„Große Defizite“
Betreuung von traumatisierten Flüchtlingen reicht nicht
Die tödliche Messerattacke in Aschaffenburg hat eine Asyldebatte entfacht, diskutiert wird aber auch über die ungenügende Betreuung von Geflüchteten mit psychischen Erkrankungen. Während Experten „große Defizite“ attestieren, stochert die Politik im Dunklen.
Montag, 27.01.2025, 12:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 28.01.2025, 6:32 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Die Psychiaterin Barbara Wolff sieht bei der Versorgung von traumatisierten Flüchtlingen in Deutschland „große Defizite“. Es gebe in Deutschland bislang 48 psychosoziale Zentren für Menschen, die vor Krieg und Folter geflüchtet seien, sagte Wolff am Freitag dem WDR-Radio in Köln. Diese Zahl sei zu gering.
Nach Einschätzung von Wolff, die dem Vorstand der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer angehört, hat das „Gros der Menschen“, das nach Deutschland flüchtet, traumatische Erfahrungen gemacht. Die Quote liege bei etwa 75 bis 80 Prozent, etwa 30 Prozent der Flüchtlinge litten unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).
Ein Manko sei zudem, dass es in der psychiatrischen Behandlung von geflüchteten und traumatisierten Menschen an Dolmetschern fehle. Der Grund: Die Dolmetscher würden bei psychiatrischen Behandlungen nicht bezahlt. Um eine gute psychiatrische Behandlung zu ermöglichen, müsse man aber „mit den Menschen reden können“. Die Psychiatrien vor Ort seien „oft überfordert“, weil sie einfach nicht an die Menschen herankämen.
Flüchtlingsrat: Gewaltprävention braucht Früherkennung
Der Bayerische Flüchtlingsrat fordert eine flächendeckende und systematische Früherkennung sowie bessere Behandlungsmöglichkeiten für Geflüchtete mit psychischen Erkrankungen gefordert. „Nur eine frühzeitige Diagnostik und angemessene psychiatrische und psychosoziale Versorgung können Attentaten wie dem in Aschaffenburg vorbeugen“, erklärte Sprecherin Jana Weidhaase. Einreiseverbote für Geflüchtete zu versprechen, sei hingegen keine Lösung, sagte Weidhaase mit Blick auf Äußerungen des CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz.
Gewalt sei ein „vor allem männliches“ Symptom psychischer Erkrankungen. Viele Geflüchtete seien außerdem Stressfaktoren ausgesetzt; dazu zählten „unbehandelte Traumata, die Unterbringung in großen Lagern, Arbeitsverbote, Isolation und fehlende Teilhabechancen“, sagte Weidhaase. Deshalb müsse die EU-Aufnahmerichtlinie konsequent umgesetzt werden. Sie gebe vor, „dass vulnerable Geflüchtete nach ihrer Ankunft identifiziert werden sollen“ und ein ausreichendes Unterstützungsangebot bekämen.
Zahl der Flüchtlinge in psychiatrischer Behandlung unbekannt
Dass das kaum geschieht, zeigt ein Blick nach Berlin. Dort weiß der Senat nicht, wie viele Ausländer in Berlin, die ausreisepflichtig sind, zugleich in psychologischer oder psychiatrischer Behandlung waren oder sind. Das werde statistisch nicht erfasst, antwortete Innen-Staatssekretär Christian Hochgrebe (SPD) im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses auf eine Frage der CDU im Zusammenhang mit dem tödlichen Angriff eines wohl psychisch kranken Mannes auf eine Kindergruppe im bayerischen Aschaffenburg.
Am Mittwoch waren bei einer Messerattacke ein Kita-Kind und ein Mann mit einem Küchenmesser getötet worden. Tatverdächtig ist ein offenbar psychisch kranker 28-jähriger Afghane, der ausreisepflichtig war. Er wurde mittlerweile in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht.
Wie Hochgrebe weiter mitteilte, würden psychisch kranke Menschen nicht abgeschoben, wenn es in ihren Herkunftsländern keine Behandlungsmöglichkeiten gebe. Dann müsse in Deutschland für eine Behandlung gesorgt werden. (epd/dpa/mig) Leitartikel Panorama
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