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Menschen gedenken den Opfern von München © Tobias Schwarz/AFP

„Keinen Hass schüren“

Abschiebedebatte nach München wieder angeheizt

Nach dem Anschlag mit zwei Toten und fast 40 Verletzten sind viele Details zum Motiv des Fahrers unklar. Die Rufe nach Abschiebungen nach Afghanistan werden lauter. Die Familie der Todesopfer appelliert: keinen Hass schüren. Ein ähnliches Bild derzeit auch in Österreich.

Sonntag, 16.02.2025, 15:13 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 16.02.2025, 15:20 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Nach dem Anschlag auf eine Gruppe von Demonstranten in München mit zwei Toten und fast 40 Verletzten versuchen Ermittler, mehr Klarheit über das Motiv des 24-jährigen Afghanen zu bekommen. Derzeit gehen sie davon aus, dass die Tat einen „islamistischen“ Hintergrund hat, belastbare Nachweise gibt es bislang jedoch nicht. Derweil streiten politische Parteien eine Woche vor der Bundestagswahl über die Frage, welche Schlüsse daraus gezogen werden müssen. Die Familie der beiden Todesopfer appelliert, den Fall nicht zu instrumentalisieren.

Der 24-jährige Täter, der in Deutschland vergeblich Asyl beantragt hatte, war am Donnerstag mit seinem Auto in das Ende eines Demonstrationszugs gefahren. Laut Polizei und Bundesanwaltschaft wurden mindestens 39 Menschen verletzt, einige von ihnen schwer. Ein zweijähriges Mädchen und seine Mutter (37) mit algerischen Wurzeln befanden sich zunächst in kritischem Zustand, erlagen am Samstag aber ihren Verletzungen. Der Fahrer kam in Untersuchungshaft. Ein Ermittlungsrichter ordnete dies wegen des dringenden Verdachts auf 39-fachen versuchten Mord an, wie die Generalstaatsanwaltschaft München mitteilte.

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Bundesanwaltschaft übernimmt Ermittlungen

Aufgrund der besonderen Bedeutung des Falls übernahm die Bundesanwaltschaft am Freitagabend die Ermittlungen. „Es besteht der Verdacht, dass die Tat religiös motiviert war und als Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung zu verstehen ist“, teilte die oberste Anklagebehörde in Deutschland in Karlsruhe mit. Die Tat sei geeignet, die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen. Die kriminalpolizeilichen Ermittlungen führe weiter das Bayerische Landeskriminalamt.

Der Afghane soll den Anschlag aus Sicht der Münchner Ermittler aus „islamistischen“ Beweggründen begangen haben. Als Anhaltspunkt dafür nannte die Leitende Oberstaatsanwältin der Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) der Generalstaatsanwaltschaft München, Gabriele Tilmann, unter anderem die Aussage von Polizisten, der Fahrer habe nach der Tat „Allahu Akbar“ gerufen. Die Analyse seiner Social-Media-Aktivitäten und seines Handys habe aber keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Verdächtige einer „islamistischen“ Organisation angehöre, sagt Tilmann weiter. Der 24-Jährige bezeichne sich selbst als religiös, er bete und besuche eine Moschee. Auf Social Media sei er als Fitnessmodel unterwegs gewesen, habe aber auch Beiträge mit religiösen Bezügen gepostet. In seiner Vernehmung habe er „eingeräumt, bewusst in die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Demonstrationszugs gefahren zu sein“.

Zweifel an „islamistischer“ Gesinnung

Experten zufolge ist der Ausspruch „Allahu Akbar“ ein schwaches Indiz für die Annahme einer möglichen „islamistischen“ Gesinnung. Der Ausspruch sei in der arabischen Kultur weit verbreitet und fester Bestandteil des alltäglichen Sprachgebrauchs. Er werde meist ohne religiösen Bezug gebraucht. In den sozialen Medien habe der Afghane zudem keinen religiösen Eindruck gemacht, das Gegenteil sei der Fall. Dass er sich selbst als religiös bezeichnet habe oder eine Moschee besuche, ließen ebenfalls keine Rückschlüsse auf eine extremistische Gesinnung zu – sonst könne man fast jedem Muslim etwas hinzudichten.

Nach bisherigen Erkenntnissen hielt sich der Mann zuletzt rechtmäßig in Deutschland auf. Wie aus einem Gerichtsurteil gegen die Ablehnung seines Asylantrags aus dem Oktober 2020 hervorgeht, soll er über seine Fluchtgeschichte gelogen haben. Im April 2021 erließ die Stadt München jedoch einen Duldungsbescheid und im Oktober 2021 eine Aufenthaltserlaubnis für den 24-Jährigen.

Familie der Opfer appelliert: Tod nicht instrumentalisieren

Die Familie der Verstorbenen hat sich derweil gegen eine Instrumentalisierung des Todes von Mutter und Tochter gewandt. Man wolle nicht, dass deren Tod benutzt werde, „um Hass zu schüren“, heißt es in einem Statement von Angehörigen und Freunden, das auf der Seite der Stadt München veröffentlicht wurde.

„Amel war ein Mensch, der sich für Gerechtigkeit eingesetzt hat“, heißt es in dem Statement über die 37-Jährige. Sie „war aktiv für Solidarität, Gleichheit und setzte sich für Arbeitnehmer*innenrechte ein und gegen Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung. Ihr war es sehr wichtig, ihrer Tochter diese Werte mitzugeben“, schreibt die Familie. „Amel ist in Algerien geboren und ist mit vier Jahren nach Deutschland gekommen.“ Sie studierte demnach Umweltschutz und lebte seit 2017 in München zuletzt gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer Tochter Hafsa. Sie war als Ingenieurin für die Stadt tätig.

