Seenotrettung, Schiff, Mittelmeer, Seenotretter, Meer, Flüchtling, Geflüchtete
Das Seenotrettungsschiff SOS Humanity © Leon Salner

Klaus Vogel im Gespräch

„Dürfen nicht nur unsere Ängste sehen“

Der Flüchtlingshelfer und Schiffskapitän Klaus Vogel prangert in der Migrationsdebatte einen Mangel an Menschlichkeit an. Die Debatte sei bestimmt von Anschlägen und Ängsten, sagt er im Gespräch und erklärt, was er vermisst.

Von Sonntag, 16.02.2025, 12:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 19.02.2025, 15:11 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Handelsschiffskapitän, promovierter Historiker und Seenotretter: Seit zehn Jahren setzt sich Klaus Vogel für die Rettung von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer ein. Für sein Engagement wurde der 68-Jährige 2021 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Im Gespräch beklagt er mit Blick auf die Bundestagswahl einen Mangel an Menschlichkeit in der Debatte über Migration – und erzählt, wann er auf hoher See das erste Mal einem Geflüchteten begegnet ist.

Herr Vogel, Sie engagieren sich seit zehn Jahren für die zivile Seenotrettung von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer. Die öffentliche Debatte wird vor der Bundestagswahl vom Thema Migration und Asyl bestimmt. Wie blicken Sie auf diesen Winterwahlkampf?

___STEADY_PAYWALL___

„Die öffentliche Debatte ist derzeit bestimmt von den Anschlägen und den Ängsten der Menschen.“

Klaus Vogel: Die Frage nach Flucht und Migration ist für mich persönlich sehr emotional, geprägt durch meine Erfahrungen als Seenotretter. Die öffentliche Debatte ist derzeit bestimmt von den Anschlägen und den Ängsten der Menschen. Die Erschütterung über diese Anschläge kann ich gut verstehen. Was aber nicht mehr vorkommt, ist die Lage der Migranten und das Massensterben auf dem Mittelmeer. Wir dürfen nicht nur unsere Ängste sehen, sonst werden wir kalt.

Was fehlt Ihnen?

Mir fehlt die Menschlichkeit – die Frage, wie es den Menschen geht, wie ihre Lage ist und wie Migration positiv gestaltet werden kann. Ich vermisse die Haltung und den Mut, den es braucht, um Menschen konsequent zu retten und Migration so zu verändern, dass sie eine Bereicherung für alle ist.

Vor zehn Jahren gab es in der Bevölkerung eine große Bereitschaft, Geflüchtete aufzunehmen, was man dann Willkommenskultur genannt hat. Es gibt in der Gesellschaft immer noch viele Menschen, die sich für Migranten oder die Seenotrettung engagieren. Aber die politische Debatte hat sich leider ein Stück weit davon entkoppelt.

Woran liegt das?

„Bisher haben wir es nicht geschafft, mit unseren positiven Erfahrungen in der Öffentlichkeit gehört zu werden.“

Humanität ist ein weiches Thema. Es gibt eine harte, negative Strategie, mit Ängsten Politik zu machen. Bisher haben wir es nicht geschafft, mit unseren positiven Erfahrungen in der Öffentlichkeit gehört zu werden.

Sie haben 2015 das europäische Seenotrettungs-Netzwerk SOS Méditerranée gegründet. Der deutsche Gründungsverein hat sich Ende 2021 aus dem Verbund gelöst und zu SOS Humanity umbenannt. Was hat Sie damals bewogen?

Entscheidend war das Ende der italienischen Seenotrettungsoperation „Mare Nostrum“. Das war für mich der Grund, zu sagen: Das geht so nicht. „Mare Nostrum“ hatte in einem Jahr mehr als 100.000 Menschen im Mittelmeer gerettet. Es war klar, dass es viele Tote geben würde, wenn man einfach damit aufhört. Also habe ich angefangen, ein Konzept für ein großes Rettungsschiff zu entwickeln.

Wie sind Sie weiter vorgegangen?

Meine Frau und ich sind im März 2015 nach Lampedusa gefahren und haben dort mit den Menschen gesprochen, die sich schon damals um die Geflüchteten gesorgt haben. Wir haben gefragt: Könnt ihr euch vorstellen, dass wir mit einem großen Schiff kommen?

Und die Antwort?

Sie haben gesagt, das wäre ein Traum. Mit diesem Auftrag sind wir zurück nach Deutschland gekommen, haben Unterstützung in Frankreich, Italien und Griechenland gesucht. Im Februar 2016 hatten wir unseren ersten Einsatz mit der gecharterten „Aquarius“. Heute gibt es rund 15 zivile Schiffe. Es ist eine ganze Flotte entstanden. Als SOS Humanity betreiben wir seit 2022 ein eigenes Rettungsschiff, die „Humanity 1“.

Konnten Sie sich 2015 vorstellen, dass Sie das für die nächsten zehn Jahre machen werden?

„Wir wollten erreichen, dass die Staaten die Seenotrettung wieder übernehmen. Das fordern wir bis heute.“

Die Hoffnung war damals, dass es ein Wendepunkt ist. Wir wollten erreichen, dass die Staaten die Seenotrettung wieder übernehmen. Das fordern wir bis heute. Am Anfang hat man uns gedankt dafür, dass wir gekommen sind.

Wie ist Ihr Verhältnis zur italienischen Regierung heute?

Es ist mit dem Regierungswechsel im Oktober 2022 sehr schlecht geworden. Seenotretter werden in ihrer Arbeit vielfach behindert, die Schiffe werden zur Ausschiffung der Geretteten weit in den Norden von Italien geschickt und regelmäßig festgesetzt. Sie fehlen dann auf der tödlichen Fluchtroute, wo sie dringend gebraucht werden.

Trotz allem arbeiten Sie im Alltag bei Einsätzen immer wieder mit der italienischen Küstenwache zusammen. Wie läuft das ab?

„Es gibt weiter ein Verständnis und auch Respekt für unsere Arbeit.“

Die Leitung der italienischen Küstenwache wurde natürlich ausgetauscht. Aber auf den Schiffen sind es teilweise noch dieselben Beamten wie früher. Es gibt weiter ein Verständnis und auch Respekt für unsere Arbeit.

Sie sind Historiker und ausgebildeter Handelsschiffskapitän. Direkt nach der Schule sind Sie zur See gefahren. Wann kamen Sie auf dem Meer das erste Mal mit Geflüchteten in Berührung?

Das war gleich am Anfang, als ich 18 Jahre alt war. Wir waren auf dem Atlantik unterwegs. Auf den Kanarischen Inseln hatte sich ein Eritreer an Bord geschlichen, der dachte, wir würden nach Hamburg fahren. Tatsächlich wollten wir aber nach Mittelamerika. Nach drei Tagen tauchte er auf der Brücke auf.

Was haben Sie mit ihm gemacht?

Wir haben ihn in Panama auf ein anderes Schiff unserer Reederei gegeben, das nach Europa gefahren ist. Dort hat er dann Asyl beantragt. Er war ein feiner Mensch, sehr gebildet, sehr klug – und auf der Flucht vor einer brutalen diktatorischen Regierung. (epd/mig) Aktuell Interview Panorama

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)