C the Nazis
Europas Kulturhauptstadt Chemnitz ignoriert Rechtsextremismus
Während Chemnitz sich auf die Eröffnung des europäischen Kulturhauptstadtjahres vorbereitet, melden Neonazis eine Demo an. Ein Bündnis wirft der Stadt vor, rechte Strukturen zu ignorieren. Es werde weggeschaut.
Donnerstag, 16.01.2025, 15:08 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 16.01.2025, 21:38 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Mit einem ganztägigen Programm startet Chemnitz am Samstag in das europäische Kulturhauptstadtjahr 2025. Parallel zu den Feierlichkeiten sind mehrere Demonstrationen angemeldet, darunter eine der rechtsextremistischen Kleinstpartei „Freie Sachsen“, die gegen die Kulturhauptstadt protestieren will.
Aktuell lägen vier Anmeldungen vor, sagte Stadtsprecher Matthias Nowak dem „Evangelischen Pressedienst“ am Mittwoch in Chemnitz. Zunächst war von fünf Versammlungen die Rede. Die Initiative „Aufstehen gegen Rassismus“ habe ihre Anmeldung jedoch zurückgezogen, sagte Nowak.
Stadt ignoriert rechte Strukturen
Dagegen hält das Bündnis „Chemnitz Nazifrei“ an seinem geplanten Protest fest. Das Bündnis will nach eigenen Angaben das Motto der Kulturhauptstadt aufnehmen und unter dem Titel „C the Unseen: Rechte Kontinuitäten brechen“ auf die Straße gehen. „Wir lassen nicht zu, dass Rechtsextreme diesen Tag für ihre Hetze nutzen“, hieß es.
Zudem wolle das Bündnis, dass die europäische Kulturhauptstadt nicht nur „eine oberflächliche Bühne, sondern auch ein Raum der Auseinandersetzung“ sei. Die Stadt wolle sich „im Glanz der kulturellen Vielfalt“ präsentieren, ignoriere jedoch „ein zentrales Problem: die rechten Strukturen in Chemnitz“.
Es wird „weggeschaut“.
Der Titel Kulturhauptstadt sei an Chemnitz vergeben worden, weil die Stadt sich öffentlich mit diesen Herausforderungen und den rechtsextremen Ausschreitungen 2018 auseinandersetzen wollte, erklärte „Chemnitz Nazifrei“ weiter. In dieser Verantwortung stehe die Kulturhauptstadt. Jedoch würden Probleme mit rechtsextremistischen Aktivitäten nicht bearbeitet, es werde „vielmehr weggeschaut“.
In die gleiche Richtung geht auch die Kritik von Sören Uhle. Vor etwa zehn Jahren hatte er als damaliger Stadtmarketingchef die Bewerbung für die Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 mit auf den Weg gebracht. Mit ihrer Bewerbung habe die Stadt damals Mut bewiesen und keinen Hehl aus ihren Wunden gemacht. Im Gegenteil: Sie wurden der Bewerbung vorangestellt. So etwa die Bilder vom Spätsommer 2018, als Chemnitz international wegen rechtsextremer Exzesse für Negativschlagzeilen sorgte. Doch von der Aufbruchstimmung sei nicht mehr viel übrig, urteilt Uhle.
Rechtsextremismus kommt zu kurz
Gemeinsam mit Boris Kaiser gestaltet er wöchentlich den Podcast „Chemnitz be like“ zum Umgang mit und den Folgen der rechtsradikalen Ausschreitungen in Chemnitz 2018. Damals war es nach einem tödlichen Messerangriff am Rande eines Stadtfestes zu tagelangen rechtsextremen Aufmärschen gekommen, Augenzeugen sprachen von „Neonazi-Hetzjagd“. Außerdem lebten Mitglieder des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) eine Zeit lang unbehelligt in Chemnitz. Uhle ist überzeugt, dass ohne Aufarbeitung keine Zukunft gestaltet werden kann.
„Die Bewerbung aus Chemnitz ist sehr bodenständig, sie wollte nie Hochglanz sein“, urteilt Uhle. Doch das angestrebte hohe Maß an Bürgerbeteiligung habe sich inzwischen minimiert. Dass zudem das Thema Rechtsextremismus in Chemnitz nicht mit der notwendigen Aufmerksamkeit aufgegriffen werde, „kann nur schiefgehen“, sagt Uhle.
Zehntausende Menschen erwartet
Chemnitz präsentiert sich als Europas Kulturhauptstadt 2025 unter der Überschrift „C the unseen“. Das Ungesehene und Unentdeckte soll in rund 150 Projekten mit etwa 1.000 Veranstaltungen sichtbar werden. Viel Wert wird dabei auf die Beteiligung von Menschen aus der Region gelegt. Das Gesamtbudget beträgt mehr als 90 Millionen Euro.
Zu den Eröffnungsveranstaltungen der europäischen Kulturhauptstadt 2025 werden am Wochenende in Chemnitz mehrere Zehntausend Menschen erwartet. An einem Festakt am Samstag in der Oper werden unter anderem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth (Grüne), teilnehmen.
Geplant ist ein ganztägiges Programm an mehreren Orten im Stadtgebiet. Höhepunkt ist eine abendliche Open-Air-Show am Karl-Marx-Monument. Zudem soll eine historische Dampflokomotive von rund 120 Menschen durch die Innenstadt gezogen werden. Die Aktion soll an den einstigen Industriestandort erinnern. (epd/dpa/mig) Leitartikel Panorama
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