Warnsignal für Deutschland
AfD-Schwesternpartei FPÖ in Österreich kurz vor dem Kanzleramt
Die FPÖ war der Sieger der Wahl in Österreich. Regieren sollten sie dennoch nicht. Nach dramatischen Tagen bekommen die Rechtspopulisten nun doch die aussichtsreiche Chance, eine Regierungskoalition mit der ÖVP zu schmieden. In Deutschland blickt man mit Sorge auf das Nachbarland.
Montag, 06.01.2025, 16:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 06.01.2025, 16:26 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Die rechte FPÖ steht in Österreich kurz vor dem Einzug ins Kanzleramt. Bundespräsident Alexander Van der Bellen erteilte den Rechtspopulisten trotz eigener Vorbehalte offiziell den Auftrag zur Bildung einer Regierung. Parteichef Herbert Kickl solle Gespräche mit der konservativen ÖVP aufnehmen, sagte Van der Bellen. Damit könnte die FPÖ erstmals in Österreich das Kanzleramt übernehmen.
Die Partei hat eine Moskau-freundliche Haltung und steht der EU sehr skeptisch gegenüber. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban gilt zumindest in Sachen Migrationspolitik als Kickls großes Vorbild.
Van der Bellen erklärte, das Land brauche gerade in der aktuell wirtschaftlich äußerst schwierigen Lage eine arbeitsfähige Regierung. Kickl habe ihm in dem Gespräch versichert, dass er sich die Aufgabe als Kanzler zutraue. „Der Respekt vor dem Wählervotum gebietet es, dass der Bundespräsident die Mehrheit achtet“, auch wenn er selbst möglicherweise andere Wünsche und Vorstellungen habe, sagte Van der Bellen. „Ich habe mir diesen Schritt nicht leicht gemacht.“
Gespräche von Protesten begleitet
Das rund einstündige Treffen von Van der Bellen und Kickl war begleitet von Protesten. Vor der Präsidialkanzlei waren Hunderte Demonstranten aufmarschiert, die mit Schildern wie „Nazis raus“ vor einem gewaltigen Rechtsruck warnten.
Die konservative ÖVP und die rechte FPÖ hatten bereits in den 2000er Jahren und zwischen 2017 und 2019 Koalitionen gebildet – allerdings unter ÖVP-Regierungschefs.
Die FPÖ hatte die Parlamentswahl im September mit knapp 29 Prozent der Stimmen gewonnen. Zunächst wollte niemand mit den Rechtspopulisten regieren. Doch Gespräche über eine Regierung aus den Mitte-Parteien scheiterten.
ÖVP nach Kurswechsel zur Zusammenarbeit bereit
Die ÖVP hat nach dem Rückzug von Kanzler Karl Nehammer als Parteichef am Wochenende einen Kurswechsel vollzogen. Sie hat unter ihrem neuen Parteivorsitzenden, dem bisherigen ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker, ihre Bereitschaft erklärt, als Juniorpartner der FPÖ eine Regierung zu bilden.
Die Ausgangslage für die nun anstehenden Gespräche gilt als gut. Bei Themen wie Migration und Steuern scheinen sich die Ansichten der beiden Parteien weitgehend zu decken. Deutliche Differenzen zwischen FPÖ und der ÖVP gibt es aber in Sachen Außen- und Sicherheitspolitik. Völlig offen seien auch gemeinsame Konzepte zur Bewältigung der tiefen Budgetkrise.
Scheitern der Dreier- und Zweier-Koalitionsgespräche
Van der Bellen hatte nach der Parlamentswahl entgegen der Gewohnheit zunächst nicht die FPÖ als stimmenstärkste Partei mit der Regierungsbildung beauftragt. Er berücksichtigte dabei, dass keine der anderen Parteien mit der FPÖ unter Kickl koalieren wollte und aus seiner Sicht ein solcher Auftrag daher nur „leere Kilometer“ bedeutet hätte.
Vor wenigen Tagen scheiterten aber die Koalitionsgespräche von ÖVP, SPÖ und liberalen Neos nach wochenlangen Verhandlungen. Auch der Versuch einer Zweier-Koalition von ÖVP und SPÖ wurde schnell beendet. Damit waren die Karten neu gemischt.
