Weniger Mittelmeer, mehr Atlantik
Flüchtlinge nehmen andere Routen – tausende Tote
Die Flüchtlingsrouten Richtung Europa haben sich im vergangenen Jahr geändert. Die Zahl der Geflüchteten im Mittelmeer ist rückläufig, im Atlantik steigt sie. Insgesamt verzeichnet Frontex einen Rückgang in der EU. Gleich bleibt: Wieder gibt es tausende Tote.
Dienstag, 14.01.2025, 10:50 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 14.01.2025, 17:45 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Bei den Ankünften von Geflüchteten wurde auf den Kanaren im vergangenen Jahr erneut ein Höchstwert verzeichnet. Im spanischen Atlantik-Archipel kamen knapp 48.000 Migranten an, wie das Innenministerium in Madrid mitteilte. Der dort erst im Jahr 2023 verzeichnete Rekord sei 2024 um 17,4 Prozent übertroffen worden. Damit machten die Geflüchtete auf den Kanaren rund drei Viertel dieser Ankünfte in Spanien aus. Insgesamt kamen 2024 fast 64.000 Menschen an – ein Plus von 12,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
In Italien hingegen sind im selben Zeitraum deutlich weniger Geflüchtete übers Mittelmeer angekommen als in den Vorjahren. Nach Angaben des Innenministeriums in Rom wurden 2024 genau 66.317 Neuankömmlinge gezählt. In den beiden Jahren zuvor waren dies noch mehr als 157.000 (2023) beziehungsweise mehr als 105.000 (2022). Ministerpräsidentin Giorgia Meloni war vor zwei Jahren mit dem Versprechen an die Regierung gekommen, die Flüchtlingszahlen deutlich zu senken. Ihre Koalition aus drei rechten und konservativen Parteien fährt seither einen harten Kurs.
Frontex: Zahlen EU-weit rückläufig
Der Rückgang in Italien wirkt sich der EU-Grenzschutzagentur Frontex zufolge auf die Gesamtzahl der Flüchtlingszahlen innerhalb Europas aus. Der Behörde zufolge gab es insgesamt 239.000 „irreguläre Grenzübertritte“, 146.000 weniger als 2023. Das entspreche einem Rückgang von 38 Prozent. Damit liegen die Werte nach einem stetigen Anstieg erstmals wieder auf dem Niveau von 2021, als noch die Corona-Pandemie das Reisen einschränkte.
Mit „irregulär“ sind Grenzübertritte von Menschen gemeint, die mangels legaler Fluchtwege Grenzen ohne gültige Einreisedokumente passieren, um das Recht auf Asyl in Anspruch zu nehmen. Da das Asylrecht international anerkannt und verbrieft ist, sind solche Grenzübertritte entgegen der offiziellen, irreführenden Bezeichnung nicht irregulär.
Ein Grund für den Rückgang dürften nach Frontex-Angaben neue EU-Abkommen mit Ländern wie Tunesien sein, mit denen Menschen abgehalten werden sollen, Richtung Europa zu flüchten. Abkommen mit anderen nordafrikanischen Staaten sollen folgen. Die meisten Asylbewerber, die 2024 in Italien eintrafen, kamen nach Angaben des Innenministeriums aus den Ländern Bangladesch, Syrien, Tunesien und Ägypten.
Tausende Tote im Mittelmeer und Atlantik
Bei der Überfahrt nach Europa kamen auch im vergangenen Jahr Tausende Menschen ums Leben. Nach jüngsten Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) ertranken im Mittelmeer mehr als 2.200 Flüchtlinge oder wurden als vermisst gemeldet. Befürchtet wird, dass die tatsächlichen Zahlen noch höher liegen.
Auch der Seeweg von Westafrika zu den Kanaren gilt als eine der gefährlichsten Fluchtrouten der Welt. Nach Angaben der angesehenen und in Afrika gut vernetzten spanischen Hilfsorganisation „Caminando Fronteras“ sind 2024 mindestens 9.757 Menschen beim Versuch gestorben, die Kanaren zu erreichen. Die Zahl des Hilfswerks für 2024 sind vierzehnmal so hoch wie jene der UN-Organisation für Migration (IOM), die mindestens 696 Todesfälle dokumentierte. „Caminando Fronteras“ erklärt dazu, ihre Daten würden stets mit Informationen von amtlichen Stellen und weiteren Quellen abgeglichen. Die IOM wiederum räumt ein, dass ihre Angaben „wahrscheinlich eine deutliche Unterschätzung der tatsächlichen Zahl“ darstellen.
Tote auch im Ärmelkanal
Tote gab es im vergangenen Jahr auch auf der Meerenge zwischen Frankreich und Großbritannien. 53 Menschen starben bei der gefährlichen Überfahrt im vergangenen Jahr – das tödlichste Jahr an der Meerenge, wie die Nachrichtenagentur PA meldete. Insgesamt sollen 36.800 Menschen in kleinen Booten den Ärmelkanal überquert haben. Das ist ein Viertel mehr als im Vorjahr.
Die Zahl der Bootsflüchtlinge am Ärmelkanal ist immer wieder Thema zwischen dem britischen Premier Keir Starmer und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Ende vergangener Woche vereinbarten die beiden Staatschefs einen stärkeren Kampf gegen Schleuserkriminalität. (dpa/epd/mig) Aktuell Panorama
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