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Wahlkampf-Plakate (Archiv) © Kirill Kudryavtsev/AFP

Hält die Brandmauer?

Merz legt Anträge für schärfere Migrationspolitik vor – egal wer zustimmt

Unionskanzlerkandidat Merz strebt eine schärfere Flüchtlingspolitik an – gegebenenfalls auch mit den Stimmen der AfD. Ankündigungen folgen nun über 30 Forderungen in Anträgen. Regierung plant erneute Abschiebung nach Afghanistan. Wie geht es weiter?

Von und Sonntag, 26.01.2025, 16:43 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 26.01.2025, 16:54 Uhr Lesedauer: 9 Minuten  |  

Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz strebt nach eigenem Bekunden eine Einigung mit den früheren Ampel-Parteien über eine Verschärfung der Migrationspolitik an – die „Brandmauer“ zur AfD stehe. In einem Bundestags-Antrag zur Umsetzung eines Fünf-Punkte-Plans grenzt sich die Union von der AfD ab: „Die AfD nutzt Probleme, Sorgen und Ängste, die durch die massenhafte illegale Migration entstanden sind, um Fremdenfeindlichkeit zu schüren und Verschwörungstheorien in Umlauf zu bringen.“ Die AfD sei kein Partner, sondern politischer Gegner. Die AfD dürfte wegen der Formulierungen dem Antrag der Union wohl kaum zustimmen können.

Merz schrieb in seinem E-Mail-Newsletter „MerzMail“: „Mit der AfD haben und wollen wir keine Mehrheit.“ Es solle nicht der Eindruck erweckt werden, als ob das so wäre. SPD und Grüne zweifeln aber daran, dass Merz die „Brandmauer“ aufrechterhält. „Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass die Fraktionen der ehemaligen Ampel jetzt endlich zur Besinnung kommen“, heißt es in der „MerzMail“ weiter.

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Aus Sicht von SPD und Grünen verstoßen seine Pläne jedoch gegen Europarecht und Verfassungsrecht. Ob die Anträge eine Mehrheit finden, ist also mehr als unklar. In den Anträgen wird die Bundesregierung aufgefordert, unverzüglich Maßnahmen umzusetzen. Selbst ein Mehrheitsbeschluss wäre aber kurz vor dem Ende der Legislaturperiode nicht mehr als ein politisches Signal. Merz kündigte allerdings auch einen Gesetzentwurf an. „Unsere Anträge richten sich an alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages, vor allem an die Abgeordneten der SPD, der Grünen und der FDP“, betonte Merz.

Scharfe Kritik an Merz

Merz hatte nach der Messerattacke von Aschaffenburg mit zwei Toten bereits angekündigt, in der anstehenden Woche in den Bundestag Anträge zur Migration einzubringen. „Und wir werden sie einbringen, unabhängig davon, wer ihnen zustimmt“, hatte Merz betont. SPD und Grüne zweifeln nun an der Verlässlichkeit von Merz, die Brandmauer zur AfD aufrechtzuerhalten.

Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck rief beim Grünen-Parteitag in Berlin zur Zusammenarbeit der demokratischen Parteien auf. „Einigungsfähigkeit heißt aber nicht Kompromisslosigkeit, heißt nicht „friss oder stirb“, heißt nicht „Entweder stimmt ihr zu, oder ich stimme mit Rechtsradikalen“. Das ist nicht Mitte, das ist Ideologie“, rief der Wirtschaftsminister. Habeck warf Merz vor, eine Mehrheit im Bundestag mit der Hilfe der AfD erzielen zu wollen.

SPD sieht „Erpressungsversuch“

SPD-Chefin Saskia Esken warf Merz einen „Erpressungsversuch“ vor, wie sie bei einer SPD-Wahlkampfveranstaltung in Wiesbaden sagte. Mit Blick auf die AfD sagte Esken: „Die Brandmauer von Friedrich Merz, sie ist aus Papier gebaut, und sie brennt lichterloh.“ Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der am Mittwoch eine Regierungserklärung zu den Konsequenzen aus der jüngsten Messerattacke abgeben will, sagte am Samstag auf mehreren Wahlveranstaltungen, Merz‘ Pläne seien mit Grundgesetz und europäischen Verträgen nicht vereinbar. Scholz warnte in Wiesbaden: „Es darf keine Zusammenarbeit mit extremen rechten Parteien in Deutschland geben.“

SPD-Chef Lars Klingbeil sagte der „Rheinischen Post“: „Richtschnur für das Handeln der SPD werden immer das Grundgesetz und die Europäischen Verträge sein.“ Merz nehme in Kauf, gemeinsame Sache mit der AfD zu machen. „Er wirft damit die bisherigen Prinzipien der Union gegenüber der AfD über den Haufen, spaltet die demokratische Mitte unseres Landes und stößt unsere europäischen Partner vor den Kopf. Das wird die Politik in unserem Land dauerhaft verändern.“

Was in den Unions-Anträgen steht

„Die aktuelle Asyl- und Einwanderungspolitik gefährdet die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger und das Vertrauen der gesamten Gesellschaft in den Staat“, heißt es im Unions-Antrag zur Umsetzung des Fünf-Punkte-Plans. Die Politik der vergangenen Jahre habe es versäumt, Kontrolle über die Migration zurückzugewinnen und zu erhalten.