Söder warnt vor Schwarz-Grün
Das Geschehen im Nachbarland wird in Deutschland mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt erklärte, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Österreichs seien vergleichbar mit denen Deutschlands, und man erkenne auch deutlich, dass das Migrationsthema ein Hauptthema in der österreichischen Bevölkerung sei. Das führe dann genau zu solchen Ergebnissen. Im ZDF-„Morgenmagazin“ stellte Dobrindt in Abrede, dass die CSU mit scharfen Forderungen in der Migrationspolitik versucht, die AfD einzufangen.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zeigte sich besorgt. Die Entwicklung im Nachbarland sei „natürlich nicht gut.“ Söder nahm die Vorgänge auch zum Anlass, um vor einem schwarz-grünen Bündnis in Deutschland zu warnen, das er strikt ablehnt: „Österreich hat gezeigt, wohin Schwarz-Grün führt: nur zum extremen Erstarken von anderen Kräften, dort der FPÖ.“ Das wäre hier mit der AfD genauso, sagte der CSU-Chef.
Grüne warnt vor Österreich-Verhältnissen
Die Grünen in Deutschland ziehen aus der gescheiterten Bildung einer Regierung ohne die FPÖ in Österreich ebenfalls Schlüsse für Deutschland. „Die festgefahrene Situation in Österreich sollten wir als Warnung wahrnehmen“, sagte Parteichefin Franziska Brantner der Deutschen Presse-Agentur. Im Nachbarland sei zu erkennen: „Wenn Parteitaktik über Bündnisfähigkeit gestellt wird, triumphieren am Ende die Populisten“.
Die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann, sagte der dpa: „Nach Wahlen müssen alle demokratischen Kräfte bereit sein, miteinander zu sprechen und zu einem Konsens zu kommen.“ Dabei richtete sich Haßelmann besonders an die CSU, deren Landesgruppe im Bundestag ihre Winterklausur im Kloster Seeon startet. „Wer, wie die CSU, demokratische Bündnisse beinahe täglich mit großem Getöse ausschließt, macht sich unglaubwürdig und spielt Antidemokraten in die Hände“, warnte die Fraktionschefin.
AfD fordert Brandmauer-Ende
Tatsächlich weckt der Auftrag zur Regierungsbildung für die rechte FPÖ bei der AfD in Deutschland neue Hoffnungen. Parteichefin Alice Weidel rief in einer Mitteilung die Union dazu auf, ihre Abgrenzung von der AfD aufzugeben. Die von CDU-Chef Friedrich Merz errichtete Brandmauer werde keinen Bestand haben, sagte Weidel. „Das letzte Stündlein der ‚Brandmauer‘ wird auch bei uns bald schlagen“, gab sich Weidel überzeugt. Unionskanzlerkandidat Merz hatte eine Zusammenarbeit mit der AfD kategorisch ausgeschlossen.
Söder gab zu bedenken, dass die FPÖ in Österreich eine andere Tradition habe als die AfD. Die FPÖ regiere in vielen Bundesländern mit und sei schon einmal in der österreichischen Bundesregierung gewesen. Zudem gelte: „Deutsche Rechtspopulisten sind immer noch mal schlimmer, weil sie immer die schlimmsten sind von allen.“
FPÖ sitzt auf dem längeren Ast
Sollten sich FPÖ und ÖVP entgegen den Erwartungen doch nicht auf ein Regierungsprogramm einigen, könnten die Rechtspopulisten einer Neuwahl gelassen entgegensehen. Ihr Stimmenanteil ist seit der Parlamentswahl vor drei Monaten laut Umfragen noch einmal deutlich auf mindestens 35 Prozent gewachsen. Außerdem ist die Parteikasse der FPÖ im Gegensatz zu anderen Parteien gut gefüllt.
Für die ÖVP wäre die Rolle des kleineren Bündnispartners durchaus problematisch. „Als Juniorpartner gewinnt man nichts“, sagt Politik-Analyst Thomas Hofer. Wie lange der neue Parteichef Stocker amtieren werde, müsse man sehen. „Mittel- und langfristig ist die Karte Sebastian Kurz nicht aus dem Spiel“, meinte Hofer mit Blick auf ein Comeback des einst populären Ex-Kanzlers und ÖVP-Chefs. (dpa/mig) Ausland Leitartikel
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