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Ausländerbehörde © Resident on Earth @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

„Erdrückende Bürokratie“

Eine Behörde kämpft gegen komplexe Gesetze und Regelungswut

Vor einem halben Jahr wurde die viel gescholtene Frankfurter Ausländerbehörde zum „Immigration Office“ umgebaut. Was hat das gebracht? Welche Probleme gibt es noch? Und wie groß ist der aktuelle Antragsstau?

Von Mittwoch, 08.01.2025, 11:29 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2025, 11:29 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Zehntausende unbearbeitete Mails, Schlangen vor dem Eingang, eine Bank legt Dienstaufsichtsbeschwerde wegen Untätigkeit ein – die Ausländerbehörde in Frankfurt war lange Zeit auf Negativschlagzeilen abonniert. Vor einem halben Jahr wurde die Behörde aus dem Ordnungsamt herausgelöst und kann nun als eigenständiges „Frankfurt Immigration Office“ flexibler agieren. Was hat sich seither verändert?

Vieles, aber noch nicht genug, sagt Norbert Euler, der die Behörde seit 2017 leitet. Das, was er am liebsten ändern würde, liegt nicht in seiner Hand: eine außer Rand und Band geratene Bürokratie, die er selbst als „erdrückend“ empfindet. „Ich wünsche mir einfachere Regelungen“, sagt er.

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Das Ausländerrecht werde immer komplexer, ständig komme Neues dazu, aber nie falle Altes weg. Euler würde gern „die Regelungswut zurückfahren, einfach mal durchmisten“. Ein Beispiel: Ausländische Pflegekräfte müssen zwei Jahre beim ersten Arbeitgeber bleiben. Wechseln sie, müssen sie ihre Aufenthaltserlaubnis umschreiben lassen. Dann muss das Ausländeramt die Arbeitsagentur einschalten und so fort. Euler hält das für verzichtbar.

„In Chancen denken, nicht in Risiken“

Er würde sich auch eine andere Haltung Deutschlands gegenüber Neuankommenden wünschen. „Wir sollten in Chancen denken, nicht in Risiken.“ Wenn eine Firma bereit sei, für einen IT-Experten aus dem Ausland zehntausende Euro auszugeben, werde sie dafür wohl ihre Gründe haben. Auch für Studierende würde es ausreichen, wenn die Hochschule die Papiere prüfe. „Das würde bei uns Druck aus dem Kessel nehmen.“

Weil sich die Ausländerbehörde nun mal an das Gesetz halten muss, sucht das Immigration Office gezielt nach „Regelungslücken“, wie Euler sagt: „Wo wir Spielraum sehen, versuchen wir die Vorschriften im Interesse der Antragsteller auszulegen.“ Bei Studierenden steht dort zum Beispiel neuerdings, dass nach bestandener Prüfung eine Arbeitstätigkeit automatisch gestattet ist.

Noch immer 14.000 unbearbeitete Anträge

Um zu verhindern, dass Aufenthaltstitel auslaufen, weil Betroffene keinen Termin bekommen, schreibt das Immigration Office drei Monate vor Ablauf alle an und bittet sie, einen Antrag auf Verlängerung zu stellen. Geht dieser rechtzeitig ein, bekommen sie eine „Fiktionsbescheinigung“, die besagt, dass das alte Papier bis zum Termin weiter gilt.

Dass das je nach Art des Antrags bis zu sechs Monate dauern kann, findet auch Euler viel zu lang. Noch immer schieben die Mitarbeiter einen Berg von rund 14.000 unbearbeiteten Anträgen vor sich her. Euler rechnet aber auch vor, was sie leisten.

119 Anträge in 9 Sprachen online

Seit Einführung des Onlinetools vor eineinhalb Jahren seien 100.000 Vorgänge abgeschlossen worden. Und die Zahl der unbearbeiteten Anträge sei nicht gestiegen, obwohl mehr Anträge gestellt wurden. Euler ist sicher: „Mitte des Jahres werden wir einen messbaren Effekt sehen.“

Noch wichtiger als die Ausgliederung vor einem halben Jahr war vor eineinhalb Jahren die Digitalisierung fast aller Vorgänge. 119 „Antragsstrecken“ sind seither in neun Sprachen online verfügbar. „Wir nehmen die Neuankömmlinge an die Hand“, sagt Euler. Bei jedem Pfad sieht der Antragsteller, welche Dokumente er hochladen muss.

Quereinsteiger für das Serviceteam

Das System überprüft, ob alle Unterlagen für einen Antrag vollständig hochgeladen sind. Ist das der Fall, wird man automatisch zu einem Termintool weitergeleitet.

Für die erforderliche Vorsprache – bei der die biometrischen Daten aufgenommen und der elektronische Aufenthaltstitel bestellt wird – wurden zehn Quereinsteiger eingestellt. Auch das sei eine positive Folge der Ausgliederung, sagt Euler.

Wie belastend die Arbeit zum Teil ist, musste der Amtsleiter kürzlich am eigenen Leib erfahren: Ein unzufriedener Kunde randalierte, warf einen Schreibtisch und Stühle um, ein Mitarbeiter löste Alarm aus. Der Chef eilte hinzu und wurde „lautstark und wild gestikulierend angegriffen“, wie die Stadtpolizei berichtete, die den Afghanen schließlich festnahm.

Andere Städte, gleiche Probleme

Auch wenn solche Situationen selten sind: „Die Arbeit ist belastend“, sagt Euler, der Druck hoch, die Materie kompliziert. Auf den 159 Planstellen herrscht große Fluktuation. Inzwischen ist die Belegungsquote von 82 auf 95 Prozent gestiegen. Um die Mitarbeiter zu halten, dürfen sie, wenn gewollt, weitgehend im Homeoffice arbeiten – die meiste Arbeit ist ja inzwischen online.

„Die Ausländerbehörden in ganz Deutschland leiden unter den gleichen Problemen“, glaubt Euler. „Eine unzureichende Personalausstattung, eine mangelnde Digitalisierung und die Komplexität der Materie.“ In einer idealen Welt gäbe es eine Plattform, über die alles gesteuert wird, das Ausländerzentralregister beispielsweise. Das aber scheitert am Föderalismus.

Hohe Personalfluktuation und häufige Gesetzesänderungen

Auch andere hessische Kommunen haben Probleme. Zahlen unbearbeiteter Anträge werden nicht genannt – aber die Herausforderungen werden ähnlich beschrieben. Das Integrations-Referat in Wiesbaden berichtet von „einer hohen Personalfluktuation bei gleichzeitig langen Einarbeitungszeiten“.

Zudem werde die Arbeit „durch die Komplexität des Rechtsgebiets und häufige Gesetzesänderungen erschwert“. In Darmstadt wurden nach Angaben der Stadt bis Oktober 2.270 Fiktionsbescheinigungen ausgegeben – wobei nicht immer „terminliche Gründe“ dahintersteckten. (dpa/mig) Aktuell Panorama

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