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Privatjet (Symbolfoto) © jemafg @ pixabay.com (Lizenz), bearb. MiG

EU-Flüchtlingspolitik

Gesuchter libyscher General. Verhaftung. Freilassung. Vertuschung?

Ein libyscher General, gesucht per Haftbefehl wegen Missbrauch von Geflüchteten, wurde in Italien festgenommen. Anstatt ihn der Justiz zuzuführen, wurde er freigelassen. Wurde ein Prozess gegen ihn politisch verhindert? Welche Rolle spielt die EU-Flüchtlingspolitik?

Von Donnerstag, 23.01.2025, 16:42 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 23.01.2025, 16:47 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Der libysche General Njeem Osama Elmasry, auch unter dem Namen Osama Najim bekannt, wurde am vergangenen Sonntag, 19. Januar 2025 in Turin festgenommen. Gegen ihn liegt ein internationaler Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Unter anderem soll er für Menschenhandel, Folter und Missbrauch von Geflüchteten in Libyen verantwortlich sein. Einen Tag später wurde Elmasry bereits wieder freigelassen und nach Libyen ausgeflogen – der Grund dafür ist nach der offiziellen Erklärung Formfehler während der Verhaftung. Es gibt aber Widersprüche, die auf ein politisch motiviertes Vorgehen hinweisen.

Wer ist Elmasry und was wird ihm vogeworfen?

Elmasry ist der ehemalige Leiter von mehreren Gefängnissen und Haftlagern in und um die libysche Hauptstadt Tripolis. Die Inhaftierten in diesen Gefängnissen sind zumeist Menschen auf der Flucht, die in Libyen willkürlich verhaftet und nur gegen Lösegeld wieder freigelassen werden. Als Chef der Kriminalpolizei steht er der libyschen Regierung der Nationalen Einheit nahe. Er gehörte außerdem der berüchtigten Special Deterrence Force (RADA) an, einer radikalen Militäreinheit, die während des libyschen Bürgerkriegs zur Verbrechensbekämpfung gegründet wurde.

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Laut einer Pressemitteilung des Internationalen Strafgerichtshofs vom 22. Januar 2025, besteht ein Haftbefehl gegen den General für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, die in den Gefängnissen unter seiner Kontrolle seit 2015 verübt wurden. Zu den Vorwürfen gegen ihn zählen Mord, Folter, Vergewaltigung und sexuelle Gewalt. Es gibt weiterhin Berichte über Zwangsarbeit unter Sklaverei-ähnlichen Zuständen. Zudem ist aktuell eine Untersuchung über Elmasrys Mitverantwortung für Massengräber, die 2020 in Tarhuna entdeckt wurden, noch offen.

Wie kam es zu der Verhaftung?

Es ist bislang noch unklar, warum sich General Elmasry in Italien aufhielt. Klar ist, dass er sich trotz des internationalen Haftbefehls gegen ihn unbehelligt durch mehrere europäische Länder bewegte. Laut Informationen der Zeitung Avvenire hielt er sich dabei auch kurzzeitig in Deutschland auf. Der Internationale Strafgerichtshof informierte die zuständigen Behörden dieser Staaten über die Bewegungen Elmasrys und so kam es am vergangenen Sonntag, den 19. Januar 2025, in einem Hotel in Turin zu seiner Festnahme durch die italienische Polizei. Er hatte soll dort gemeinsam mit anderen Libyern ein Fußballspiel besucht haben.

Nach nur einer Nacht in der Gefängniszelle wurde Elmasry allerdings schon wieder freigelassen und zu einem bereitgestellten Flugzeug der italienischen Regierung gebracht, das ihn direkt nach Tripolis ausflog. Videos auf Social Media zeigen, wie der General bei seiner Ankunft in Tripolis lachend aus dem italienischen Regierungsflugzeug steigt und von einer jubelnden Menschenmenge als Held gefeiert wird. Zwischen seiner Verhaftung in Turin und der Ankunft in Tripolis lagen gerade einmal 40 Stunden.

Grund für die Freilassung ist nach offizieller Darstellung ein Verfahrensfehler während der Verhaftung: Im Falle von internationalen Haftbefehlen wie diesem muss der italienische Justizminister vor der Verhaftung über die Generalstaatsanwaltschaft und eine Gerichtsentscheidung das Einverständnis für das Verfahren einholen. Dies ist offenbar nicht rechtzeitig vor der Verhaftung geschehen. Aufgrund dieses Versäumnisses des Justizministers Carlo Nordio wurde die Verhaftung als ungültig erklärt und Elmasry wieder freigelassen – soweit die offizielle Erklärung.

