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CDU-Chef Friedrich Merz auf dem Parteitag in Berlin, 6.5.24

Populismus

Weiter massive Kritik an Merz‘ Vorstoß

Trotz scharfer Kritik hält Unionskanzlerkandidat Merz an den Bundestagsanträgen für eine härtere Migrationspolitik fest – selbst wenn es eine Mehrheit nur mit der AfD gibt. SPD, Grüne und Linke sind empört. Sie werfen ihm Populismus vor.

Montag, 27.01.2025, 16:53 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 28.01.2025, 6:32 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

CDU-Chef Friedrich Merz fordert SPD und Grüne auf, den Unionsanträgen für eine härtere Migrationspolitik zuzustimmen, um im Parlament eine Abgrenzung von der AfD zu dokumentieren. Bei den Abstimmungen „liegt es an der SPD, an den Grünen und an der FDP, zu verhindern, dass es Mehrheiten gibt, die keiner von uns will“, sagte der Unionskanzlerkandidat nach Beratungen der Parteispitze in Berlin.

Während die FDP-Fraktion zustimmen will, werfen SPD und Grüne Merz und der Union vor, mit ihrem Vorgehen gegen Verfassung und Europarecht zu verstoßen und die AfD hoffähig zu machen. Zudem zweifeln sie an, dass der CDU-Chef die „Brandmauer“ zur AfD aufrechterhält. Merz weist die Vorwürfe strikt zurück und sieht die Anträge als dringende Konsequenz aus dem Messerangriff mit zwei Toten in Aschaffenburg in der vergangenen Woche.

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„Ich werde mit den Themen, die wir haben und die seit letzter Woche Mittwoch eine neue Dringlichkeit erfahren haben, in dieser Woche sehr konsequent durch den Deutschen Bundestag gehen“, kündigte Merz an. Die Union werde sich weder von der SPD noch von den Grünen, „ganz sicher auch nicht von der AfD, sagen lassen, welche Anträge, welche Gesetzentwürfe wir im Deutschen Bundestag zur Abstimmung stellen“, sagte Merz. „Das, was in der Sache richtig ist, wird nicht falsch dadurch, dass die Falschen zustimmen.“

Merz hält Asylverschärfungen für umsetzbar

Dauerhafte Kontrollen an allen deutschen Grenzen und deutlich mehr Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber seien praktisch umsetzbar, machte Merz deutlich. „Die deutsche Bundespolizei hat ein sicheres Gespür dafür, wen sie rauswinken muss und wen nicht.“ Der Grenzverkehr funktioniere dann weitestgehend störungsfrei. Mehr Abschiebungen ausreisepflichtiger Asylbewerber dürften nicht daran scheitern, dass es die nötige Infrastruktur nicht gebe, um sie in Gewahrsam zu nehmen.

Unterbringungsmöglichkeiten müssten so schnell wie möglich geschaffen werden. Möglich seien Containerbauten, es gebe außerdem leerstehende Kasernen. Unter anderem will die Union mit dem Antrag dauerhafte Grenzkontrollen zu allen Nachbarländern sowie ein Einreiseverbot für alle Menschen ohne gültige Einreisedokumenten durchsetzen – auch wenn sie ein Schutzgesuch äußern.

Merz nannte es unverantwortlich, dass es seit August keine Rückführungsflüge nach Afghanistan mehr gegeben habe. Angeblich plane die Bundesregierung jetzt einen für den Monat Februar. Er vermute, es wäre „gut getimt vor einem Wahltermin“ wie zuletzt vor den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen.

FDP-Spitze stellt sich an die Seite von Merz

Die FDP-Spitze unterstützt die Vorschläge von Merz. Deren Geist entspreche dem, „was wir unter einer neuen Realpolitik in der Migration verstehen, nämlich mehr Kontrolle und Ordnung“, sagte der designierte FDP-Generalsekretär Marco Buschmann nach einer Präsidiumssitzung in Berlin. „Wer sich diesem Thema verweigert, der macht die Extremisten nur groß.“ Es dürfe nicht zugelassen werden, dass die AfD mit ihrem Stimmverhalten Einfluss auf das Verhalten der anderen Parteien nehmen könne. FDP-Fraktionschef Christian Dürr kündigte die Zustimmung der FDP-Abgeordneten zum Fünf-Punkte-Plan der Unionsfraktion an.

