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Junger Mann (Symbolfoto) © 1388843 @ pixabay.com (Lizenz), bearb. MiG

Psychologe kritisiert Asyldebatte

„Problem der psychischen Erkrankungen ein Stück weit hausgemacht“

Der Messerangriff in Aschaffenburg hat eine weitere Asyldebatte angestoßen. Psychologe Schiefer erklärt im Gespräch, warum sie kontraproduktiv ist, welche Rolle Medien dabei spielen und welche Faktoren solche Gewalttaten begünstigen.

Von Sonntag, 26.01.2025, 13:01 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 26.01.2025, 15:08 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Der Psychologe David Schiefer vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) kritisiert die Muster migrationspolitischer Debatten, die sich nach Gewalttaten von Migranten wie in Aschaffenburg wiederholen. Sie seien kontraproduktiv, weil Verschärfungen im Asylrecht den psychischen Druck auf Menschen erhöhten, sagte Schiefer im Gespräch. Das sei allein noch kein hinreichender Auslöser für Gewalt, trage aber dazu bei. Es sei aber möglich, durch andere Maßnahmen die Zahl solcher Taten zu senken.

Herr Schiefer, häuft sich die Zahl der Messerangriffe durch Migranten oder täuscht dieser Eindruck?

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David Schiefer: Es gibt kaum aussagekräftige Statistiken dazu. Was sich aber feststellen lässt: Wenn es um Taten geht, bei denen Personen mit Migrationsgeschichte involviert sind, dann ist die Medienberichterstattung deutlich höher als bei Personen ohne Migrationsgeschichte. Das führt dazu, dass die Assoziation von Migration und Gewalt bei den Menschen viel präsenter ist. Wir sprechen in der Psychologie hier von Verfügbarkeitskeitsheuristik. Das bedeutet: Menschen halten Dinge für wahrscheinlicher, von denen sie oft hören. Und das wird derzeit in der Politik instrumentalisiert.

Sie sprechen von einer Überrepräsentanz im Bewusstsein der Menschen. Aber kann man davon ausgehen, dass Migranten bei solchen Angriffen wie dem von Aschaffenburg tatsächlich überrepräsentiert sind? Denn es ist ja belegt, dass psychische Störungen bei ihnen häufiger sind als bei der Durchschnittsbevölkerung.

„Wenn es um Taten geht, bei denen Personen mit Migrationsgeschichte involviert sind, dann ist die Medienberichterstattung deutlich höher als bei Personen ohne Migrationsgeschichte.“

Die Zahlen zu psychischen Belastungen bei Geflüchteten sind sehr unterschiedlich. Das hat damit zu tun, dass psychische Gesundheit in Studien unterschiedlich definiert wird und unterschiedliche Aspekte davon untersucht werden. Was man aber unumstritten sagen kann, ist, dass das allgemeine psychische Belastungsniveau unter Geflüchteten höher ist als im Durchschnitt.

Woran liegt das?

Das hat nichts mit ihrer Herkunft an sich zu tun, sondern liegt an Erfahrungen, die sie gemacht haben. Dazu gehören Erfahrungen mit Krieg und Gewalt vor und während ihrer Flucht, aber auch Erfahrungen in Deutschland. Es bedeutet auch nicht, dass Geflüchtete stärker zur Gewalt neigen. Im Gegenteil, aus der klinischen Forschung wissen wir, dass solche Erfahrungen eher zu internalisierendem Verhalten führen, also Niedergeschlagenheit, depressiven Symptomen oder Isolation. Viele Geflüchtete können die Erfahrungen aber auch sehr gut bewältigen.

Sie sprechen von Erfahrungen in Deutschland, die psychische Belastungsfaktoren sind. Welche meinen sie damit?

„Auch Geflüchtete verfolgen die Medien und bekommen mit, wie feindselig die Diskussion gerade ist. Von diesen Dingen weiß man, dass sie zu Belastungen führen können.“

Unsicherheit hinsichtlich der Bleibeperspektive, Diskriminierungen bei Behörden und in der Bevölkerung und weitere Rahmenbedingungen wie die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften. Dazu gehört aber auch der Diskurs, den wir gerade erleben. Auch Geflüchtete verfolgen die Medien und bekommen mit, wie feindselig die Diskussion gerade ist. Von diesen Dingen weiß man, dass sie zu Belastungen führen können.

In der Vergangenheit wurden die Bedingungen für Asylsuchende deutlich verschärft, auch als Reaktion auf Migrationsdebatten. Hat das die psychischen Belastungen noch einmal erhöht?

Davon kann man ausgehen. Es ist ja auch ein bisschen absurd: Geflüchtete Menschen kommen nach Deutschland, um hier Sicherheit zu finden. Gleichzeitig wird ihnen pauschal unterstellt, dass sie die Sicherheit gefährden. Und dann werden Maßnahmen ergriffen, die ihre Lebensverhältnisse schwieriger machen. Das Asylbewerberleistungsgesetz etwa beschränkt die medizinische und damit auch die psychosoziale Versorgung auf ein Minimum. Eine psychotherapeutische Regelversorgung ist also praktisch kaum möglich. Das wurde Anfang vergangenen Jahres von 18 auf 36 Monate nach Ankunft erweitert. Menschen, die wegen ihrer Erfahrungen dringend psychosoziale Hilfe benötigen, wird diese Hilfe also verwehrt. Expertinnen und Experten weisen darauf hin, dass nur etwa drei Prozent der versorgungsbedürftigen Geflüchteten in Deutschland auch eine Versorgung erhalten. Man kann also schon sagen, dass das Problem der psychischen Erkrankungen ein Stück weit hausgemacht ist.