Konkret fordert die Union dauerhafte Grenzkontrollen und die Zurückweisung ausnahmslos aller Versuche einer illegalen Einreise. Es gelte ein faktisches Einreiseverbot für Personen, die keine gültigen Einreisedokumente haben und die nicht unter die europäische Freizügigkeit fallen. „Diese werden konsequent an der Grenze zurückgewiesen. Dies gilt unabhängig davon, ob sie ein Schutzgesuch äußern oder nicht. In unseren europäischen Nachbarstaaten sind sie bereits sicher vor Verfolgung, einer Einreise nach Deutschland bedarf es somit nicht“, heißt es in dem Antragsentwurf.

„Außergewöhnliche Notlage“?

Zu den fünf Punkten, die unverzüglich umgesetzt werden sollen, zählt ferner, dass nachvollziehbar ausreisepflichtige Personen „unmittelbar in Haft genommen werden“. Die Bundesländer sollen zudem mehr Unterstützung beim Vollzug der Ausreisepflicht erhalten. Zudem soll das Aufenthaltsrecht für Straftäter und sogenannte Gefährder verschärft werden.

Im Unions-Antrag heißt es weiter, es sei die Pflicht Deutschlands und damit der Bundesregierung, nationales Recht vorrangig anzuwenden, wenn europäische Regelungen nicht funktionierten – so wie es in den europäischen Verträgen für „außergewöhnliche Notlagen“ vorgesehen sei.

Anti-AfD-Passus

Die Bekämpfung von illegaler Migration solle „Populisten ihre politische Arbeitsgrundlage“ entziehen, heißt es weiter. Ausdrücklich nimmt die Union hier Bezug auf die AfD. Die AfD wolle, dass Deutschland aus EU und Euro austrete und sich stattdessen der Eurasischen Wirtschaftsunion zuwendet. „All das gefährdet Deutschlands Stabilität, Sicherheit und Wohlstand.“ Merz betonte in dem Boulevardblatt „Bild“: „Es wird keine Zusammenarbeit mit der AfD geben. Darauf können sich alle verlassen.“

SPD, Grüne und FDP hätten die Texte erhalten, schrieb Merz auf X. „Die AfD bekommt diese Texte nicht“, betonte er. „Wir können uns über das Wochenende miteinander verständigen, wie wir nächste Woche abstimmen. Spätestens nach Aschaffenburg gibt es keine Taktiererei und keine Spielchen mehr. Jetzt muss entschieden werden.“ Die AfD reagierte empört.

Wagenknecht und FDP gehen CDU-Anträge nicht weit genug

BSW-Chefin Sahra Wagenknecht gehen die Unions-Vorschläge zur Verschärfung der Migrationspolitik nicht weit genug. „Wir werden zustimmen, aber die Merz-Anträge sind teilweise bloße Symbolik und werden das Problem nicht lösen“, sagte die Vorsitzende der Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). „Wer den Menschen weismacht, dass wir unsere Grenzen komplett kontrollieren können, macht ihnen etwas vor.“

Die FDP-Fraktion bewertet die Vorschläge der Union für eine schärfere Migrationspolitik positiv. „Die Union hat viele kluge Vorschläge gemacht, die unsere Fraktion gerade eingehend prüft“, sagte Fraktionschef Christian Dürr den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Die FDP will aber noch darüber hinausgehen, denn eine entscheidende Maßnahme fehlt aus unserer Sicht: Die Länder, die ihre Staatsbürger nicht zurücknehmen, dürfen keine Entwicklungshilfe mehr bekommen“, so Dürr. Darüber wolle man mit der Union sprechen.

Angriff von Aschaffenburg befeuerte Migrationsdebatte neu

Die Messerattacke von Aschaffenburg hatte die Migrationsdebatte in Deutschland rund einen Monat vor der Bundestagswahl neu in den Fokus gerückt. In Aschaffenburg waren am Mittwoch ein zweijähriger Junge und ein Mann getötet sowie zwei weitere Menschen schwer verletzt worden. Als Täter festgenommen wurde ein 28-jähriger ausreisepflichtiger Afghane. In dem Antragsentwurf der Unionsfraktion ist von einer „neuen Dimension der Gewalt“ die Rede, die Deutschland zunehmend erschüttere. Verwiesen wird auch auf die Anschläge von Mannheim, Solingen und Magdeburg.