Politische Interessen

Inzwischen sind allerdings Details aufgetaucht, die eine andere Erklärung der Ereignisse nahelegen. So berichtet beispielsweise die italienische Zeitung La Stampa, dass das Flugzeug, das Elmasry wieder nach Libyen brachte, bereits vor der Entscheidung über die Freilassung bereitgestellt worden war. Die Anwalts-Gruppe ASGI weist in einer Pressemitteilung auf schwere Fehler des Justizministers Carlo Nordio hin, der am 21. Januar in einer irritierenden Äußerung mitteilte, er erwäge eine Weiterleitung des Falles an die Generalstaatsanwaltschaft. ASGI unterstellt der Regierung politische Interessen für die Freilassung von Elmasry.

Der Journalist Nello Scavo zeigt sich gegenüber dem Guardian wenig überrascht. In einem Prozess gegen Elmasry würde aufgedeckt werden, wie eng Italien, Malta und die EU mit Menschenhändlern und Kriegsverbrechern in Libyen zusammenarbeite. In seinem Buch „Le Mani Sulla Guardia Costiera“ beschrieb er bereits 2023 den General als mächtige Person, die in der Lage sei, Europa zu erpressen, indem er Kontrolle darüber ausübe, wie viele Flüchtlingsboote aus Libyen in Richtung Italien ablegen.

Abkommen zwischen Italien und Libyen sollen die Überfahrt von Geflüchteten über das Mittelmeer verhindern – sie werden immer wieder von Menschenrechtsorganisationen heftig kritisiert, da Flüchtende auf diese Weise immer wieder in die Hände von Menschenhändlern und Folterern wie Elmasry geraten. Die explizit migrationsfeindliche rechte Regierung Italiens hat also ein Interesse daran, möglichst wenig Aufmerksamkeit auf die Haftanstalten wie die unter der Kontrolle Elmasrys zu lenken.

Außerdem liegt die Vermutung nahe, dass die libysche Regierung in einer Art Vergeltungsaktion und um Italien unter Druck zu setzen, einen Anstieg der Überfahrten über das Mittelmeer gestatten könnte, wie die Zeitung Avvenire vermutet. Die italienische Regierung schweigt bisher zu dem Vorfall und den gegen sie erhobenen Vorwürfen.

Empörte Reaktionen

Überlebende libyscher Folterlager, die inzwischen in Europa leben, zeigen sich fassungslos, schockiert und wütend über das Vorgehen. „Seine Freilassung und schnelle Rückführung nach Libyen waren nicht nur ein Versagen der Justiz, sondern bedeuten eine Mittäterschaft“, heißt es in einem Kommentar der Organisation Refugees in Libya. Lam Magok Biel Ruei, ein Geflüchteter aus dem Südsudan, der heute in Italien lebt, berichtet in der Zeitung La Repubblica von seinen eigenen Erfahrungen als Opfer von Folter und Gewalt in Elmasrys Gefängnissen. Er erhebt schwere Vorwürfe gegen die italienische Regierung und fordert Aufklärung: „Präsidentin Meloni, wie ist es möglich, dass ein blutrünstiger Verbrecher und Mörder zurück nach Libyen gebracht wurde?“

Menschenrechtsorganisationen reagieren empört auf den Vorfall, so nannte Amnesty International in Italien Elmasrys Freilassung „skandalös“. Die Tatsache, dass es überhaupt einen internationalen Haftbefehl gegen Elmasry gebe, sei auf die jahrelange schmerzhafte Arbeit der Dokumentation und Sammlung von Zeugenaussagen über Misshandlung und Folter von Überlebenden zurückzuführen, so die Organisation Mediterranea Saving Humans. Auch die italienische Opposition reagierte mit deutlicher Kritik und verlangte eine Aufarbeitung, insbesondere von dem Justizminister Nordio.

Konsequenzen des Vorfalls

Wie lässt sich dieser Vorfall einordnen? Die Rolle des Internationalen Strafgerichtshofes wurde durch das Vorgehen der italienischen Regierung empfindlich untergraben und der Kampf gegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf einem globalen Level geschwächt. Klar ist, hier wurde eine Chance verpasst, Elmasry für schwerste Verbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft zu ziehen. Ein Prozess gegen ihn hätte neue Einblicke in das Gewaltregime in Libyen und die europäischen Verstrickungen darin versprechen können.

Stattdessen wurde er zurück nach Libyen geschickt und wird aller Voraussicht nach weiterhin zu dem System von Haftlagern, Folter, Zwangsarbeit, und Menschenhandel beitragen. Darüber hinaus sendet seine Freilassung ein Signal an andere Kriegsverbrecher und Milizen in Libyen, dass sie kaum Konsequenzen für ihre Verbrechen zu befürchten haben. Viele Opfer leiden auch heute unter der Gewalt von Elmasry – manche von ihnen, wie Lam Magok Biel Ruei, leben inzwischen in Europa, andere sitzen weiterhin in libyschen Lagern fest, und wieder andere haben in dieser Gewaltmaschinerie ihr Leben verloren. Wie viele Todesopfer auf Elmasry zurückgehen, wird nun wohl nie aufgeklärt werden. (mig) Aktuell Panorama

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