Dem Aufruf der Familien folgten zahlreiche Menschen. Auf einem Zettel am Anschlagsort inmitten von niedergelegten Blumen leuchtenden Kerzen steht: „Kein Wahlkampf auf Kosten der Opfer.“  Auf einer roten, in Herzform geschnittenen Pappe heißt es: „Zum Gedenken für die Opfer und gegen rechte Hetze.“

Debatte um Abschiebungen

Ungeachtet dessen hat München die im Wahlkampf bereits laufende Debatte um Abschiebungen neu entflammt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte am Samstag die Abschiebung des Attentäters angekündigt. „Er wird nach dem Verbüßen seiner Strafe auch in das Land zurückgeführt, wo er herkommt“, sagte er in München. Wer eine derartige Tat begehe, könne sich „auf gar nichts mehr berufen“. Der 24-Jährige müsse für seine „unverzeihliche Tat“ verurteilt werden.

Scholz betonte, dass im vergangenen Jahr fast 40.000 Menschen abgewiesen worden seien. „Insgesamt ist die Zahl der Asylsuchenden um 100.000 Personen zurückgegangen, das ist ein Drittel weniger. Und dieser Trend hat sich im Januar fortgesetzt. Ich hoffe, dass die Flüchtlingszahlen dieses Jahr abermals um 100.000 sinken“, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe und der französischen Zeitung „Ouest-France“.

Faeser signalisiert Kompromissbereitschaft

Innenministerin Nancy Faeser signalisierte Kompromissbereitschaft für Änderungen in der Migrationspolitik. „Ich halte einen Kompromiss zwischen Union und SPD in der Migrationspolitik für notwendig und möglich“, sagte die SPD-Politikerin der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Sie sei der Meinung, „dass es uns gelingen kann, in der demokratischen Mitte Lösungen zu finden“. Auch die SPD wolle die irreguläre Migration noch stärker begrenzen. „Unsere Gesetzentwürfe zur Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems liegen auf dem Tisch.“ Natürlich sei die SPD auch hier auch zu sinnvollen Änderungen und Ergänzungen bereit. Faeser hatte unmittelbar nach dem Anschlag angekündigt, dass die Abschiebungen nach Afghanistan weitergehen würden.

In der Umsetzung ist das allerdings schwierig, da dies eine Zusammenarbeit mit den Taliban in Afghanistan erfordert – direkt oder indirekt über Nachbarländer. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fordert sofortige Verhandlungen mit den Taliban. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) müssten direkt mit den Taliban über Abschiebeflüge reden, sagte der CSU-Chef dem Boulevardblatt „Bild am Sonntag“. „Es braucht jede Woche einen Flug.“ Söder wies darauf hin, dass es allein in Bayern fast 2.000 ausreisepflichtige Afghanen gebe. Knapp 200 von ihnen seien schwere Straftäter. „Erst Aschaffenburg, jetzt München: Es reicht. Deutschland braucht einen Afghanistan-Sofortplan.“

Taliban signalisiert Zusammenarbeit

Die Taliban hatten sich zuletzt offen für eine Zusammenarbeit bei Abschiebungen gezeigt. Dafür wollen sie jedoch eine konsularische Vertretung in Deutschland. „Wir haben unsere Bereitschaft gezeigt, die konsularischen Dienste für Afghanen in Deutschland wieder aufzunehmen, die alle Aspekte der Migration abdecken“, sagte der Sprecher des Taliban-Außenministeriums, Abdul Kahar Balchi, der dpa.

Kritiker warnten in der Vergangenheit vor solchen Gesprächen mit den Taliban, die international isoliert sind. Sie könnten von Abschiebungen profitieren, indem sie diese als Möglichkeit für eine Zusammenarbeit mit einem westlichen Staat nutzten. Ende August 2024 war erstmals seit der Machtergreifung der Taliban vor drei Jahren wieder ein Abschiebeflug aus Deutschland nach Afghanistan gestartet. Abgeschoben wurden 28 verurteilte Straftäter, die kein Bleiberecht in Deutschland hatten und gegen die Ausweisungsverfügungen vorlagen.

Angriff auch in Österreich

Ein mutmaßlicher Anschlag hält derzeit auch das Nachbarland Österreich in Atem. Dort hatte am Samstagnachmittag ein 23-jähriger Syrer nach Angaben der Polizei wahllos auf Passanten im Zentrum der Stadt im südlichen Bundesland Kärnten eingestochen. Ein 14 Jahre alter Junge starb. Fünf weitere Personen wurden verletzt. Der Angriff wurde von einem Essenslieferanten gestoppt, der den Verdächtigen mit seinem Fahrzeug anfuhr. Kurz darauf wurde der Angreifer von der Polizei festgenommen.

Im Tumult dachten andere Augenzeugen zunächst, dass der Essenszusteller ein Angreifer sei und schlugen auf sein Auto ein, wie er der „Kleinen Zeitung“ erzählte. Der 42-Jährige stammt ebenfalls aus Syrien. „Natürlich habe ich jetzt Sorge, dass die Menschen Schlechtes über uns denken, aber wir sind nicht so“, sagte er über seine syrischen Landsleute in Österreich. (dpa/epd/mig) Leitartikel Politik

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