Nach der Messerattacke von Solingen im August hatte Merz bereits ähnliche Vorschläge für eine schärfere Migrationspolitik gemacht. Er erklärte dann aber Gespräche mit der damaligen Ampel-Regierung für gescheitert.

Union will innere Sicherheit stärken

In einem zweiten Antragsentwurf listet die Union weitere Forderungen für einen „Politikwechsel bei der inneren Sicherheit“ auf. Verlangt werden 27 Punkte, etwa Mindestspeicherfristen für IP-Adressen, mehr technische Befugnisse für Ermittler etwa zur elektronischen Gesichtserkennung, einen verbesserten Datenaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden, eine Stärkung der Nachrichtendienste sowie härtere Strafen für Angriffe auf Polizisten, Rettungskräfte und Helfer. Angesichts der zunehmenden Gewalt sollen gefährliche Körperverletzungen mittels einer Waffe oder Messers künftig als Verbrechen geahndet werden. Die Union plant zudem Bundesausreisezentren und will auch nach Afghanistan und Syrien abschieben.

Auch in diesem Antrag grenzt sich die Union von der AfD ab, darin heißt es: „Von extrem rechter und extrem linker Seite wird pauschal Stimmung gegen Ausländer gemacht, zum Beispiel mit dem mit unserer Verfassung nicht vereinbaren Konzept einer ‚Remigration‘.“

Regierung plant erneute Abschiebung nach Afghanistan

Die Bundesregierung reagierte auf Aschaffenburg und die darauf folgende Debatte mit der Ankündigung einer Abschiebung von schweren Straftätern nach Afghanistan – rund fünf Monate nach dem ersten Ausweisungsflug in das von den Taliban regierte Land. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte: „Wir arbeiten intensiv daran, weitere Straftäter nach Afghanistan abzuschieben.“ Die zweite Abschiebung von Straftätern nach Afghanistan solle „schnellstmöglich“ erfolgen, hieß es aus dem Ministerium weiter.

Medienberichten zufolge soll der Flug spätestens kurz vor der für den 23. Februar angesetzten, vorgezogenen Bundestagswahl starten. Der Bund habe dem Freistaat Bayern eine „Sammelmaßnahme“ nach Afghanistan „im Laufe der nächsten sechs Wochen (bis 22.2.2025)“ bestätigt. Diese Darstellung wies das Ministerium allerdings zurück: Weitere Abschiebemaßnahmen nach Afghanistan stünden „in keinerlei Zusammenhang“ mit dem genannten Datum: Dies entspreche nicht der Haltung des Ministeriums.

Vielmehr würden die Abschiebemaßnahmen „durchgeführt, sobald alle rechtlichen, tatsächlichen und logistischen Voraussetzungen dafür gegeben sind“. Dies hänge insbesondere bei Afghanistan von einer Vielzahl von äußeren Faktoren wie beispielsweise der Kooperation mit Drittstaaten oder Fluggenehmigungen ab.

Flüchtlingsrat sieht bei Politikern Wahlkampfinteressen

Aus Sicht des Bayerischen Flüchtlingsrates instrumentalisieren führende Politiker die Gewalttat von Aschaffenburg für ihre Wahlkampfinteressen. Der Flüchtlingsrat kritisierte das scharf. „Politische Versprechen vom Kanzlerkandidaten Merz (CDU) wie „Grenzen zu für Geflüchtete“„ nannte der Flüchtlingsrat „die faktische Abschaffung des Asylrechts“. Das sei keine Lösung. Es brauche sofortige realistische Konsequenzen der Politik. Diese seien jedoch andere, hieß es. „Nur eine frühzeitige Diagnostik und angemessene psychiatrische und psychosoziale Versorgung können Attentaten wie diesen in Aschaffenburg vorbeugen“, sagte die Sprecherin des Flüchtlingsrates, Jana Weidhaase. „Die Unterbringung von psychisch kranken Personen in Flüchtlingsunterkünften ist ein großer Risikofaktor für Gewalttaten“, teilte der Flüchtlingsrat mit.

„Auch wenn das Recht auf Asyl abgeschafft wäre und alle abgelehnten Asylsuchenden abgeschoben wären, würden Gewalttaten weiterhin passieren“, hieß es in der Mitteilung weiter. Und: „Gewalt als Reaktion auf Stress oder als Symptom psychischer Erkrankungen ist vor allem männlich. Auch nicht-geflüchtete Männer verüben Gewalttaten, im privaten wie im öffentlichen Raum.“ Bei Flüchtlingen gebe es darüber hinaus weitere Risikofaktoren wie unbehandelte Traumata, die Unterbringung in großen Lagern, Arbeitsverbote und Isolation. (dpa/epd/mig) Leitartikel Politik

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