Joel Schülin, Architekt, Urbanist, Visual Researcher, MiGAZIN, Kolumne
Joel Schülin, Architekt und Visual Researcher © MiG

Brandmuster

Namentlich unbekannt

Am 31. Januar 1992 stirbt eine sri-lankische Familie in einer Geflüchtetenunterkunft in Lampertheim durch ein Feuer, das von drei Deutschen gelegt wird. Die den Behörden entstanden Kosten werden vom Sparkonto der ermordeten Familie eingezogen – post mortem. Über die Komplexität ignorierter Biografien.

Von Donnerstag, 30.01.2025, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 30.01.2025, 9:17 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Am 23. Juli 1983 bricht in Sri Lanka ein blutiger Bürgerkrieg aus. Der ethnische Konflikt zwischen Tamilen und Singhalesen, der in der britischen Kolonialzeit gepflanzt wurde, entzündet sich nach der sri-lankischen Unabhängigkeit 1948.

Nach dem tödlichen Attentat eines singhalesischen Militärs durch tamilische Aufständige im Juli 1983 werden 1.000 bis 5.000 Tamilen in Pogromen getötet. 100.000 werden in die Diaspora gezwungen, viele von ihnen fliehen nach Deutschland und beantragen Asyl.

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Mit dem Anstieg der Migration nach Deutschland während der 80er und 90er Jahre im Zuge internationaler Konflikte wie dem oben genannten sri-lankischen Bürgerkrieg werden auch migrationsfeindliche Narrative, wie „Überfremdung” und „Asylmissbrauch” immer populärer unter Politiker:innen und Journalist:innen. Die Asyldebatte wird zunehmend von rassistischen Phrasen angeheizt, die Migranten als „Sozialtouristen“ darstellen, die lediglich das Geld der Steuerzahler ausnutzen.

1986 beispielsweise schreibt der Spiegel in einem Beitrag: Warum investieren zigtausende Tamilen ihr ganzes Vermögen in ein Flugticket nach Deutschland, „wo es doch mit dem Fischerboot nur ein Katzensprung ins rettende Indien ist“.

Selbst der Vorsitzende des Deutschen Roten Kreuzes, Botho Prinz von Sayn-Wittgenstein, kann sich einen Kommentar nach einem Besuch in Sri Lanka nicht verkneifen: „Warum kommen die in unser Land und holen sich Erkältungen, wenn sie es hier doch so warm haben können?“.

„Am 31. Januar 1992 stirbt eine sri-lankische Familie im Schlaf in den Flammen eines Feuers.“

Acht Jahre später, am 31. Januar 1992 stirbt eine sri-lankische Familie – eine 31-jährige Mutter, ein 28-jähriger Vater und ihr einjähriges Kind – im Schlaf in den Flammen eines Feuers, das von drei Deutschen in einer Lampertheimer Geflüchtetenunterkunft in Hessen gelegt wird.

Es ist der sechste Brandangriff auf eine Geflüchtetenunterkunft im selben Monat. Der Brandanschlag wird anfänglich als „fahrlässige Brandstiftung aus Doofheit“ betitelt. Die drei Täter sprechen von einem Scherz (Lampertheimer Zeitung, 14. Oktober 1994), der schiefgeht. Sie haben nichts gegen Ausländer, sie wollten das Haus „einfach so anzünden“. (Südhessen Morgen, 14. Oktober 1994)

Einer der Täter widerlegt einen politischen Hintergrund der Tat mit seiner Mitgliedschaft in einer italienischen Fußballmannschaft. Nicht verhehlen will er jedoch, dass er Asylbewerber:innen als „Wirtschaftsflüchtlinge“ betrachtet. (Südhessen Morgen, 14. Oktober 1994)

„Bis heute gilt der Angriff als nicht rechtsextrem.“

Trotz der Schwere der Tat und dem Kontext rechtsradikaler Angriffe gegen nicht weiß-gelesene Menschen in dieser Zeit wird ein rechtsextremes Motiv ausgeschlossen. Bis heute gilt der Angriff als nicht rechtsextrem. Unter anderem, weil die Täter behaupten, jemanden aus der Geflüchtetenunterkunft zu kennen. Sie werden zu 4,5 bis 5,5 Jahren Haft verurteilt.

1994 forderte Heinz Fraas, der Landesvorsitzende von Hessen, offiziell eine Erstattung von 24.017,26 DM von der sri-lankischen Botschaft. Dieser Betrag entspricht den Kosten, die den örtlichen Behörden durch die verstorbene Familie entstanden sind.

