfälle auf der Autobahn“, berichtet sie. „Gott sei Dank gab es dabei keine Verletzten, nur Sachschäden.“ Verwickelt waren in beiden Fällen Lkw-Fahrer, die kein Englisch und kein Deutsch, sondern lediglich Russisch sprachen.
Aufgeregt sei sie bei den nächtlichen Anrufen von der Einsatzzentrale nicht gewesen, berichtet die aus der Ukraine geflüchtete Frau. „Ich war früher Journalistin, deshalb ist diese Rufbereitschaft für mich eine gewöhnliche Sache.“ Gestört habe sie bei ihrem Einsatz am Telefon der laute Lärm auf der Autobahn, der es ihr sehr schwer gemacht habe, sich mit der Leitstelle und den Lkw-Fahrern zu unterhalten.
Nazila Afshar hat den Ernstfall noch vor sich. Angst davor hat sie nicht. „Es macht mir Freude, wenn ich anderen helfen kann, auch wenn es um Notfälle geht“, sagt sie. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Keyvan Seifi Alou wird sie sich um Hilfsbedürftige kümmern, die Farsi und Dari sprechen, also Sprachen, die von den Menschen im Iran und Afghanistan verwendet werden.
„Das ist perspektivisch Gold wert“
Der Vorteil der Sprachmittler aus Sicht des Rettungsdienstes: Ihre telefonische Erreichbarkeit ist über die Leitstelle jederzeit sichergestellt. Die Einsatzkräfte sind zudem nicht unterwegs auf mobiles Internet angewiesen, um irgendwelche Apps zu nutzen. Und es gibt einen immer größer werdenden Pool von Fremdsprachen, für die sich die Einsatzkräfte Übersetzer an die Seite holen können. „Das ist perspektivisch Gold wert“, sagt Rot-Kreuz-Helfer Steih.
Zwar gebe es für die Einsatzkräfte verschiedene spezielle Apps, erklärt Tim Müller vom DRK-Alsfeld. „Doch gegen einen Dolmetscher kommt keine App an“, ergänzt seine Kollegin Ulrike Greb.
Nach Angaben von Kreisbrandmeister Preuß-von Brincken haben auch der benachbarte Landkreis Gießen und das Bundesland Sachsen schon Interesse an dem Projekt bekundet. Der Initiator des Vorhabens würde sich freuen, wenn sich andere Kreise anschließen.
„Wir sind auf der Suche nach allen Sprachen“
Je mehr Sprachmittler zur Verfügung stehen, desto besser, lautet seine Devise. Denn dadurch erweitere sich auch der Kreis der Sprachen, für die Übersetzer gefunden werden könnten. Und letztlich sei es ja egal, wo sich die Sprachmittler aufhalten, da dieser Umstand bei der telefonischen Übersetzung keine Rolle spiele. „Wir sind für neue Sprachmittler immer offen. Wir sind auf der Suche nach allen Sprachen“, betont er.
„Auch für uns in der Notfallseelsorge ist es von großer Bedeutung, wenn wir Leute haben, auf die wir schnell Zugriff haben und die dolmetschen können“, sagt Sven Kießling, der das Nachsorge-Einsatzteam im Vogelsbergkreis leitet. „Ich bin sehr froh über dieses Projekt.“ Der Notfallseelsorger hilft auch Menschen, die einen als schwierig empfundenen Einsatz hatten, bei der Aufarbeitung des Geschehens.
Die Notfall-Sprachmittler werden regelmäßig von erfahrenen Einsatzkräften in Fragen rund um den Rettungsdienst ausgebildet. Im Fall eines Einsatzes während der Arbeitszeit erhalten sie eine Lohnfortzahlung, wie Preuß-von Brincken erklärt. Außerhalb der Arbeitszeit bekommen sie eine ehrenamtliche Aufwandsentschädigung in Höhe von 20 Euro. (dpa/mig) Aktuell Panorama
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