FDP-Chef Christian Lindner hatte schon am Morgen im Deutschlandfunk Zustimmung signalisiert und gesagt: „Das ist mir sogar egal, ob die AfD dort mitstimmt.“ Es gehe um ein politisches Signal des Bundestages.

Auch BSW-Chefin Sahra Wagenknecht hat Zustimmung zu den Plänen von Merz geäußert. Ohne die AfD hätte die Union gemeinsam mit FDP und BSW aber keine Mehrheit jenseits von SPD und Grünen.

Merz‘ Kurs mach Millionen Menschen Angst

Familienministerin Lisa Paus (Grüne) sagte dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“: „Dieser Kurs von Friedrich Merz macht Millionen von Menschen in unserem Land Angst. Es muss möglich sein, für die großen Herausforderungen unseres Landes Mehrheiten innerhalb des demokratischen Spektrums zu finden“.

So sieht es auch das Netzwerk Neue Deutsche Organisationen (NDO), die angesichts der aufgeflammten Debatte eine Kampagne gegen Rassismus startete. Für Menschen mit Einwanderungsgeschichte sei Rassismus keine abstrakte Gefahr, sondern eine konkrete, sagte die Co-Vorsitzende der NDO, Sheila Mysorekar. „Es gab Zeiten, da wurde von ‚Wehret den Anfängen‘ gesprochen“, ergänzte der Co-Vorsitzende Karim El-Helaifi – „Wir sind weit darüber hinaus.“

Seit langem werde auf dem Rücken marginalisierter Gruppen Wahlkampf gemacht. „Es geht eigentlich nur noch um Migration, als hätten wir keinen Wohnungsmangel, keinen Pflegenotstand“, sagte Mysorekar. Es gebe „jede Menge Positionen und Narrative, die wir aus rechtsextremen Kreisen kannten, die aber jetzt auch bei bürgerlichen Parteien zu sehen sind“., etwa dass über den Entzug der Staatsbürgerschaft diskutiert werde, kritisierte Mysorekar.

Scharf Kritik erntet Merz‘ Vorstoß auch von der Linkspartei. Seine Forderungen seien „nicht umsetzbar und gefährlich“, erklärte die fluchtpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Clara Bünger. „Asyl- und Menschenrechte sind nicht verhandelbar, die schrecklichen Taten Einzelner können solche fundamentalen Grundsätze nicht aufheben“, so die Linke-Politikerin. Merz werfe der AfD vor, Fremdenfeindlichkeit zu schüren – „nur um im gleichen Atemzug einen grausamen Angriff als Anlass zu nehmen, um Asylsuchende kollektiv zu verurteilen. Damit instrumentalisiert er das Leid von Einzelnen für seine politische Agenda“, erklärte Bünger weiter.

Attacken auf Merz – SPD mit Gegenvorschlag

Die SPD wirft CDU und CSU vor, sie hätten in den vergangenen Wochen unter anderem ein Sicherheitspaket mit mehr Befugnissen für die Behörden und eine Reform des Bundespolizeigesetzes blockiert. Außerdem solle die europäische Asylreform zur Steuerung von Migration in Deutschland schnell umgesetzt werden. „Unsere Vorschläge diskutieren wie gerne – erneut – mit allen demokratischen Fraktionen“, heißt es in einem Vorstandsbeschluss der SPD.

SPD-Chefin Saskia Esken sagte der Funke Mediengruppe, Merz spiele mit dem Feuer und versuche, die demokratischen Parteien zu erpressen, indem er mit einer Zusammenarbeit mit den Rechtsextremisten der AfD drohe. Sollte es dazu kommen, wäre dies ein „beispielloser Tabubruch in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland“, meinte Miersch.

Habeck warnt vor Ende des Rechtsstaats

Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck warnte vor einem Ende des Rechtsstaats. „Die Anträge sind in Teilen europarechtswidrig oder verfassungswidrig, und man kann nicht sehenden Auges das Recht brechen, um danach das Recht zu ändern“, sagte er in den ARD-“Tagesthemen“.

Wenn man damit anfange, Europarecht zu brechen, dann gehe Europa kaputt, sagte Außenministerin Annalena Baerbock am Rande eines EU-Außenministertreffens in Brüssel. Für die Verunsicherung, die durch die Debatte bei den europäischen Partnern entstehe, wolle sie sich entschuldigen.

Migrationsvorstoß geprüft. Juristin hält dagegen.

Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Günter Krings, hat Vorwürfe zurückgewiesen, die von der Union geplanten Anträge für ein schärferes Migrationsrecht seien in Teilen verfassungs- und europarechtswidrig. „Wir hätten diese Anträge nicht gestellt, wenn wir Zweifel gehabt hätten, dass wir hier gegen Europarecht oder Verfassungsrecht verstoßen“, sagte der CDU-Politiker am Montag in der CDU-Zentrale in Berlin. Die Forderungen seien rechtlich geprüft worden, sagte Krings.

Anna Frölich, Fachanwältin für Migrationsrecht und Vorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Pro Asyl, hingegen sieht das Prinzip der Verhältnismäßigkeit durch die Vorschläge der Union zur Migrationspolitik verletzt. Sie sagt: „Der Rechtsstaat muss sicherstellen, dass Maßnahmen zur Regulierung und Kontrolle der Migration nicht über das notwendige Maß hinausgehen und fundamentale Rechte der Betroffenen nicht unverhältnismäßig einschränken.“ Eine generelle Zurückweisung aller Geflüchteten an den deutschen Grenzen würde ihrer Ansicht nach gegen Artikel 16a des Grundgesetzes verstoßen. Dort heißt es unter anderem: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Außerdem verweist Frölich auf Verpflichtungen, die sich ihrer Ansicht nach aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, zwei Richtlinien der EU und der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ergeben.

Eine dauerhafte Inhaftierung von Ausreisepflichtigen, die nicht abgeschoben werden können und nicht freiwillig ausreisen, verstößt nach Ansicht der Münchner Anwältin ebenfalls gegen das Grundgesetz sowie gegen das Verbot willkürlicher Verhaftung. Schließlich sehe die europäische Rückführungsrichtlinie vor, dass die Inhaftierung von Drittstaatsangehörigen nur als letztes Mittel angewendet werden darf und die Dauer der Haft zeitlich begrenzt sein muss.

Gewerkschaft: Für Merz-Pläne fehlen Zehntausende Polizisten

Aus Sicht der Gewerkschaft der Polizei (GdP) sind die Pläne von Merz ohnehin nur mit Tausenden neuen Mitarbeiter umsetzbar – und sonst nicht. „Benötigt würden sicherlich 8.000 bis 10.000 zusätzliche Kräfte, um die Grenze umfänglich zu kontrollieren“, sagte der GdP-Chef für die Bundespolizei, Andreas Roßkopf, der „Rheinischen Post“. Die Bereitschaftspolizei unterstütze bereits jetzt jede Woche mit etwa 1.000 Kolleginnen und Kollegen an der Grenze.

Auch das Bundesinnenministerium winkt ab. Umfassende Zurückweisungen an den deutschen Grenzen wären kontraproduktiv und europarechtlich nicht machbar. „Das geht aus Sicht der Bundesregierung nicht“, sagte Ministeriumssprecher Maximilian Kall. Erstens würde es die Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten aufs Spiel setzen. Zweitens könne sich Deutschland gegenüber der Europäischen Union nicht, wie von der CDU/CSU behauptet, auf eine außergewöhnliche Notlage berufen. Zudem würde durch ein solches konfrontatives Vorgehen die Mitgliedstaaten verärgern. Die Kooperation mit den Nachbarstaaten wären durch einen solchen nationalen Alleingang gefährdet.

Österreichs Kanzler kritisiert Merz‘ Vorhaben

Tatsächlich werden in Österreich Merz‘ Pläne teils kritisch gesehen. „Wir brauchen – das wissen wir alle – gemeinsame Lösungen“, sagte der geschäftsführende österreichische Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) am Rande eines EU-Treffens in Brüssel. „Wenn jeder von uns jetzt einzeln einfach die Zugbrücken hochzieht, dann sind wir alle ärmer und keiner ist sicherer.“

Auch die rechte FPÖ aus Österreich meldete sich zu Wort. Parteichef Herbert Kickl wies darauf hin, dass die Asyl-Pläne von Merz schon seit längerem von der FPÖ gefordert würden. Kickl verhandelt derzeit mit der konservativen ÖVP über eine Koalition unter Führung der FPÖ. „Österreich geht vor, Deutschland folgt nach“, meinte Kickl zu seinen Plänen, Asylwerber an der Grenze zurückzuweisen. (dpa/mig) Aktuell Politik

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