Und erhöht das die Wahrscheinlichkeit für schwere Gewalttaten?

„Das Asylbewerberleistungsgesetz etwa beschränkt die medizinische und damit auch die psychosoziale Versorgung auf ein Minimum. Eine psychotherapeutische Regelversorgung ist also praktisch kaum möglich.“

Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit sind ganz große Belastungsfaktoren, weil sie Grundbedürfnisse der Menschen beeinträchtigen. Wie das mit dem konkreten Fall in Aschaffenburg ist, kann man nicht sagen, da liegen noch zu wenige Erkenntnisse vor. Das kann auch eine organisch bedingte psychische Störung sein. Man muss also vorsichtig mit der Behauptung sein, dass diese Tat hausgemacht war. Insgesamt kann man aber schon sagen, dass es in spezifischen Situationen wie im Leben in Gemeinschaftsunterkünften mit eingeschränkter Privatsphäre zu Konflikten, Stresserleben und physischen Auseinandersetzungen kommt. Das ist dann natürlich ein Stück weit hausgemacht durch die Art der Unterbringung und die fehlende psychosoziale Unterstützung der Menschen bei der Bewältigung ihrer Belastungen.

Haben wir also selbst mit den Asylverschärfungen die Wahrscheinlichkeit für Angriffe wie in Aschaffenburg erhöht?

Wenn man statistisch an diese Frage herangehen würde, dann ja. Aber solche spezifischen, grausamen Taten Einzelner kommen in der Regel durch verschiedene Faktoren zustande, die zusammenwirken müssen. So etwas passiert nicht einfach so. Die Bedingungen, unter denen Flüchtlinge hier leben müssen, sind einer von vielen Faktoren. In der individuellen psychischen Konstitution der Menschen und mit den Erfahrungen, die sie gemacht haben, kann das auch zu solchen Taten führen. Nicht als alleiniger Faktor, aber als Anteil.

Wenn selbstgeschaffene Faktoren zu solchen Taten beitragen, könnten wir die Zahl solcher Angriffe ja auch senken. Vorschläge dazu gibt es ja. Insgesamt betont die Politik gerade sehr stark den Sicherheitsaspekt. Der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hat ein Register für psychisch kranke Gewalttäter vorschlagen. Was ist davon zu erwarten?

Das kann im Gegenteil dazu führen, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen davor zurückschrecken, sich Hilfe zu suchen, weil sie Angst davor haben, stigmatisiert zu werden durch eine solche Registrierung. Ich denke, da braucht es andere Maßnahmen.

Welche?

„Aus der Tat von Aschaffenburg eine allgemeine Gefahr für die Sicherheit in Deutschland abzuleiten und zu unterstellen, dass Geflüchtete gefährlich sind, ist völlig unangemessen und kontraproduktiv.“

Insbesondere die psychosoziale Versorgung, die derzeit eklatant unterfinanziert ist. Wir brauchen mehr Versorgungsangebote, für Geflüchtete, aber auch für die Allgemeinbevölkerung, damit es zu solchen Straftaten gar nicht erst kommen kann. Was die Betonung des Sicherheitsaspekts angeht: Aus der Tat von Aschaffenburg eine allgemeine Gefahr für die Sicherheit in Deutschland abzuleiten und zu unterstellen, dass Geflüchtete gefährlich sind, ist völlig unangemessen und kontraproduktiv. Ausgrenzungs- und Anschuldigungserfahrungen führen dazu, dass Betroffene bezüglich ihrer Zukunft verunsichert werden. Und tatsächlich schließt sich da der Kreis: Unsicherheit führt zu psychischer Belastung, und auch wenn die Mehrzahl der Menschen darauf mit internalisierendem Verhalten reagiert, kann es die Wahrscheinlichkeit für externalisierendes Verhalten erhöhen, also für Gewalt.

Was könnten wir noch tun, um die Zahl von Gewalttaten zu senken?

Eine Menge. Arbeit hat eine stabilisierende Funktion für Menschen. Und der Zugang zu Arbeit für Geflüchtete ist schwierig, es gibt eine Reihe behördlicher Hürden, hinzu kommen Verständigungsprobleme. Wir können die Unterkunftssituation verbessern hin zu Individualunterkünften. Das schlägt natürlich einen größeren Rahmen hinsichtlich der allgemeinen Wohnungsnot. Wir brauchen hier keine spezifischen Maßnahmen für spezifische Gruppen, wie etwa Geflüchtete. Wir müssen den Diskurs der Konkurrenz um Ressourcen überwinden und uns fragen, wie wir es schaffen, allen Menschen in Deutschland eine angemessene Versorgung von Wohnraum, Gesundheit und Arbeit zu schaffen. Im aktuellen politischen Umfeld, in dem solche Fragen sofort in einen migrationsfeindlichen Sicherheitsdiskurs überführt werden, ist das allerdings äußerst schwierig. (epd/mig) Aktuell Interview Panorama

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