Gewalt, Frau, Prostitution, Zwangsheirat, Zwangsehe
Gewalt gegen Frauen © NTLam auf flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Auf Flüchtlingsrouten

Minderjährige Opfer von Menschenhandel

Seit 30 Jahren hilft Karo e.V. Opfern von Zwangsprostitution und Menschenhandel. Zum Jubiläum haben die Sozialarbeiter nicht nur Grund zum Feiern: Besonders die Lage von Minderjährigen macht Sorgen – und die Situation von sexueller Gewalt auf Flüchtlingsrouten nach Deutschland.

Von Dienstag, 17.12.2024, 12:29 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 17.12.2024, 12:30 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Minderjährige, die sich in den Fängen von Menschenhändlern befinden und sexuelle Gewalt erfahren: Was bei vielen Bewohnern des deutsch-tschechischen Grenzgebietes kaum ins Bewusstsein dringt, ist Alltag für die aktuell acht Sozialarbeiter des Karo e.V. in Plauen im Vogtland. Seit 30 Jahren gehen sie auf die Straßen, in Bordelle und Wohnungen und helfen Frauen und Kindern, die von Zwangsprostitution und Menschenhandel betroffen sind. „Die Arbeit ist über die Jahre nicht einfacher geworden, aber anders“, sagt die Gründerin Cathrin Schauer-Kelpin.

Viele Prostituierte in der deutsch-tschechischen Grenzregion würden nicht mehr wie vor einigen Jahren an Straßenrändern stehen und ihre Dienste anbieten. „Sie sind in Wohnungen und oft aus dem Blick der Öffentlichkeit verschwunden. Aber wir sehen, wie aktiv die Szene ist“, so Schauer-Kelpin.

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Besonders die Situation von schutzlosen Kindern sei besorgniserregend. „Wir wissen von Leuten, die Kinder für sexuelle Zwecke anbieten. Und von Freiern, die gar für Babys viel Geld bezahlen.“ Meist seien die Lebenssituationen undurchsichtig, die Täter agierten vorsichtig. „Oft können wir nichts anderes tun, als mit Betroffenen behutsam in Kontakt zu treten und Hilfe anzubieten.“ Die Dunkelziffer sei bei diesen Verbrechen hoch. Viele der Opfer würden nie in einer Statistik auftauchen.

Ausbeutung von Minderjährigen

Dem Bundeslagebild „Menschenhandel und Ausbeutung“ für das Jahr 2023 zufolge ist die Gesamtzahl der abgeschlossenen Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Menschenhandels und der Ausbeutung im Vergleich zum Vorjahr um 6,1 Prozent auf 474 gesunken. Mit enthalten ist auch der Bereich Arbeitsausbeutung. „Es ist jedoch von einem großen Dunkelfeld auszugehen“, heißt es. Mit 186 Verfahren hat die Zahl bei der Ausbeutung von Minderjährigen um fast neun Prozent zugenommen. 226 Opfer wurden dabei gezählt.

Bei den Kindern sei jeder einzelne Fall zu viel, sagte Cathrin Schauer-Kelpin. „Durch das Internet gibt es mehr Möglichkeiten, Kinder zu kontaktieren oder anzubieten.“ Auch die Situation von sexueller Gewalt auf Flüchtlingsrouten nach Deutschland sei ein neues Problem, so Schauer-Kelpin. „Wir erfahren von tragischen Schicksalen oft erst Jahre später, wenn die Betroffenen traumatisiert in unsere Beratungsstellen oder ins Schutzhaus kommen.“

Das Landeskriminalamt Sachsen registrierte im vergangenen Jahr 22 Fälle bei den Straftaten, die Menschenhandel, Zwangsprostitution, Ausbeutung von Prostituierten und Arbeitsausbeutung umfassten. Dabei wurden fünf Opfer unter 21 Jahren festgestellt. Von den aufgelisteten Fällen seien zehn Verfahren wegen des Verdachts des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung geführt worden. Es sei allerdings keine Aussage möglich, in wie vielen Fällen die Opfer in einem engen zeitlichen Zusammenhang die Schleusungsrouten des sächsisch-tschechischen oder sächsisch-polnischen Grenzgebietes tangierten, heißt es vom LKA.

Abdriften in den Untergrund

Selbstbestimmte Sexarbeitende und Personen, die gegen ihren Willen anschaffen müssen und viel Gewalt und Leid erfahren: Beide Pole seien in Sachsen anzutreffen, sagt Ulrike Richter von Kobranet, der Fachberatungsstelle für Opfer von Menschenhandel. „Und dazwischen gibt es viele Abstufungen.“ Sorgen bereite die Abwanderung der Sexarbeit in den Untergrund, so Richter.

Teilweise hätten die Corona-Schutzmaßnahmen die Entwicklung beschleunigt. „Viele halten sich nur kurz an einem Ort auf, etwa in einer Ferienwohnung. Wir kommen mit immer weniger Personen in Kontakt.“ Seien vor der Corona-Pandemie um die 1000 Kontakte pro Jahr möglich gewesen, die die fünf Mitarbeiter hätten herstellen können, belaufe sich die Zahl aktuell auf 800. „Verschwinden die Sexarbeitenden aber im Untergrund, wird es zunehmend schwieriger, Gewalt und Missbrauch aufzudecken.“

Im vergangenen Jahr führte Karo fast 100 Streetwork-Einsätze in den tschechischen Grenzregionen durch. Dabei stellten sie rund 700 Kontakte zu Menschen in der Prostitution her, um die 50 davon seien minderjährig gewesen, so Schauer-Kelpin. Auf deutscher Seite fanden ebenfalls fast 100 Einsätze statt. Außerdem betreibt der Verein ein Schutzhaus und seit September eine spezialisierte Fachberatungsstelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt, gefördert vom Justizministerium. (dpa/mig) Aktuell Panorama

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