„Post mortem zahlt die Familie damit für ihren eigenen Tod.“

Der ausstehende Betrag wird später von einem Sparkonto der sri-lankischen Familie gezahlt, das nach dem Todesfall entdeckt wird. Post mortem zahlt die Familie damit für ihren eigenen Tod. Fraas rechtfertigt seine Berechnung wie folgt: „Wir sind nicht dafür verantwortlich, wenn Kriminelle ein Haus anzünden“.

Die Geschichte der Familie beginnt und endet am 31. Januar 1992. Während Zeitungen ausführlich über die Brandursachenermittlung und die Gerichtsverhandlung berichten, wird die Familie auf ihren eigenen Tod reduziert. Im Mittelpunkt stehen die Täter, die Biografie der dreiköpfigen Familie scheint für die deutsche Öffentlichkeit uninteressant.

Schauen wir über die Brandnacht hinaus, wird die Vielschichtigkeit der Gewalterfahrungen deutlich, mit der die Familie konfrontiert wurde.

„Welche Träume hatten die Mutter, der Vater und ihr Kind, bevor die Flammen und der Rauch sie erstickten?“

Die postkoloniale Ungerechtigkeit in Sri Lanka, die durch die britische Kolonialherrschaft gesät wurde; der strukturelle und alltägliche Rassismus, den die Familie in Deutschland durchlebte; die Anonymität des Anderen, des „Ausländers“, die den Eltern und dem Kind auferlegt wurde; die Träume und Hoffnungen auf ein besseres Leben in Deutschland, die durch die erschöpfende Bürokratie der Asylverfahren zunichtegemacht wurden …

Welche Träume hatten die Mutter, der Vater und ihr Kind, bevor die Flammen und der Rauch sie erstickten?

Die Namen der Mutter, des Vaters und ihres Kindes sind bis heute unbekannt. Meinung

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  1. Vee sagt:

    Liebes MiGAZIN und Joel Schülin,
    danke für diesen Artikel. Wir von korientation, einem Asiatisch-Deutschen Verein und eine Plattform für Menschen mit Bezug zu Asien, würden euch gerne ergänzende Informationen zur Familie mitteilen, die uns seit 2023 bestätigt vorliegen:

    Anlässlich unseres Instagram-Posts zum letzten Gedenktag erhielten wir eine Nachricht von der Tochter alter Bekannter der Familie: Diese bestätigte uns, dass es sich um eine eelam tamilische muslimische Familie handelte und teilte uns die ihr bekannten Namen mit: Der Vater hieß Mohideen, der einjährige Sohn Mohad, an den Namen der Mutter konnten sich die Bekannten leider nicht mehr erinnern. 
    Sie war zum Zeitpunkt des Todes außerdem schwanger .

    Die Familie scheint noch Angehörige in Colombo zu haben, zu ihnen besteht seitens der Bekannten jedoch kein Kontakt.
    Diese haben uns auch ein Bild der Familie geschickt, welches wir allerdings nicht veröffentlichten, da es keine Möglichkeit gibt, nach Konsenz der Veröffentlichung zu fragen.

    Viele Grüße,
    Vee – Leitung Social Media, korientation e.V.

  2. Levent Öztürk sagt:

    1993 erfolgte auch ein Brandanschlag auf eine Türkische Familie mit 5 Todesopfern. Die beiden Täter sind schon seit Jahren auf freiem Fuß, einer der Täter ist heute eine Symbolfigur und „Größe“ in der Rechtsextremismus-Szene und tritt gern bei Veranstaltungen und Nazi-Demos in der Öfentlichkeit auf. Interessant ist, dass 2024 in Solingen wieder ein Brandanschlag verübt wurde, wieder ein deutscher Täter mit rechtsradikalen Ansichten gemäß der Funde durch die Polizei in seiner Wohnung bei der Hausdurchsuchung. Ermordet wurde diesmal in Solingen eine bulgarisch-türkische 4-köpfige Familie, darunter ein Säugling und ein Kleinkind! Die deutschen Medien haben diesen Brandanschlag sofort wieder unter den Teppich gekehrt und sich bis heute auf den Messerangriff konzentriert. Man stelle sich vor, die ermordete Familie samt Säugling und Kleinkind wäre keine türkisch-bulgarische, sondern eine jüdische oder deutsche Familie…