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Ukrainer demonstrieren für Frieden (Archiv) © Ying Tang/AFP

Fast drei Jahre Krieg

Ukrainer in Deutschland sorgen sich um ihre Verwandten

Schon seit mehr als 1.000 Tagen bombardiert Russland die Ukraine. Eine achtköpfige Flüchtlingsfamilie im Rheingau hat Trennungsschmerz und wenig Hoffnung. Das Schulsystem erlangt da eine besondere Bedeutung.

Von Dienstag, 07.01.2025, 10:39 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 07.01.2025, 10:39 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Viktoria Mykhailenko, lange braune Haare, schüchternes Lächeln, ist gerne in ihrer vierten Grundschulklasse in Oestrich-Winkel im Rheingau. „Mit meinen Freundinnen macht es Spaß“, sagt die Elfjährige. „Aber meine zwei Brüder und meine Schwester vermisse ich.“ Seit langem ist Viktoria, eines der sechs Pflegekinder von Maryna Kardaschowa (50) und Serhii Kardaschow (54), von den Geschwistern in der Ukraine getrennt.

Bombardierte Dörfer, 27 russische Kontrollposten, gesprengte Brücken, Slalom um Minen – im Sommer 2022 ist die achtköpfige Familie mit ihrem Auto aus dem russisch besetzten Teil der Ukraine bei Mariupol nach Deutschland geflohen, 48 Stunden lang. Nun tobt der Angriffskrieg bereits seit mehr als 1.000 Tagen. Russland rückt in der Ostukraine beharrlich voran. Mit dem Amtsantritt von Donald Trump als US-Präsident am 20. Januar ist das künftige Ausmaß der westlichen Unterstützung der Ukraine ungewiss.

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Mutter seit 2022 nicht mehr gesehen

„Wir dachten, wir kommen für höchstens ein halbes Jahr nach Deutschland“, sagt Maryna Kardaschowa. Ihr Mann Serhii ergänzt: „Ich habe meine Mutter in der Ukraine seit drei Jahren nicht mehr gesehen.“ Doch schon im Sinne der Sicherheit ihrer Pflegekinder im Alter von 7 bis 14 Jahren sei an eine Rückkehr vor Kriegsende nicht zu denken.

Und danach? „Unser Haus steht im russisch besetzten Osten. Das macht es noch schwieriger“, sagt Serhii Kardaschow. „Ich sitze hier einfach da und warte.“ Seine Frau Maryna fügt hinzu: „Ich habe keine Kontrolle über die Zukunft.“ Das Ehepaar ist dankbar für die vielfältige hiesige Unterstützung.

Fast 100.000 Kriegsflüchtlinge in Hessen eingereist

Knapp 100.000 Flüchtlinge sind dem Landesinnenministerium zufolge seit Kriegsausbruch von der Ukraine nach Hessen eingereist. Rund 3.200 davon sind keine Ukrainer, sondern sogenannte Drittstaatsangehörige. Viele Ukrainer leben hier längst in einer Wohnung. In den Einrichtungen der Erstaufnahme in Hessen sind laut dem Integrationsministerium derzeit etwa 400 Flüchtlinge aus dem Kriegsland untergebracht. Ukrainer brauchen hier kein Asyl zu beantragen.

Landesinnenminister Roman Poseck (CDU) versichert der Deutschen Presse-Agentur: „Hessen steht fest an der Seite der Ukraine.“ Das Bundesland habe seit Kriegsausbruch 104 Hilfstransporte im Wert von 12,1 Millionen Euro, darunter Lebensmittelpakete, Feldbetten und medizinisches Material, in die Ukraine geschickt. Und zusätzlich Feuerwehrfahrzeuge.

Das Schulfach „Ukrainisch als zweite Fremdsprache“

Für ukrainische Flüchtlingskinder ist der Zugang ins hiesige Bildungssystem besonders wichtig. Seit Kriegsausbruch haben Hessens Schulen laut Bildungsministerium rund 30.000 Mädchen und Jungen aufgenommen. „Die meisten von ihnen waren durch Flucht gezwungen, ihre bereits begonnene schulische Laufbahn jäh zu unterbrechen. Sie mussten in Intensivkursen und -klassen in relativ kurzer Zeit Deutsch als eine für sie neue Sprache lernen.“ Mehr als 8.200 junge Ukrainer haben das hessische Schulsystem bereits wieder verlassen – mit einem Abschluss oder etwa wegen eines Umzugs.

Um den ukrainischen Schülern entgegenzukommen, startete Hessen im laufenden Schuljahr den Schulversuch „Ukrainisch als zweite Fremdsprache“. Hessenweit beteiligten sich 17 Schulen an dem neuen Schulversuch. Dem Bildungsministerium zufolge nehmen rund 200 Schülerinnen und Schüler teil. Lehrkräfte in diesem Fach sind in der Regel Muttersprachlerinnen und Muttersprachler, die über umfangreiche Kenntnisse der ukrainischen Sprache und Kultur verfügen. Das Angebot richtet sich den Angaben zufolge nicht nur an ukrainische Jugendliche, sondern an alle Schülerinnen und Schüler, die Interesse daran haben, die ukrainische Sprache entweder neu zu erlernen oder weiter zu vertiefen.

Vertrauen in Donald Trump?

Serhii Kardaschow ist froh, dass seine Pflegekinder hiesige Schulen besuchen. Sein Vertrauen in die internationale Politik ist derweil nicht groß: „Viele Politiker haben schon versprochen, dass es in der Ukraine besser wird.“ Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Doch das hat sich laut Kardaschow nicht erfüllt. „Deshalb fällt es mir schwer, jetzt Trump zu vertrauen.“

Lena Ruppert, eine Ukrainerin in Eltville im Rheingau, kennt hier viele Landsleute. Darunter ein altes Ehepaar in Geisenheim, „das seit drei Jahren seinen fünfjährigen Urenkel in der Ukraine nicht mehr gesehen hat. Und seine neue Urenkelin bisher nur auf Fotos“, berichtet sie. Zwei Söhne und zwei Enkel kämpfen nach Rupperts Worten gegen Russland: „Das ältere Ehepaar schaut hier jeden Tag, ob sie noch online sind. Dann wissen sie, dass sie noch leben.“ (dpa/mig) Aktuell Gesellschaft

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