Paradoxon
Wie Deutschland Syrer zum Bleiben zwingt
Politiker fordern: Syrer sollen zurückkehren in ihre Heimat. Doch hausgemachte Gesetze zwingen Syrer zum Bleiben. Willkommen im Absurditätenkabinett der deutschen Flüchtlingspolitik.
Von Birol Kocaman Sonntag, 12.01.2025, 14:56 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 12.01.2025, 15:56 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Syrer, die nach Deutschland geflüchtet sind, sollen – so die Forderung in immer größeren Teilen der Politik – nach dem Sturz von Assad in die Heimat zurückkehren. Die Logik dahinter: Assad weg, Fluchtgrund weg, Syrer weg. Doch genau hier schlägt die deutsche Politik den Haken ins Absurde.
Denn wer es wagt, auch nur kurz einen Fuß auf syrischem Boden zu setzen, dem droht hierzulande das bürokratische Fallbeil. Der Schutzstatus, mühsam durch endlose Ämter und Instanzen erstritten, wird schneller kassiert, als man „Aleppo“ sagen kann. Familienbesuch? Verboten. Heimweh? Gefährlich. Man könnte meinen, das deutsche Gesetz hätte heimlich ein Plakat über jedem Ausländeramt aufgehängt: „Wer geht weg, der bleibt weg.“
Darum geht’s: Syrer in Deutschland müssen eine Reise in die Heimat vor Reiseantritt bei der Ausländerbehörde anzeigen. Eine solche Reise führt – von ganz seltenen Ausnahmen abgesehen – aber zum Widerruf des Schutzstatus durch das Bundesamt gegen für Migration und Geflüchtete (Bamf).
„Syrer bleiben – nicht aus Überzeugung, nicht weil sie wollen, sondern weil deutsche Gesetze sie faktisch dazu zwingen.“
Das Ergebnis ist grotesk: Syrer bleiben – nicht aus Überzeugung, nicht weil sie wollen, sondern weil deutsche Gesetze sie faktisch dazu zwingen. Sie dürfen nicht nach Syrien reisen, um zu sehen, ob ihre Städte, Dörfer und Häuser noch stehen, ob ihre Nachbarn, Freunde und Verwandten noch leben, ob ihr Leben, das sie vor Jahren verlassen mussten, überhaupt noch vorhanden ist. Sie dürfen sich kein persönliches Bild von der Heimat machen oder einfach mal wieder den Duft der Straßen von Damaskus einatmen – nichts also, was verlockend sein könnte. Sie dürfen damit auch nicht ihre Familien besuchen, auch wenn sie sie schon seit vielen Jahren nicht gesehen haben – längst vergessen ist die Pandemie-Zeit, als Deutschland für wenige Wochen seine Eltern nicht besuchen durfte und aus Sorge fast durchdrehte.
Déjà-vu: Deutschlands Rückkehr-Paradoxon
Das Paradoxon, Menschen zur Heimreise bewegen zu wollen, aber die Hebel so umzustellen, damit das Gegenteil passiert, kennt man von der deutschen Politik. Es war der frühere „Bin-kein-Beileidstourist“-Kanzler Helmut Kohl, der die brillante Idee hatte, die Grenzen für weitere „Gastarbeiter“ zu schließen. Er versuchte Türken mit Rückkehr-„Prämien“ dazu zu bewegen, wieder in die Heimat zurückzukehren. Ergebnis: Aus der Angst, die Grenzen würden dichtgemacht, holten „Gastarbeiter“ noch schnell ihre Familien nach. Heute beobachten wir das gleiche Spiel in Rot-Grün: Auch Syrer will man mit Rückkehrprämien locken.
„Verantwortlich ist eine Politik, die in der Mitte immer brauner wird, die immer mehr auf Rechtspopulismus und Symbolpolitik setzt statt auf Vernunft und Problemlösung.“
Wie viele würden, wenn sie dürften, tatsächlich dauerhaft zurückkehren nach Syrien? Vielleicht wenige, vielleicht viele. Wir werden es nicht erfahren. Verantwortlich dafür ist eine Politik, die in der Mitte immer brauner wird, die immer mehr auf Rechtspopulismus und Symbolpolitik setzt statt auf Vernunft und Problemlösung.
Es ist kein Zufall, dass die Regelung, die Syrer von Heimatreisen abhält, fast von allen Parteien getragen wurde. Sie kam als Reaktion auf den Anschlag in Solingen im August 2024 – ein Ampel-Gesetz also, das von den Unionsparteien mit getrieben wurde und dessen Populismus durch das jetzt entstandene Paradoxon deutlich wird.
Die Grünen, einst Leuchtturm der Humanität, sind längst zu Verwaltern kalten Pragmatismus geworden. Selbst Robert Habeck schickte jüngst eine Botschaft hinaus, die einem AfD-Parteitag Applaus eingebracht hätte: „Diejenigen, die hier nicht arbeiten, werden … zurückkehren … müssen.“ Und Außenministerin Annalena Baerbock? Ihr Ministerium hat Familienzusammenführungen zu einem Marathon der Bürokratie gemacht, bei dem die Schwächsten auf der Strecke bleiben.
„Auch die SPD scheint vergessen zu haben, wofür sie einst stand: Waren früher Integration und Spracherwerb miteinander verzahnt, wird heute abgeschoben, damit Integration gelingen kann.“
Auch die SPD scheint vergessen zu haben, wofür sie einst stand: Waren früher Integration und Spracherwerb miteinander verzahnt, wird heute abgeschoben, damit Integration gelingen kann.
Und dann gibt’s noch die FDP – zumindest noch – und natürlich die CDU. Während Friedrich Merz, der Chef letzterer, darüber sinniert, Eingebürgerte mit Doppelpass aus dem Land zu werfen, wirbt ihre Schatzmeisterin Julia Klöckner im Netz mit folgendem Spruch um Stimmen: „Für das, was ihr wollt, müsst ihr nicht die AfD wählen. Dafür gibt es … die CDU.“ Das ist kein Scherz! An die CSUkunft will man da gar nicht mehr denken. Meinung
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Paradoxon Wie Deutschland Syrer zum Bleiben zwingt
- Söder will Asyl-Aus CSU verschärft Ton in der Migrationspolitik
- Inder verdienen mehr als Deutsche Lohn-Studie legt Gehälter von Migranten offen
- Diskriminierung Ohne deutschen Pass kein Zutritt? – Besucher kritisiert Club
- Fast drei Jahre Krieg Ukrainer in Deutschland sorgen sich um ihre Verwandten
- Dauerperspektive oder Ausreise? Habeck über Syrer: Wer nicht arbeitet, wird gehen müssen